Literatur:Zwischen Entdeckung und Entfremdung

Bei der 15. Unterhachinger Lesenacht entführen die 13 Autoren den Besucher in reale wie fiktionale Welten: vom Weltumsegler Magellan über den Dirigenten Claudio Abbado bis zum schwierigen Familienleben einer jungen Münchnerin

Von Julian Carlos Betz, Unterhaching

Regen, Kälte, ein schneidender Wind - was Anfang Mai wie eine meteorologische Zumutung daherkommt, birgt auch kleine Vorteile: Es ist ein Wetter, quasi wie gemacht für einen Leseabend. Statt im Biergarten in einer Buchhandlung zu sitzen und in angenehmer Atmosphäre den Worten eines Autors zu lauschen - es gibt Schlimmeres. Bei der Unterhachinger Lesenacht, die am Samstag stattfand, gilt es freilich auch, die Schauplätze zu wechseln und sich so immer wieder dem Wetter auszusetzen. Auch diesmal stellen die 13 Autoren, darunter Josef Wilfling, AdnanMaral, Harry Kämmerer, Sabine Kormbichler oder Felicitas von Aretin, eine ganze Palette an Lesenswertem vor: von Krimis über historische Romane, Familiendramen und Sachbücher bis zu Biografien. Der Besucher hat die Wahl, ihnen bis Mitternacht an diversen Orten im Dreieck zwischen Kubiz, Gemeindebücherei und dem KWA-Stift zu lauschen.

Literatur: Harry Kämmerer liest im Kubiz aus seinem Krimi "Kalter Kaffee".

Harry Kämmerer liest im Kubiz aus seinem Krimi "Kalter Kaffee".

(Foto: Claus Schunk)

Auftakt im Kubiz: Dort liest der Historiker Christian Jostmann aus seinem Buch "Magellan oder die erste Umsegelung der Erde". Er erzählt vom portugiesischen Entdecker Fernão de Magalhães, der im 16. Jahrhundert auf der Suche nach den Gewürzinseln in Südostasien die erste historisch belegte Weltumsegelung vollzog. Sechs Jahre nach seinem Buch über den Wettlauf in der Antarktis zwischen Scott und Amundsen widmet sich Jostmann erneut einem bekannten Kapitel aus der Welt der Entdecker und Forscher. Portugal und Spanien hatten sich damals die Welt aufgeteilt, nach ihren Vorstellungen, so Jostmann. Ein im Publikum herumgereichter Plastikglobus mit einem gnadenlosen, schwarzen Strich darauf soll diese Tatsache verdeutlichen. Jostmann schildert eindrücklich, mit detaillierten Beschreibungen sowie Originalzitaten, das Abenteuer von Magellan und seinen 239 Begleitern, von denen nur 18 wieder zurückkehren.

Literatur: Wolfgang Schreiber trägt aus seiner Hommage an den großen Dirigenten Claudio Abbado vor.

Wolfgang Schreiber trägt aus seiner Hommage an den großen Dirigenten Claudio Abbado vor.

(Foto: Claus Schunk)

Wie sie die Strapazen der Reise überhaupt ausgehalten hätten, fragt Jostmann in die Runde und gibt die Antwort: pro Tag und Mann sei im Proviant ein ganzer Liter Wein vorgesehen gewesen, alles zusammen wertvoller als die Schiffe selbst. Drei Jahre dauerte die Entdeckungsfahrt, doch der erhoffte Profit konnte gerade die Kosten decken, erzählt Jostmann, dem die Zuhörer interessiert folgen.

Nicht die Entdeckerlust, sondern die Freude an der Musik wird in der Buchhandlung Helming & Heuser lebendig. Der Wechsel zwischen den Örtlichkeiten gestaltet sich dabei als kleine Erinnerung an die Realität, inklusive stärkerem Regen und einbrechender Nacht. Freilich entfaltet die Ankunft im warmen, erleuchteten Leseort ein umso angenehmeres Flair. Wolfgang Schreiber, lange Jahre SZ-Redakteur im Feuilleton und Musikkritiker, erzählt in der Buchhandlung vom 2014 verstorbenen Dirigenten Claudio Abbado. Damit legt er die erste vollständige Biografie des Mailänders vor. Mit Anekdoten, Humor und Details berichtet Schreiber gekonnt über das wechselvolle Leben Abbados, von den Anfängen in Italien über die schwierige Station bei den Wiener Philharmonikern bis zu den Berliner Philharmonikern und seiner Tätigkeit in Luzern. Der Jugendförderer und "stille Revolutionär", wie ihn Schreiber nennt, habe immer wieder seine Lust an der Literatur bewiesen, die er etwa in seinen Themenschwerpunkten bei den Konzertreihen der Berliner Philharmonikern umsetzte. Hervor sticht auch der ungebrochene Kulturoptimismus Abbados: "Nicht der Reichtum bringt die Kultur hervor, sondern es ist die Kultur, die auch den Reichtum erschaffen kann", so der Dirigent.

Literatur: Sabine Kornbichler entführt in "Der letzte Gast" die Hörer in kriminelle Verwicklungen mit mörderischen Zutaten.

Sabine Kornbichler entführt in "Der letzte Gast" die Hörer in kriminelle Verwicklungen mit mörderischen Zutaten.

(Foto: Claus Schunk)

Danach führt der Weg ins KWA-Stift, es ist bereits finster und nachhaltig ungemütlich. Doch in den verglasten, abgedunkelten Räumen im Erdgeschoss des Gebäudes stellt sich sogleich wieder eine ganz eigene Atmosphäre ein. Hier erzählt die junge Autorin Anika Landsteiner von einer Münchnerin, halb Italienerin und halb Deutsche, die sich auf eine Reise zu ihrem Vater in Apulien begibt, den sie lange nicht gesehen hat. Dabei geht es um das Innenleben der Frau, aber auch um die Beziehungen die sie beginnt, abbricht oder überdenkt. Das feinfühlige Porträt der Frau macht neugierig auf das, was im südlichen Teil des Stiefels, wo "die Uhren tatsächlich noch still stehen", noch so alles passiert mit ihr. Sie befindet sich in einem Kraftfeld zwischen Liebe, Selbstzweifeln und Entfremdung vom Vater. "Manchmal habe ich das Gefühl, ich suche ein ganzes Leben."

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