Süddeutsche Zeitung

Landtagskandidaten auf dem Podium:Sticheleien und ungewöhnliche Allianzen

Drei Stunden lang diskutieren die Direktkandidaten im Unterschleißheimer Bürgerhaus vor rund 300 Zuhörern. Diese erleben einen Titelverteidiger und eine Herausforderin, die sich beharken, sowie zwei Bewerber, die mit ihren Auftritten überraschen.

Von Irmengard Gnau und Martin Mühlfenzl, Unterschleißheim

Es dauerte ein bisschen, bis die Diskussion in Gang kam vor den etwa 300 Zuschauern im Bürgerhaus Unterschleißheim, wohin die Volkshochschule Nord zusammen mit der Süddeutschen Zeitung und dem Münchner Merkur am Montag zum Wahlpodium mit den Landtagskandidaten von CSU, SPD, Grünen, Freien Wählern, FDP, AfD und Linken geladen hatte. Zeitweise war deutlich zu spüren, dass der Wahlkampf sich in seinen letzten Tagen befindet, die Kandidaten schon mehrfach in der Debatte aufeinandergetroffen sind. Vor allem die beiden Landratsstellvertreter Annette Ganssmüller-Maluche (SPD) und Ernst Weidenbusch (CSU) verloren sich einige Male im persönliche Kleinklein - zum Unmut des Publikums. Die Kandidaten im Einzelnen:

Ernst Weidenbusch, das politische Viech, kämpft, tobt, verdreht die Augen und wendet sich das eine und andere Mal ab - um dann sein ganzes Faktenwissen einzubringen. So gleich zu Beginn bei einem Thema, das den nördlichen Landkreis elektrisiert: der geplante Umzug der Hubschrauberstaffel der Landespolizei nach Oberschleißheim. Der CSU-Stimmkreisabgeordnete sagt über seine Beteiligung am überparteilichen Protest, er setze sich immer dann zur Wehr, wenn es notwendig sei. "Und hier ist es notwendig. Dort gehört die Hubschrauberstaffel nicht hin." Deshalb habe er dagegen Klage erhoben und sich damit gegen seinen Parteifreund Innenminister Joachim Herrmann gestellt. Auf seine "Franz Josef Strauß würde keine Nazis wählen"-Plakate angesprochen, antwortet Weidenbusch, fast nur positive Reaktionen erhalten zu haben. Für eine dritte Startbahn am Münchner Flughafen sieht er keinen "direkten Anlass", dafür aber für einen Autobahn-Südring und die Aufnahme aller Landkreiskommunen bei der MVV-Tarifreform in den neuen Innenraum. Die verbalen Scharmützel mit Annette Ganssmüller-Maluche gehören für den Christsozialen ebenso dazu, wie das Ignorieren des AfD-Kandidaten. Weidenbusch ist in Unterschleißheim - trotz Erkältung - vollends im Wahlkampfmodus. Dazu passt auch das "Fake News"-Plakat, das er mehrmals Richtung Publikum hält, wenn er der Meinung ist, ein Konkurrent auf dem Podium sagt die Unwahrheit. Für seinen Auftritt erntet der Titelverteidiger viel Zuspruch - ganz vorne an der Bühne haben sich seine Sympathisanten versammelt.

Für Annette Ganssmüller-Maluche ist der Abend keine Gala. Zwar präsentiert sich die SPD-Kandidatin selbstbewusst und zumindest anfangs mit klaren, durch Fakten unterfütterten Aussagen, für die sie ebenfalls viel Applaus von ihren Sympathisanten erhält. Ihr Einsatz dafür, dass die MVV-Tarifreform nachverhandelt wird und der Freistaat Geld zuschießt, kommt gut an; auch bei der Demonstration vergangene Woche gegen die Verlegung der Polizeihubschrauberstaffel hat sie Präsenz gezeigt. Nicht zuletzt muss man ihr Haltung zuerkennen, wenn sie als bekennende "Nord-Frau" aus Ismaning einräumt, ihre Meinung in Sachen Südring geändert zu haben und offen sagt: "Der Südring wird nicht kommen." Bei vielen anderen Themen verliert sich die 57-Jährige jedoch zu sehr im Kleinklein. Ihre Forderungen zur Bildung, eigentlich ein Spezialgebiet, klingen überladen und wenig griffig, vor allem aber die Hakeleien mit Weidenbusch wirken wenig souverän. Statt etwa die Verantwortung der Regierungspartei für Probleme herauszustellen, bleibt eher der Eindruck, Ganssmüller-Maluche wolle eine persönliche Fehde mit Weidenbusch austragen.

Claudia Köhler darf sich dagegen als eine der Gewinnerinnen der Diskussion fühlen. Die Grüne aus Unterhaching lässt nicht erkennen, dass sie sich im Landkreisnorden schlechter auskennt. Köhler betont ihre grüne Seite, aber auch ihre bayerische Herkunft und Verwurzelung. Als in Kirche, Feuerwehr und weiteren Ehrenämtern engagierte sei sie "konservativ im besten Sinn". Von Moderator Lars Brunckhorst (Süddeutsche Zeitung) auf eine mögliche Koalition mit der CSU angesprochen, bleibt Köhler vage und hält sich an die Parteilinie: Reden könne man über vieles, aber am Ende werde es sich an den Themen entscheiden. Dabei spart auch Köhler nicht mit Spitzen gegen die CSU und Weidenbusch, etwa beim 365-Euro-Ticket für den MVV. Diesen Vorschlag habe Ministerpräsident Söder schlicht von den Grünen übernommen.

