Ballungsraum:Druck durch Zugezogene: Die Dorfflucht der Landwirte

Kühe haben noch reichlich Platz auf dem Hof von Robert Lechner in Sauerlach.

Die Viecher haben noch reichlich Platz auf dem Hof von Robert Lechner in Sauerlach. Doch auch die idyllische Gemeinde wächst immer weiter.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Früher gehörten die Landwirte im Landkreis München wie selbstverständlich zum Ortsbild. Heute werden die Bauern an den Rand gedrängt - und manch ein Nachbar will sogar dem Hahn das Krähen verbieten. Eine Analyse.

Von Michael Morosow

Johann Lechner aus Sauerlach ist Landwirt aus Überzeugung, dennoch kennt er Situationen, in denen ihm sein Beruf keine Freude bereitet. Etwa wenn er um 6 Uhr morgens mit einem schweren Kipper auf der Landstraße Richtung Wolfratshausen fährt, um Graspellets für seine Kühe zu besorgen. Nur an zwei Stellen auf der ganzen Strecke kann er rechts rausfahren, um die Autoschlange, die sich hinter ihm gebildet hat, vorbeiziehen zu lassen. "Das ist eine Stunde lang der reinste Horror, die Leute zeigen mir den Stinkefinger und hupen mich an", sagt er.

Es sind die gleichen Leute, die Wert auf frische Milch legen und nur Eier von freilaufenden Landhühnern in den Einkaufskorb legen. Ein Foto vom Kipper und einem Stinkefinger würde trefflich das Konfliktfeld darstellen, auf dem sich Landwirte und Verbraucher regelmäßig begegnen.

Als zuletzt der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum München (PV) im Ayinger Sixthof unter anderen mit Fachleuten aus Politik, Wissenschaft und Handwerk die Chancen und Risiken in den sogenannten ländlichen Räumen beleuchtete, warf der Beamer freilich ein anderes Bild auf die Leinwand: Kirche, Traktor, Weizenfeld, Bauernhof - und ein Windrad, das sich wie ein Symbol über das über Jahrhunderte gewachsene Dorf erhebt. Die Energiewende zieht eben auch ihre Furchen auf dem Feld der Viehwirtschaft und des Ackerbaus. Und nicht wenige Bauern, die Energie ernten, säen damit Unfrieden in der heimischen Bevölkerung.

Nun ist der ländliche Raum nicht alleiniges Refugium der Bauern. Sie müssen ihn teilen - mit Ortsansässigen und auch dem Typ Neubürger, der Schweine und Kühe nicht als Nachbarn akzeptiert, der dem Gockel das Krähen verbieten lassen will, gegen Kirchengeläut vorgeht, und, wie im Vorjahr in Tegernsee geschehen, gegen den Duft frischer Semmeln aus einer Bäckerei vor Gericht zieht. Auch in ihrer Gemeinde häuften sich Beschwerden von Neubürgern, sagt Sauerlachs Bürgermeisterin Barbara Bogner (UBV), die wie der Schäftlarner Gemeindechef Matthias Ruhdorfer der PV-Veranstaltung beiwohnte.

Das in Jahrhunderten erprobte enge Zusammenleben von Bauern und Bevölkerung gehört, allzumal im Ballungsraum München, schon längst der Vergangenheit an, den Misthaufen in der Ortsmitte gibt es in keiner einzigen der 27 Gemeinden und zwei Städte des Landkreises mehr. Und mit ihnen haben sich auch fast alle Bauern vom Acker gemacht und sind mit Hof und Vieh hinter den Ortsrand geflüchtet, wo die immissionsschutzrechtlichen Auflagen gnädiger sind - und hinterlassen eine Lücke im Ortskern.

Wenn die Bauern gehen, kommen die Neubürger

Was in der Regel mit der Fläche des aufgelassenen Bauernhofs passiert, ist klar im Speckgürtel der boomenden Großstadt mit explodierenden Grundstückspreisen und einem Wachstumsdruck, der auch das Land erfasst: "Dorthin ziehen dann die, die es sich leisten können. Aus der ganzen Bundesrepublik kommen sie, wie ein Künstler aus Köln, der dann aber seine Ruhe haben will", sagt der Schäftlarner Bürgermeister Matthias Ruhdorfer. 15 Milchviehbetriebe hat es in seiner Jugend noch im und am Ort gegeben, heute sind es noch drei. Ruhdorfer weist auf einen Kollateralschaden hin, der mit dem Auszug der Bauern einhergeht: Früher hätten alle 15 Milchbauern ihre Milch an einer Sammelstelle abgegeben, hier sei der Treffpunkt gewesen, wo auch die Dorfbewohner zusammenkamen. Heute fehle dieser Treffpunkt, und die Bauern und die Bevölkerung fänden kaum noch zueinander.

