Neben ewigen philosophischen Rätseln wie die nach dem Sinn des Lebens drängen sich immer wieder aktuelle Fragen auf - wo liegt der Mittelweg zwischen Freiheit und Sicherheit? Woher wissen wir, was wahr ist und wie legen wir das fest? Auf diese Gedanken lassen sich Werner Zillig aus Unterhaching und Volker Ladenthin in ihrem im Altan Verlag erschienenen Buch "Alle meine Vorurteile" ein. Nach langer, per E-Mail geführten Diskussion landen die beiden Autoren bei der Frage: Haben wir im Kampf um die Deutungshoheit das Streiten verlernt?
SZ: Herr Zillig, Sie stellen in Ihrem Buch große Lebensfragen, über die Philosophen seit Generationen diskutieren. War in Ihrer Debatte mit Ihrem Co-Autor Volker Ladenthin eher der Weg das Ziel oder wollten Sie die Fragen auch beantworten?
Werner Zillig: Ich glaube, wir sind da vom Temperament her unterschiedlich. Volker Ladenthin ist emeritierter Professor für Historische und systematische Erziehungswissenschaft; er kommt vom deutschen Idealismus her und hält Kant hoch. Ich als Linguist fühle mich der analytischen Philosophie verbunden. Er will die Fragen klären, während ich sage: Es ist den Menschen nicht gegeben, diese Fragen final zu beantworten - der Weg ist das Spannende.
Sie kündigen zu Beginn Ihres Buches aber an, auf Seite 232 zu einem Ergebnis zu kommen. Wo sind Sie da gelandet?
An dieser Stelle hatten wir uns soweit zusammengerauft, dass wir unsere unterschiedlichen Positionen akzeptieren und uns quasi anstacheln für weitere Debatten.
Wäre das auch eine Methode für den gesamtgesellschaftlichen Dialog? Mehr zuzuhören und zu akzeptieren?
Das würde ich mir wünschen, ja. Früher gab es Sendungen wie "Pro und Contra". Die Meinung der Zuschauer wurde vor und nachher erhoben, um zu sehen, ob sie sich von den Argumenten überzeugen lassen. Das Ergebnis war oft, dass nur wenige Menschen ihre Haltung ändern. Das ist auch der Kern meiner Argumentationstheorie: Wir haben eine feste Meinung wie einen Stein im Bauch und diese Meinung ist durch Argumente fast nicht veränderbar.
Und was liegt dieser Meinung zugrunde?
Wir selbst. Unsere Genetik, Gedanken, wie wir uns fühlen. Wir sind im Grunde genommen von Vorurteilen geprägte Wesen.
Nun gibt es aber auch gegensätzliche Beispiele, dass sich Menschen etwa gegen die politische Haltung ihrer Eltern stellen.
Ja, solche Beispiele gibt es, etwa durch Saulus-Paulus-Erweckungserlebnisse. Aber die Regel ist, dass wir recht festgelegt sind.
Haben Sie selbst Ihre Meinung in einem Punkt schon einmal radikal geändert?
Ich habe eine katholische Erziehung genossen und war bis zu meinem 16. Lebensjahr "katholisch religiös". Heute bin ich das gewissermaßen immer noch, aber es ist eine ganz andere Religiosität. Politisch habe ich mich nicht groß verändert. Ich stamme aus einem Arbeiterhaushalt, war nie ein 68er, sondern stets ein gemäßigter SPD-Wähler.
Wodurch können unsere Vorurteile denn dann überhaupt gebrochen werden?
Durch Begegnungen oder Persönlichkeiten. Der Scholz-Effekt im Wahlkampf ist für mich das beste Beispiel: Man wurde vor Alternativen gestellt: soll Scholz Kanzler werden, Laschet oder Baerbock? Und musste sich dann für eine Person entscheiden.
Wie ging es Ihnen und Ihrem Co-Autor am Ende Ihres Dialogs: Waren Sie da näher zusammengerückt in strittigen Fragen?
Ich würde eher sagen, wir wissen jetzt noch besser, was unsere jeweiligen Positionen sind. Das ist auch ein gutes Ergebnis.
Sie haben Ihr Buch in einer ungewöhnlichen Form verfasst, nämlich als E-Mail-Dialog. Was ist das Besondere an schriftlicher Kommunikation?
Mein Co-Autor und ich schreiben beide sehr viel, daher ist es nichts Ungewöhnliches für uns, einen Gedanken niederzuschreiben. Ich habe es sogar als sehr angenehm empfunden, das so fließen zu lassen.
Durch die Vielzahl der technischen Kommunikationswege heute - Social Media wie Twitter allen voran, die eine geringe Zeichenzahl vorgeben - wird der Vorwurf laut, dass die Sprache sich verknappt. Wie beurteilen Sie das als Linguist?
Ich nutze Soziale Medien ab und zu, schreibe einmal etwas bei Facebook, aber ich bin über diese Form der Kommunikation, die eine Dynamik, sogar Hektik, entwickelt, nicht sonderlich glücklich. Die E-Mail hingegen nutze ich sehr gern, die sehe ich eher als Brief. Wenn ich eine verfasse, stelle ich auch immer eine Art Briefkopf voran.
Was nehmen Sie mit aus Ihrem Dialog?
Einen Punkt, den ich noch mal aufgreifen möchte, ist: Was können wir durch menschliche Argumentation bewirken? Wie geht eine gute Argumentation? Das hat für mich nichts mit Syllogismus zu tun, sondern mit einem viel sanfteren Weg. Man soll anderen nicht zürnen, sondern möglichst versuchen, auf andere einzugehen.
Werner Zillig, geboren 1949 in Haßlach bei Kronach, hat nach dem Studium der Germanistik, Geschichte und Soziologie in Münster, Innsbruck und München Linguistik gelehrt. Er hat Erzählungen, Hörspiele und zwei Romane geschrieben. Seit 2007 lebt er in Unterhaching.