Linke-Kandidat Robert Hamm sitzt nicht nur ganz außen auf dem Podium, seine Position ist auch sinnbildlich: Den ganzen Abend über bleibt der 29-jährige Informatikstudent aus Garching ein wenig außen vor. Auf seiner ersten Diskussionsveranstaltung vor großem Publikum gelingt es dem Politikneuling selten, seine Positionen anzubringen. Selbst als Hamm die Forderung der Linken nach einem kostenlosen Nahverkehr anbringt oder kritisch hinterfragt, warum angesichts Verkehrs- und Wohnungsnot immer mehr Arbeitsplätze in der Region München konzentriert würden, bleibt eine Reaktion der Zuschauer aus. Bei den Themen Hubschrauberstaffel, Bildungs- und Seniorenpolitik bekennt er offen, dass das nicht sein Spezialgebiet sei.

Nikolaus Kraus von den Freien Wählern hingegen dürfte zufrieden nach Hause gegangen sein. Der Ismaninger erwirbt sich mit knackigen Forderungen und bairischem Zungenschlag einige Sympathien unter den Zuschauern. Als Landtagsabgeordneter aus der Opposition hat er den Bonus, einerseits beredt von Entscheidungen aus dem Maximilianeum berichten zu können, gleichzeitig aber die regierende CSU für Fehler zu rügen. In Jeans und Trachtenjanker gibt er auch optisch einen Kontrast zu Weidenbusch im dunklen Anzug. In seinem Fachgebiet bringt Kraus die Forderung nach einem weltweiten Glyphosatverbot und mehr Wertschätzung für Landwirte an, weiß sich aber auch bei den übrigen Themen geschickt zu positionieren. Applaus bekommt er für sein Nein zur dritten Startbahn, aber auch für die Mahnung, günstige MVV-Tickets müssten auch finanziert werden: "Nichts ist kostenlos." In der Pflege regt er an, Roboter und künstliche Intelligenz mehr zu nutzen.

Es kommt nicht allzu oft vor, dass ein Liberaler den Schulterschluss mit einem Linken sucht - gerade wenn es ums Geld geht. Aber Thomas Jännert präsentiert sich nicht als Marktradikaler. Beim Thema MVV-Tarifreform überrascht der FDP-Kandidat mit seinem Ja dafür, dass Schüler und Studenten den öffentlichen Nahverkehr kostenlos nutzen sollen. Auch gegen sozialen Wohnungsbau sträubt sich Jännert nicht, sagt aber auch: "Wir müssen schauen, wie viele Fehlbelegungen in den Sozialwohnungen sind." Generell gelte für ihn: "Wir müssen bauen, bauen, bauen." Es müsse auch nachverdichtet werden, über Supermärkten etwa müsse mehrstöckig gebaut werden. Der Liberale spricht sich für den Ringschluss aus, allerdings "nur als Tunnellösung". Die Natur dürfe nicht zerstört werden. Mit seiner zurückhaltenden Art gehört der Kirchheimer Unternehmer nicht zu den Lautsprechern auf dem Podium; als engagierter Mittelständler bei der Ausbildung von Geflüchteten etwa muss sich Jännert aber nicht hinter dem prominenten Parteifreund Helmut Markwort verstecken, der im Süd-Stimmkreis antritt.

Rainer Gross, wenn auch rechtsaußen auf dem Podium platziert, sucht inhaltlich die Nähe zu seinen sechs Kontrahenten. Dem Direktkandidaten der AfD kann sicher nicht unterstellt werden, lautstark und aggressiv auf volle Konfrontation zum politischen Gegner zu gehen. Ruhig und konziliant im Ton argumentiert der Gautinger. Nur manchmal blitzt durch, dass auch er nicht allzu viel von jenen hält, die bisher im Freistaat das Ruder in der Hand halten. Ausgerechnet beim Thema MVV-Tarifreform etwa: Was da ausgehandelt wurde, sei eine "Diskriminierung der Pendler". Die Ticketpreise müssten fallen, fordert der Landesbanker, bleibt aber die Antwort schuldig, wie das finanziert werden soll. Seine Argumentationslinie: Er und seine Partei könnten "frei aufspielen", "weil wir sozusagen keine schmutzigen Finger haben". Bei den meisten Themen legt sich der AfD-Mann nicht fest. Ein Einwanderungsgesetz? Eigentlich nicht notwendig. Einen Fachkräftemangel gebe es schließlich gar nicht. Die Ansiedlung der Polizeihubschrauber in Oberschleißheim? Gut wäre, wenn niemand beeinträchtigt würde. "Aber wir alle wollen gerettet werden."

Nach drei Stunden intensiver Diskussion ergibt die Frage von Co-Moderator Günter Hiel an die Zuhörer, wer sich umentschieden habe, dass die Kandidaten es offenbar gleichermaßen geschafft haben, die Erwartungen ihrer Anhänger zu bestätigen. Knapp zwei Wochen vor der Wahl haben sich wohl die meisten schon festgelegt.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2018
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