Verkehr:Der Stau endet nicht an der Stadtgrenze

Verkehr: Auf dem Föhringer Ring gehört Stau zum Alltag.

Auf dem Föhringer Ring gehört Stau zum Alltag.

(Foto: Florian Peljak)

In den Umlandgemeinden sind die Straßen zur Rushhour ähnlich verstopft wie in München. Politiker von SPD und Grünen fordern deshalb vor allem einen Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs nach dem Vorbild Wiens.

Von Martin Mühlfenzl, Ismaning/Oberschleißheim

Wer tagtäglich in der Früh mit dem Auto etwa auf dem Föhringer Ring zu einem der Medienunternehmen in Unterföhring pendelt oder auf der B 471 nach Ismaning, dürfte die zu Beginn der Woche verbreitete Neuigkeit eher gelangweilt zur Kenntnis genommen haben - und das sehr wahrscheinlich im Schritttempo oder gar stehend: München ist wieder mal Deutschlands Stau-Hauptstadt. Durchschnittlich 74 Stunden im Jahr verbringen die Menschen hier Stoßstange an Stoßstange im Auto.

Nun ist es aber beileibe nicht so, dass der Verkehr hinter der Stadtgrenze plötzlich reibungslos zu fließen beginnt. "Es ist ja nicht nur die Stadt. Der gesamte Ballungsraum München ist die Stau-Hauptstadt Deutschlands - und der Druck auf den Landkreis enorm", sagt Markus Büchler. Der Verkehrsexperte der Grünen-Landtagsfraktion erlebt den Verkehrswahnsinn in seiner Heimatgemeinde Oberschleißheim jeden Tag hautnah mit. Bis zu 17 000 Fahrzeuge am Tag wälzen sich nördlich der malerischen Schleißheimer Schlossanlage auf der engen B 471 durch den Ort - und der Verkehrsdruck nimmt immer weiter zu, was vor allem mit der dynamischen wirtschaftlichen Entwicklung des Landkreises und dem damit verbundenen Bevölkerungswachstum zu tun hat. Etwa 350 000 Einwohner hat der Landkreis München mittlerweile, mehr als 370 000 sollen es im Jahr 2040 sein.

In der Vergangenheit war sehr eindeutig zu definieren, wohin die Landkreisbürger zur Arbeit pendelten: Die Menschen aus dem Umland der Landeshauptstadt fuhren in der Früh mit dem Auto oder der S-Bahn in die Stadt und am Abend wieder nach Hause aufs Land. Mittlerweile aber hat sich dieser Trend komplett in sein Gegenteil verkehrt. Tagtäglich pendeln mehr als 187 000 Menschen zum Arbeiten in den Landkreis München mit seinen mehr als 250 000 sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen ein - die allermeisten davon aus der Stadt München. Und nur noch etwas mehr als 93 000 Menschen fahren aus dem Landkreis München in die Landeshauptstadt oder Nachbarlandkreise zur Arbeit. Und noch immer nutzen sie dabei in großer Zahl das Auto.

Verkehr: Auf der B 471, der Parallele zur A 99, kommt es regelmäßig zu Staus.

Auf der B 471, der Parallele zur A 99, kommt es regelmäßig zu Staus.

(Foto: Florian Peljak)

Deutlich wird dies jeden Morgen und Abend etwa auf der B 471 oder der Ostumfahrung der A 99 bei Garching, Ismaning, Aschheim, Kirchheim oder auf der B 304 in der Gemeinde Haar. Weit mehr als 20 000 Fahrzeuge produzieren am Tag zwischen Garching und Aschheim auf der Bundesstraße lange Kolonnen, auf der trotz des laufenden Ausbaus auf acht Spuren chronisch überlasteten A 99 sind an Spitzentagen mehr als 160 000 Fahrzeuge unterwegs. Durch Haar wälzen sich täglich an die 36 000 Fahrzeuge auf jeweils drei Spuren stadtein- und auswärts; an der Grenze der Landeshauptstadt wird die Bundestraße dann auf nur noch zwei Spuren verengt, was zusätzlich mit den vielen Kreuzungspunkten zu einer Verlangsamung des Verkehrsflusses führt.