"Man muss versuchen, Treffpunkte anderswo zu erzeugen", sagt Ruhdorfer. Zu den drei Schäftlarner Bauern, die noch eine Landwirtschaft betreiben, gehört Franz Strobl, der 70 Milchkühe und ebenso viele Rinder zur Nachzucht auf der Weide stehen hat, seit zehn Jahren auf Bio setzt und sich bis heute mit seinem Betrieb im Ort, wenn auch am Ortsrand, gehalten hat. Er zeigt sich heute noch dankbar für die weitsichtige Entscheidung seiner Vorfahren, keinen Hektar Grund zur Bebauung zu verkaufen. Erstens haben die Viecher so ihren freien Auslauf behalten, und zweitens ist man vor dem Problem gefeit, durch nahe Wohnbebauung so richtig in den Würgegriff des Immissionsschutzes zu geraten, dessen Grenzwerte sich an den Abstandsflächen orientieren.

Landwirt Robert Lechner aus Sauerlach.

Landwirt Robert Lechner aus Sauerlach.

(Foto: Sebastian Gabriel)

Er kenne Landwirte, die zwar einen Teil ihres Grundes verkauften, im Kaufvertrag aber festlegen, dass die Käufer die Immissionen des landwirtschaftlichen Betriebes dulden müssten. Auch Strobl beklagt den Verlust der klassischen Kommunikationsstellen. "Früher haben sich auf dem Feld 20 Bauern zu einem Ratsch getroffen, heute trifft man einen Bauern, und der hat keine Zeit." Strobl sieht für ein gedeihliches Zusammenleben im Ort auch seinen Berufsstand in der Pflicht. "Man sollte schon Rücksicht nehmen auf die Mitbürger, zum Beispiel an Wochenenden keine Gülle fahren und nachts nicht silieren", sagt Strobl.

Bürgermeisterin Bogner weiß von vier Sauerlacher Landwirten, die mit ihren Betrieben den Ort verlassen haben. Robert Lechner ist 1991 mit seinen Eltern von der Ortsmitte an die Peripherie gezogen, weil, so sagt er, ein Wohngebiet bis auf 80 Meter an den Hof herangerückt war und es deshalb keine betrieblichen Erweiterungschancen mehr gegeben hätte. Der Umzug habe sich bewährt, sagt Lechner, der auf seinem Aussiedlerhof reichlich Platz hat für 167 Stück Vieh und für seine Hühnerzucht, mit der er vor fünf Jahren Europameister wurde. Lechner ist auf seinem Aussiedlerhof nicht vereinsamt. Als CSU-Gemeinderat und Jugendbetreuer beim TSV Sauerlach pflegt er gute Beziehungen zu den Menschen im Ort, er meint aber auch: "Wenn ein Bauer rauszieht, verschwinden Gebäude und Leben aus der Ortsmitte, die Ortschaft verliert ihr Gesicht."

Dass gerade der Süden des Landkreises Menschen magnetisch anzieht, dafür hat Barbara Bogner eine Erklärung: "Wir leben dort, wo andere Urlaub machen." Das wollen auch immer mehr Großstädter.

Der Wohnungsbau folgt dem Hase-Igel-Spiel

Nach Ansicht von Professor Holger Magel, Präsident der Bayerischen Akademie Ländlicher Raum, gleicht das Wettrennen im Wohnungsbau in München und dem Ballungsraum einem Hase-und-Igel-Spiel - "je mehr gebaut wird, desto mehr Zuzügler kommen nach. Verlierer sind Ortsbilder und Landschaften. Hauptsache die Ökonomie stimmt." Und wenn der Planungsverband verkünde, es sei noch Platz für 400 000 Zuzügler, dann frage er sich, wie jemals die Entlastung von München und Region geschehen soll. Seine Forderung: Es müsse endlich eine Landeskonferenz etabliert werden. Mit ernsthaften Diskussionen darüber, wie München und Region entlastet werden können - zugunsten anderer ländlicher Regionen.

Ebenso so schwer zu erfüllen dürfte der Wunsch der langjährigen Kreisbäuerin Maria Knoller aus Aschheim an den Gesetzgeber sein. Dieser solle dem "Entzug von Flächen für neue Verkehrsflächen" Einhalt gebieten und die Enteignungsfristen verlängern. Katharina Binsteiner, Sprecherin des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Ebersberg , sähe ein Konfliktfeld beseitigt, würden die Gemeinden auf ihre Landwirte zugehen, um deren Entwicklungswünsche für die nächsten 15 Jahre zu erfahren. Und außerdem mache es keinen Spaß, wenn ständig die Hofzufahrt zugeparkt sei. Wenigstens dieses Problem im ländlichen Raum sollte lösbar sein.

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