Süddeutsche Zeitung

Leibniz-Rechenzentrum in Garching:Fluch und Segen

Big Data birgt große Chancen für Unternehmen, Forschung und Wissenschaft. Die neue Technik erlaubt aber auch, dass Maschinen Menschen ersetzen

Von Gudrun Passarge, Garching

Big Data als Möglichkeit, den Menschen zu erforschen und Krankheiten besser zu behandeln, Big Data als Möglichkeit, das Autofahren sicherer zu machen und den Verkehr flüssiger, oder Big Data auch als Gefahr, dass ein Land wie China beispielsweise die Technik nutzt, um einen Überwachungsstaat aufzubauen, wie Bildungsstaatssekretär Georg Eisenreich in seinem Grußwort andeutete. Big Data ist in aller Munde, aber dennoch ein Begriff, der schwer einzufangen ist. Bei einer Diskussion am Leibniz-Rechenzentrum (LRZ) der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in Garching wurden unterschiedliche Aspekte des Begriffs beleuchtet. Die Wissenschaftler waren sich jedoch einig: Big Data bietet große Chancen.

Das Rechenzentrum nutzte die Gelegenheit, sich als "Big-Data-Kompetenzzentrum" vorzustellen. Dieter Kranzlmüller, Informatikprofessor an der LMU und Vorsitzender des Direktoriums des LRZ verglich die Rolle des Rechenzentrums mit einem Skilift, damit die Wissenschaftler "nicht so mühsam kraxeln müssen". Dabei geht es nicht nur um die Daten selbst, sondern auch die entsprechenden Verknüpfungen. Denn, da waren sich alle Diskussionsteilnehmer einig, Daten sammeln allein reicht nicht. Der Präsident des Zentrums Digitalisierung Bayern, Manfred Broy, sprach davon, dass bis 2020 eine Datenflut von 40 Zettabyte pro Monat erwartet wird. Anders ausgedrückt entspreche das "60 mal der Anzahl aller Sandkörner der Strände dieser Welt", sagte Broy.

Wozu ist eine solche Vielzahl gut? René Wies, bei BMW zuständig für Big Data, hatte vor der Diskussion erläutert, wie der Autobauer damit umgeht. Den Durchbruch für die Akzeptanz von Big Data und künstlicher Intelligenz habe im Betrieb die Schraubkurvenanalyse gebracht. Durch 700 Messpunkte an der Produktionsstraße ist es jetzt möglich, sofort Fehlerquellen bei diversen Schraubvorgängen zu erkennen und sie zu beheben. Aber nicht nur in der Produktion sei Big Data gefragt, Daten könnten auch bei Parkplatzsuche, Fahrsicherheit oder Wartung helfen. Und dann gibt es noch Nebeneffekte. Wies berichtete von der Möglichkeit, einen Scheibenwischer mit einem Geosignal zu verbinden und so jederzeit Rückschlüsse auf die Mikrowetterlage ziehen zu können: "Ich traue mir zu, ihnen sicherer zu sagen, ob Sie ihr Dachfenster in den nächsten fünf Minuten schließen sollten als der Wetterbericht der Tagesschau."

Anwendungsmöglichkeiten hatten die Wissenschaftler viele zur Hand. Fabian Theis, Leiter des Lehrstuhls für Biomathematik, nannte die Vorteile auf dem Gebiet der Gesundheit. Der Human Cell Atlas, bei dem es darum geht, die gesamten Zellen des Körpers zu quantifizieren, sei eine der großen Herausforderungen der Zukunft. Auch andere Datenquellen seien von Bedeutung. Er arbeite mit der John-Hopkins-University in Baltimore zusammen und bekomme da spannende Daten, "da sieht man, wie unterschiedlich die Krankheiten behandelt werden". Allerdings sei es auf deutscher Seite schwierig, an entsprechende Daten zu kommen. Da müsse noch Überzeugungsarbeit bei der Bevölkerung geleistet werden. Überhaupt sahen die Forscher die Politik in der Pflicht, Rahmenbedingungen zu schaffen. Zur Datensicherheit bemerkte Thomas Seidl, Professor am Lehrstuhl für Datenbanksysteme und Data Mining an der LMU, es sei wünschenswert, von vornherein bestimmte Sicherheiten bei der Datenverarbeitung einzubauen. So sei es sicher von Vorteil, so schnell wie möglich zu erfahren, wenn eine Grippewelle anrollt, aber er selbst wolle nicht wissen, ob sein Nachbar darunter leide.

Außer Datensicherheit und wissenschaftlichem Vorteilen war auch vom wirtschaftlichen Nutzen die Rede. Stefan Roskos ist Geschäftsführer von One Logic, einer Firma, die anderen Firmen hilft, mit Daten Geld zu verdienen. Er nannte den Standardsatz eines Controllers: "Wie viel können wir damit sparen?" Die Schnittstelle zwischen Forschung und Kommerzialisierung sei oft ein Problem.

Einig waren sich alle Diskussionsteilnehmer, dass es zu wenige Big-Data-Spezialisten gibt. Seidl berichtete zwar von Fortbildungen für Data-Scientists, aber das sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und auch René Wies bestätigte, dass bei BMW hier 30 bis 40 Stellen offen seien. Theis ergänzte, dass ganze Gruppen an der Uni von Amazon und anderen weggekauft würden, die dann im Lehr- und Forschungsbetrieb fehlten. Moderator Uli Ries fragte auch nach den gesellschaftlichen Veränderungen. Wissenschaftler wie etwa Kranzlmüller wollten nicht in die Glaskugel schauen. "Ich traue mich nicht zu sagen, wo es hingeht in Zukunft." Aber die neuen Jobs wie die der Data-Scientists würden die wegfallenden Arbeitsstellen nicht ausgleichen. Darüber müsse man nachdenken, forderte Thomas Seidl, "was verschaffen wir den Leuten, die auf der Strecke bleiben?" Kranzlmüller forderte eine Diskussion über die Daten-Ethik und die Folgen der neuen Möglichkeiten. Dass Maschinen in Zukunft Entscheidungen treffen werden, die bisher Menschen vorbehalten sind, stört aber beispielsweise Fabian Theis weniger. "Sie sind vielleicht fairer", sagte er, "wenn sie numerisch qualifiziert werden".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3883592
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 27.02.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.