Süddeutsche Zeitung

Leben im Alter:Pflegeplätze für die Alten von morgen

Der Landkreis hat mit die höchste Lebenserwartung in Deutschland. Deshalb kann die Infrastruktur für Senioren schnell an ihre Grenzen stoßen

Von Stefan Galler, Landkreis

Nirgendwo in Deutschland werden die Männer im Schnitt älter als im Landkreis München (81,2 Jahre), bei den Frauen weist nur der Landkreis Starnberg mit 85,7 Jahren eine höhere durchschnittliche Lebenserwartung auf als der Kreis München (85,5 Jahre). Das führt dazu, dass schon jetzt mehr als jeder fünfte Landkreisbürger älter ist als 65 Jahre, die Zahl liegt derzeit bei etwa 71 000. Bis zum Jahr 2038 wird sich der Anteil sogar noch einmal um bis zu 30 Prozent erhöhen. Umso wichtiger ist das Seniorenpolitische Gesamtkonzept des Landkreises, das jetzt unter Federführung der Arbeitsgemeinschaft Sozialplanung und Altersforschung (AfA) fortgeschrieben wurde. Der Kreissozialausschuss hat das 340 Seiten starke Papier jetzt gebilligt. Es sieht unter anderem vor, die häusliche Pflege durch Entlastungsangebote für die Angehörigen zu stärken.

Die AfA unter der Leitung von Christian Rindsfüßer hat umfangreiche Daten zur Lebenssituation der Senioren im Landkreis erhoben, von 10 000 versandten Fragebögen an ältere Bürger kamen 5200 zurück, dazu standen die Mitglieder der Arbeitsgruppe mit allen 29 Städten und Gemeinden sowie den 102 Pflegeeinrichtungen im Landkreis in engem Kontakt. Die Ergebnisse der Befragung wurden in insgesamt zehn Handlungsfelder zusammengefasst: Höchste Priorität haben die Bereiche Wohnen im Alter/Wohnen zuhause, Beratung/Information, Präventive Angebote, Unterstützung für pflegende Angehörige, Kooperation und Vernetzung sowie der größte Sektor, die Pflege und Pflegebedarfsplanung.

Beim Thema "Wohnen" gilt laut Sabine Wenng von der Arge Sozialplanung und Altersforschung, dass der klar überwiegende Teil der Menschen auch im höheren Alter lieber zu Hause wohnen bleiben möchte. Es sei die Aufgabe von Städten und Gemeinden, entsprechende Voraussetzungen zu schaffen, etwa was Barrierefreiheit angehe. Aber auch das Drumherum spiele eine wesentliche Rolle, etwa die Prüfung der Fahrtüchtigkeit von Senioren oder die Einrichtung von Begleitdiensten im öffentlichen Nahverkehr, um beispielsweise Transporte zum Arzt zu gewährleisten.

Für alle Themenfelder erläuterten die Forscher Ergebnisse ihrer Erhebungen, so schlugen sie die Konzeption von Mitmach-Tagen für die Gewinnung von ehrenamtlichen Kräften in der Seniorenbetreuung vor. "Wichtig ist dabei, die Anerkennungskultur zu stärken", sagte Anja Preuß von der Arge. Man müsse also Anreize bieten, um Helfer zu generieren, das Potenzial sei aber sehr groß, weil das Engagement in den Vereinen zurückgehe und die Menschen andere Möglichkeiten suchten, sich einzubringen.

Was die Pflegebedarfsplanung angeht, so müsse weiterhin das Prinzip "ambulant vor stationär" gelten, sagte Susanne Frank, Fachbereichsleiterin Betreuung und Senioren im Landratsamt. Allerdings geht aus den Erhebungen der Arbeitsgruppe hervor, dass die häusliche Pflege im Landkreis mit einem Anteil von 64,6 Prozent aller Pflegefälle hinter dem oberbayerischen Durchschnitt (68,6 Prozent) liegt. Und dass sie einen höheren Stellenwert bekommen muss, weil die aktuell zur Verfügung stehenden stationären Pflegeplätze nur noch bis allerhöchstens 2025 ausreichen. Dabei dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass viele "Fremdbeleger" Plätze in Anspruch nähmen, was dem eigenen Bedarf entgegenstehe, sagte Nicola Gerhardt (CSU). Rindsfüßer entgegnete, man beobachte schon länger, dass etwa die Landeshauptstadt München weniger vollstationäre Pflegeplätze vorhalte, weshalb in den Landkreis ausgewichen würde.

Die Fortschreibung des Seniorenpolitischen Gesamtkonzeptes sieht jedenfalls für die häusliche Pflege vor, dass weitere Entlastungsangebote für die Angehörigen geschaffen werden müssten, etwa in Form eines Nachtpflegeangebots. Neu zu erarbeiten seien Pflegelösungen für Bedürftige mit Migrationshintergrund, die stationären Einrichtungen für Demenzkranke müssten zudem weiter ausgebaut werden, heißt es in dem Konzept.

Die Mitglieder des Sozialausschusses begrüßten die Arbeit der Arge: "Wir können froh sein, dass wir in so einem Landkreis leben", sagte etwa die Grüne Gudrun Hackl-Stoll. Günter Heyland (Freie Wähler) ergänzte, dass es wichtig sei, weiterhin vorausschauend zu planen, weil die Gesellschaft noch älter werde: "Wenn wir jetzt tätig werden, greifen die Maßnahmen in fünf Jahren." Es gelte, Ressourcen bei der ärztlichen Versorgung in den einzelnen Gemeinden zu sichern, den Bau von Wohnungen für Senioren voranzutreiben und Altersarmut zu bekämpfen. Außerdem müssten Pflegeberufe attraktiver werden, hier hoffe er auf ein Modellprojekt im Landkreis, das man später übertragen könne.

Florian Schardt (SPD) schlug vor, Menschen für soziales Engagement in der Betreuung von Senioren zu gewinnen, die gerade aus dem Berufsleben ausgeschieden sind. "Heutzutage ist ein Engagement auch 20 Jahre nach der Pensionierung noch möglich." Diese Ressource müsse man nutzen, viele Menschen wären froh, nach dem Job noch eine Aufgabe zu haben.

Die CSU-Fraktion brachte gleich noch ein ganzes Paket an Anträgen ein, um das Konzept zu ergänzen: Unter anderem schlug sie vor, Modelle zu entwickeln, um mehr Menschen in Wohneigentum zu bringen und dadurch Altersarmut vorzubeugen. Die Christsozialen sprachen sich für spezielle Einkaufsmodelle für Ältere in den Supermärkten wie eigene "Seniorenkassen" ohne Zeitdruck aus und schlugen den Ausbau von On-Demand-Angeboten im Nahverkehr vor, speziell im ländlichen Bereich.

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SZ vom 18.05.2021
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