Die Verkehrsinsel mitten auf der Tegernseer Landstraße ist der Zuschauerraum, das Publikum steht dicht gedrängt auf den Steinplatten und reckt gespannt die Köpfe nach oben. Die Bühne ist am Dienstagabend dieses Mal das Puerto Giesing selbst. Um kurz nach 21 Uhr ist es soweit: Die Fensterfassade erstrahlt in bunten Farben, jede der 96 Glasflächen ist in andersfarbiges Licht getaucht.
Ein leises Raunen läuft die Zuschauerreihen entlang. Es wird lauter, als sich die Farben verändern, zu Mustern verschmelzen: Farbkreise ziehen sich über das alte Kaufhaus, Linien, eine stilisierte Herzfrequenz pulst über die Fassade. Einige Hundert sind gekommen, um die Premiere des Projekts "All Colours Are Beautiful" mitzuerleben. Viele tragen T-Shirts mit dem Projekt-Logo: Sie haben diese Installation möglich gemacht. Hinter "Acab", wie Eingeweihte das Kunstwerk technisch-schmucklos nennen, steht der Chaos-Computer-Club (CCC) München.
"Wir hatten Bock drauf, was für die Stadt zu machen", sagt Sva. Die 29-Jährige organisiert die Pressearbeit des Clubs. Sva ist ihr Nick, ihr Szene-Pseudonym. "Das Kunstwerk soll Anwohnern die Möglichkeit geben, noch einmal mit dem Haus zu interagieren, sich von ihm zu verabschieden." Das Herzstück dieser Interaktion steht im dritten Stock des alten Gebäudes: ein aufgeklappter Laptop. Über den Monitor flimmern schwarz-weiße Befehlszeilen, aus dem Gehäuse ragen vier Kabel, die in der Decke verschwinden.
Animationen aus dem Netz
Der Computer steuert 96 Leuchtdioden, eine hinter jedem Fenster und lässt so auf der Fassade pixelige Bilder entstehen. Sie wirken ein wenig ungelenk, im HD-Zeitalter fast grob und erinnern ein bisschen an die Anfangsjahre der Computergrafik. Das besondere an den animierten Mustern: Jeder kann sein eigenes Design auf die Puerto-Giesing-Fassade zaubern, von überall aus. Mit einem extra entwickelten Programm lassen sich die Bilder und Animationen online erstellen und hochladen. Der Laptop in Giesing fügt das selbstgemachte Filmchen in die Rotation ein und lässt es allabendlich über die Fassade flimmern.
Rund 40 Hacker, Bastler und Technik-Freaks waren an der Verwirklichung von "Acab" beteiligt. Haben Platinen entwickelt, Lämpchen austariert, Schnittstellen verkabelt. "In der Hacker-Szene ist es allgemein oft so, dass man etwas tut, weil man es kann", erklärt Sva. Wenn ein Projekt - wie die Steuerungsplatinen - technisch ausgereift sei, dann käme der nächste Schritt: die Kunst.
Mit "Acab" wollen die Mitglieder des CCC München ihren Spaß an der Technik nach außen tragen. Durch die internetfähige Steuerung kann sich jeder an dem Projekt beteiligen - dazu muss man kein Computer-Experte sein. Die Pixel-Bühne ist bis zum Auslaufen des Puerto-Giesing-Projekts, mindestens aber noch bis Ende September, ab sofort für jeden von hier aus bespielbar.