Irgendwann - zehn, 15 Jahre ist es vielleicht her - fing Nikolaus Kraus zu grübeln an. Er ist Landwirt, bewirtschaftet 25 Hektar Acker in Ismaning, Getreide, Erbsen, Soja. Damals schon las er von Bauern in Indien, die sich das Leben nahmen, weil sie sich bei Monsanto, dem großen amerikanischen Agrarkonzern, verschuldetet hatten. Sie konnten das teure Saatgut nicht mehr bezahlen. Kraus las weiter, stieß auf Artikel über Glyphosat, ein Unkrautvernichtungsmittel, das Monsanto vertreibt. Danach beschloss er, das Herbizid nicht mehr zu verwenden. Nur, wenn das Unkraut zu stark wuchert, alle paar Jahre mal. Weil er es auf der Landwirtschaftschule so gelernt hat. Weil alle das so machen. Aber eigentlich fühlte er sich nicht wohl damit - Kraus hatte Angst um seine Gesundheit und die seiner Kinder.
Bei Kraus gingen die Zweifel los, lange bevor sich Landwirte, Journalisten, Politiker, Verbraucher und Umweltschützer um diese zwei Wörter zu streiten begannen: "wahrscheinlich krebserregend". So schätzte die Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Ende 2015 Glyphosat in einer Studie ein. Auf der ganzen Welt wird kein Herbizid häufiger auf die Äcker gesprüht. Es ist günstig: Auf Ebay bekommt man den Liter für um die sieben Euro. Und es ist wirksam. Glyphosat tötet alles ab.
Entscheidung bis zum 15. Dezember
Die Diskussion um das Mittel wurde immer hitziger - vor allem, weil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit zu einem anderen Urteil kam als die WHO. Glyphosat ist ihrer Ansicht nach unbedenklich. Bis zum 15. Dezember müssen die Mitgliedstaaten der Europäischen Union entscheiden, ob sie die Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel verlängern wollen. Doch diesen Donnerstag haben sie einen Beschluss darüber erneut vertagt. Deutschland enthielt sich der Stimme - so wie Bulgarien, Polen, Portugal und Rumänien. Kommt keine Einigung zustande, muss die Kommission eine Entscheidung treffen. Sie empfiehlt, dass Glyphosat noch fünf weitere Jahre lang zugelassen werden soll.
Der Ismaninger Landwirt Nikolaus Kraus verzichtet inzwischen komplett auf Glyphosat. Ihn ärgert, dass sich die Regierung nicht entscheiden will, wie es mit dem Mittel weitergehen soll. Und deshalb möchte er ein Zeichen setzen. Kraus ist Gemeinderat und Landtagsabgeordneter der Freien Wähler. Diese stellten im Kreistag jetzt den Antrag, dass der Landkreis München auf seinen Flächen Glyphosat verbieten soll - so wie es zuvor die Grünen und die ÖDP schon forderten. Und so wie es auch schon in Kirchheim beschlossen wurde und vielleicht bald in Unterhaching beschlossen wird.
Doch der Landkreis verpachtet gerade einmal 14 Hektar an Bauern - von 19 000 Hektar landwirtschaftlicher Fläche insgesamt. Und zur Unkrautbekämpfung zum Beispiel auf Grünstreifen verwendet er das Mittel gar nicht. Der Antrag ist also Symbolpolitik - das geben die Freien Wähler auch offen zu. "Die Abgeordneten sollen sehen, dass wir hier im Landkreis München Glyphosat nicht mehr wollen", sagt ihr Kreisrat Otto Bußjäger. Begeistert seien die Landwirte aus der Umgebung von dem Antrag nicht gerade gewesen, räumt er ein. Bußjäger stellte ihn vor knapp einer Woche, seitdem hatte er mindestens 25 verärgerte Bauern am Telefon. Dabei ist er sich sicher: Ein Verbot von Glyphosat würde den Landwirten im Münchner Raum helfen.
Denn anders als die großen Betriebe, zum Beispiel in Ostdeutschland, würden die traditionellen bayerischen Bauern ohnehin auf das Mittel verzichten, wann immer es geht. Wäre Glyphosat für alle verboten, so Bußjägers These, hätten die Bayern einen Vorteil. Schaden würde es den industriellen Betrieben, in denen Manager statt Landwirte das Sagen haben und die sich bei einem Verbot erst umstellen müssten.
Trotzdem ist Kreisbauer Anton Stürzer nicht erfreut über den Antrag. "Wir Landwirte", sagt er "sind jetzt wieder in der Schusslinie." Aus seiner Sicht wird eine Hysterie verbreitet, die nicht gerechtfertigt sei. Dabei sagt er selbst, Bauern im Landkreis würden Glyphosat nur im Notfall verwenden - alle fünf bis zehn Jahre vielleicht. Aber wenn die Landwirte das Mittel so selten brauchen, warum können sie es dann nicht ganz weglassen?
Glyphosat tötet alle Pflanzen ab. Es unterscheidet nicht zwischen Unkraut und Getreide. Durch Genmanipulation wurden in den USA Nutzpflanzen gegen das Herbizid resistent. Doch in Deutschland ist diese Art Saatgut verboten. Die Folge: Landwirte können Glyphosat nur verwenden, bevor sie säen, um die Stoppeln auf dem Acker abzutöten. Kein Unkraut soll später dem Getreide das Licht und die Nährstoffe nehmen. Um das zu erreichen, könnten die Bauern den Boden auch mechanisch bearbeiten - mit dem Pflug oder Grubber. Doch das ist aufwendiger. Es kostet mehr Sprit und mehr Zeit, also Geld, und das müssten die Bauern ohnehin sparen. Landwirt Kraus erzählt, er habe dieses Jahr für hundert Kilo Getreide gerade einmal 12,50 Euro erhalten. Dass die Bauern da die Betriebskosten möglichst gering halten wollen - verständlich.
Ein Verzicht ist laut Kraus vertretbar
Trotzdem sagt Kraus: Der Aufwand, auf Glyphosat zu verzichten, sei vertretbar. Und Johann Keller, Verwalter der Agrar Grasbrunn, einem 400 Hektar großen Betrieb, klingt ähnlich. Er experimentiere schon länger, wie sich Glyphosat am besten vermeiden lässt. "Eine Umstellung, aber machbar." Und auf Dauer, da ist er sich sicher, wird es ohnehin ohne Glyphosat gehen müssen. "Vielleicht wird es jetzt noch einmal fünf Jahre zugelassen. Aber dann?"
Keller schätzt, dass er ohne Glyphosat pro Hektar etwa zehn bis 20 Euro mehr investieren muss. Der höhere Aufwand müsste sich im Preis niederschlagen, findet er. Doch dass sich der Kunde, wenn er vor dem Supermarktregal steht, für das teuerere heimische Produkt entscheiden würde, bezweifelt der Landwirt: "Selbst wenn wir alles perfekt machen, es interessiert den Verbraucher nicht. Er greift immer zum billigsten Lebensmittel."