Als Favoritin ist Lucie Bauer definitiv nicht zu den Deutschen Meisterschaften gefahren. Die Sportschützin von der SG Wendlstoana Putzbrunn hatte sich durchaus überraschend für die Titelkämpfe am Wochenende auf der Olympia-Schießanlage in Garching-Hochbrück qualifiziert. Schließlich sei sie, wie sie selbst sagt, ein "Frischling" in ihrer neuen Disziplin: "Ich war voll und ganz eine Luftgewehrschützin, bis eines Tages ein Mannschaftskollege sagte: Lass uns mal mit der Luftpistole die Vereinsmeisterschaft schießen." Als die anderen Pistolenschützen des Vereins diese Idee nicht ganz ernst nahmen, habe sie "der Ehrgeiz gepackt", sagt Bauer. "Und siehe da, ich konnte es auch mit der Luftpistole."
Und jetzt darf sich die 42-Jährige, die in Unterföhring aufgewachsen ist und mit ihrer Familie in Neubiberg lebt, tatsächlich Deutsche Meisterin nennen. Sie entschied den Wettbewerb in der Klasse Damen II (40 bis 50 Jahre) für sich, erzielte in sechs Runden bei insgesamt 60 Schuss 563 Ringe - ein Spitzenergebnis, das ihr auch in der Eliteklasse Damen I einen Platz im Vorderfeld gebracht hätte. Und bei den Olympischen Spielen in Tokio wäre sie mit dieser Leistung in der Qualifikation für das Finale auf Rang 38 gelandet - ein Ergebnis, das auch Eduard Boger, Erster Schützenmeister der Wendlstoana, beeindruckte: "Ich war nach Lucies Titelgewinn so aufgekratzt, dass ich in meinem eigenen Wettkampf gar nichts mehr getroffen habe."
Im Gegensatz zu ihrem Klubkollegen behielt Lucie Bauer in ihrer Konkurrenz die Konzentration: "Ich habe mich sehr wohl gefühlt, alleine schon, weil ich so gut gesehen habe wie noch nie", sagt sie und führt diese Tatsache auf die perfekten Lichtverhältnisse in der Halle zurück. "Außerdem war ich hellwach." Und so lieferte sie sechs konstante Runden ab und blieb jeweils über 90 Ringen (93, 96, 91, 94, 95, 94). "Als ich dann so durch die Halle lief, und die Ergebnisse der anderen sah, wurde mir bewusst, dass meine 563 gar nicht so schlecht sind.
Und als ich dann endlich das Ergebnis auf der Anzeigetafel gesehen habe, konnte ich es kaum glauben", sagt die zweifache Mutter, die sich selbst als "Nerverl" bezeichnet. "Aber bei der Deutschen Meisterschaft war ich so ruhig wie nie, wahrscheinlich weil ich als Außenseiterin nichts zu verlieren hatte und außerdem nur für mich selbst verantwortlich war und nicht für ein Mannschaftsergebnis."
Ihre beiden mittlerweile zwölf und neun Jahre alten Kinder seien der Grund gewesen, warum sie zwischenzeitlich mit dem Schießen pausiert habe, erzählt sie. Erst vor fünf Jahren ist sie wieder eingestiegen, vor zwei Jahren folgte der Umstieg von Luftgewehr auf Luftpistole, wobei sie noch dann und wann zum Gewehr greift, sie ist seit 2019 amtierende Vereinsschützenkönigin mit dem Luftgewehr. "Der Unterschied ist schon enorm, alleine beim Zielen", sagt Bauer.
Während man mit dem Gewehr durch das Ringkorn am Ende des Laufes Maß nimmt, geht es beim Pistolenschießen darum, die Oberkanten von Kimme und Korn in eine Linie zu bringen. "Von dem Moment an, da ich mit einer eigenen Waffe geschossen habe, ging es gut. Es macht mir viel mehr Spaß als mit dem Gewehr, das ist echt eine Herzenssache", so Lucie Bauer, die sich auf ihren Lorbeeren nicht ausruhen will: "Jetzt geht es natürlich weiter. Ich hatte bei dem Wettkampf das Gefühl, dass sogar noch ein besseres Ergebnis drin gewesen wäre."
Ihre Begeisterung für den Schießsport ist bei den Putzbrunner Schützen geradezu berüchtigt. "Seit ich einen Schlüssel zu unserem Schießstand habe, würde ich am liebsten Tag und Nacht trainieren. Die Kollegen haben schon gescherzt, dass sie mir mal Pizza vorbeibringen lassen, damit ich nichthungern muss." Die Realität sieht anders aus, Zeit zum Üben bleibt ihr nur am Abend, tagsüber schmeißt die 42-Jährige den Haushalt und kümmert sich um die Kinder. Nebenbei betreibt sie ein kleines Geschäft mit selbst genähten Taschen, Kissen und Geschenkartikeln, die sie vor Corona beispielsweise auf Weihnachtsmärkten verkauft hat.