Langzeitarbeitslos im Landkreis München:Abgehängt vom Boom

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Etwas mehr als 1300 Menschen sind im Landkreis München ein Jahr und länger arbeitslos. (Foto: dpa)

Der Landkreis prosperiert seit Jahren, die Arbeitslosigkeit liegt nahe der Vollbeschäftigung. Gleichzeitig wächst aber die Zahl derjenigen, die immer länger nach einem Job suchen.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis

In keiner anderen Region Deutschlands ist die Nachfrage nach hoch qualifizierten Arbeitnehmern so ausgeprägt wie in der Landeshauptstadt und dem Landkreis München. Und das Interesse der Unternehmen an bestens ausgebildeten - meist jungen - Menschen steigt kontinuierlich, sagt Simone Burger.

Dieser auf den ersten Blick sehr positive Effekt der wirtschaftlichen Prosperität der Region stellt für die Geschäftsführerin des Deutschen Gewerkschaftsbundes für Stadt und Landkreis allerdings auch ein Problem dar: "Denn das bedeutet auch, dass es gleichzeitig für schlechter oder sogar überhaupt nicht ausgebildete Menschen immer weniger Chancen gibt."

Für den Landkreis München spiegelt sich dies in einer Zahl wieder: Etwas mehr als 1300 Menschen befinden sich derzeit in der Langzeitarbeitslosigkeit. Das heißt, diese Frauen und Männer sind ein Jahr und länger arbeitslos gemeldet.

Seit geraumer Zeit hat sich die Arbeitslosenquote im Landkreis insgesamt um die 2,7 Prozent eingependelt. Das heißt: Etwa 4900 Einwohner sind ohne Beschäftigung. Ihnen gegenüber stehen mehr als 2800 Stellenangebote beim Jobcenter. Das sind Werte nahe der Vollbeschäftigung. Manche Experten sagen gar, es herrsche bereits Vollbeschäftigung. Schließlich gibt es immer einen geringen Prozentsatz, der mangels Qualifikation oder aus gesundheitlichen Gründen nicht vermittelbar ist. Die guten Zahlen allerdings helfen all jenen nicht, die seit längerer Zeit ohne Beschäftigung sind, also in der Langzeitarbeitslosigkeit festsitzen und mit jedem Tag mehr bangen müssen, ob sich für sie auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch Chancen ergeben.

Im Durchschnitt 619 Tage ohne Job

Auf Nachfrage der Linken im Deutschen Bundestag hat die Bundesagentur für Arbeit nun Daten vorgelegt, die belegen, dass sich die Chancen für Hartz-IV-Empfänger immer weiter verschlechtern. Durchschnittlich sind Langzeitarbeitslose heute 619 Tage ohne Job, vor fünf Jahren waren es "nur" 555 Tage. Und das alles trotz guter Konjunktur. Im Landkreis, sagt der Leiter des Jobcenters im Landratsamt, Bernhard Sexl, gehe die Arbeitslosigkeit seit Jahren leicht zurück. Seine Behörde konzentriere sich auch mit speziellen Programmen auf die über 50-Jährigen und versuche Menschen, die eine gewisse Scheu vor dem Jobcenter haben, direkt anzusprechen. "Es gibt bei manchen ein Suchtproblem, andere haben Angst vor der Arbeitsunfähigkeit. Die wollen wir zurückholen und ihnen Chancen eröffnen", sagt Sexl. Etwa 400 bis 500 Menschen seien aber schon lange Zeit arbeitslos. "Da wird es schwierig. Aber wir versuchen alles."

"Die Wirtschaft legt ja gerade im Landkreis München im Vergleich zu den meisten anderen Regionen Deutschlands noch einmal mehr zu", sagt DGB-Geschäftsführerin Burger. "Dennoch ist Langzeitarbeitslosigkeit hier keine Seltenheit. Viele Menschen werden von der sich immer rasanter entwickelnden Arbeitswelt abgehängt und schaffen dann den Wiedereinstieg nicht mehr." Eine dynamische Arbeitswelt, sagt Burger, klinge ja zunächst gut. "Aber das heißt meistens auch, dass Menschen mehr arbeiten müssen. Durch die Digitalisierung arbeiten sie auch überall. Viele sind dem nicht gewachsen."

Vor allem Ältere tun sich schwer

Es sind vor allem ältere Arbeitnehmer, die sich schwer tun, nach dem Jobverlust wieder in die Arbeitswelt zurückzufinden. Doch auch viele Junge sind mittlerweile betroffen; insbesondere dann, wenn sie die Schule ohne Abschluss verlassen oder ihre Ausbildung nicht beenden. Früher, sagt Burger, sei dies kein großes Problem gewesen: "Da hat man schon als Hilfsarbeiter gutes Geld verdient, sich selbst qualifiziert und dann irgendwann Meistertätigkeiten ausgeübt." Heute würden Unternehmen in den allermeisten Fällen einen Akademiker einem Facharbeiter vorziehen.

Laut Burger existiert eine "gläserne Decke nach oben". Langzeitarbeitslose würden zwar deutlich erkennen, welche Möglichkeiten es gibt. "Aber sie brechen durch diese Decke nicht durch. Erwartungen bleiben unerfüllt und das führt auch zu seelischen Belastungen." Die Aufstiegsversprechen, die einst funktioniert haben, würden heute nicht mehr greifen. Und dann werde eine Spirale in Gang gesetzt: Jobverlust und Existenzängste verursachten Krankheiten und gesundheitliche Probleme führten wiederum zum Jobverlust.

Ein neues Phänomen: die Leiharbeiter

Bernhard Sexl hält dagegen, dass die Zahlen in seinem Amt für sich sprächen: "Sie gehen zurück, obwohl der Landkreis wächst." Dennoch hat ein neues Phänomen der Arbeitswelt auch den Landkreis erfasst: die Leiharbeiter. Diese verlieren besonders häufig und besonders schnell ihren Job. Seit dem Jahr 2003, erinnert sich Burger, hat es einen kontinuierlichen Anstieg bei den Leiharbeitern gegeben. Seit 2013 stagniere der Weg zwar, dies aber auf einem hohen Niveau.

Mehr als 22 000 Leiharbeiter gibt es mittlerweile in der Landeshauptstadt. Im Landkreis sind es mehr als 2600. "Das ist eine Entwicklung, die wir als Gewerkschaft nicht gutheißen", sagt Burger. "Diese Menschen sind besonderen Belastungen ausgeliefert, verdienen oft schlechter und sind dadurch natürlich gefährdet, in die Arbeitslosigkeit abzurutschen."

© SZ vom 12.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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