"Gefühlt sind wir bei der S-Bahn auf dem Stand der Olympischen Spiele 1972"

"Die Pendlerbeziehungen sind dabei immer weiter geworden. Menschen fahren von weiter her in die Landeshauptstadt oder zu uns nach Ismaning, und natürlich kommen auch immer mehr Pendler aus der Stadt in unsere Gemeinde", sagt Ismanings Bürgermeister Alexander Greulich (SPD), der mantraartig wiederholt, der nördliche Landkreis München ersaufe im Verkehr. Dass etwa die B 471 auf vier Spuren erweitert werden soll und die Ostumfahrung der A 99 ausgebaut wird, sei zwar richtig, sagt der Sozialdemokrat, aber eben nur ein Baustein in der Verkehrspolitik. Was es aus seiner Sicht braucht, um München und das Umland vom Titel der Stau-Hauptstadt zu befreien, ist ein "Masterplan" - und der müsse vor allem den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, insbesondere der S-Bahn, beinhalten.

"Gefühlt sind wir bei der S-Bahn auf dem Stand der Olympischen Spiele 1972", sagt der Ismaninger Rathauschef, der dem S-Bahn-Netz selbst nicht mehr vertraut. "Wenn ich in die Stadt fahre, nehme ich mittlerweile den Bus bis zur U 6 und fahre mit der U-Bahn rein. Die verkehrt zuverlässig." Dass vor allem auf der so wichtigen Flughafen-S-Bahn-Linie "jeder zweite Zug ausfällt", wie er überspitzt sagt, sei "nicht akzeptabel". Daran hat auch ein Brandbrief der Landräte im Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV) voriges Jahr an die Deutsche Bahn bisher nichts ändern können, in dem die Kommunalpolitiker von einem sichtbaren Ausmaß des Versagens bei der Münchner S-Bahn sprachen

Auch der Grünen-Verkehrsexperte Büchler kritisiert die "Unzuverlässigkeit" der Münchner S-Bahn, die doch einst das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs war. Heute seien dies aber die U-Bahn und auch die Busse. Vor allem den Ausbau der Buslinien - zuletzt insbesondere von Expressbus-Trassen - habe der Landkreis enorm vorangetrieben, sagt Büchler. "Aber das reicht nicht. Das Verkehrsaufkommen ist insgesamt gewachsen, aber die Alternativen zum Auto sind zu schwach", sagt der Oberschleißheimer, der wie auch Greulich auf das Positivbeispiel Wien verweist: "Dort gibt es eine städtebaulich sinnvolle Planung. Bei neuen Stadtteilen wird erst eine U-Bahn gebaut und dann erst die Wohngebiete." In Deutschland aber sei das kaum möglich, weil langwierige Planungsverfahren für Großprojekte und auch das noch immer dominierende Nutzen-Kosten-Verhältnis innovativen, schnell zu realisierenden Maßnahmen entgegen stünden.

Ismanings Rathauschef Greulich kritisiert aber auch die Münchner Stadtpolitik, für die immerhin sein Parteifreund Dieter Reiter als Oberbürgermeister verantwortlich ist. "Auch die Stadt - und das sage ich dem OB Reiter oft - muss zur Kenntnis nehmen, dass wir Einpendlergemeinden sind", sagt Greulich. "Das gilt vor allem bei großen Bauprojekten der Stadt wie im Nordosten in Johanniskirchen." Denn in den Nordkommunen Ismaning, Aschheim und Unterföhring sind die Befürchtungen groß, dass der Landkreis München das zu erwartende, zusätzliche Verkehrsaufkommen durch die Wohnbebauung über den ohnehin schon an seiner Kapazitätsgrenze angekommenen Föhringer Ring und die Kreisstraße M 3 zu bewältigen haben wird.

Auf dem Föhringer Ring, der immer weiter ausgebaut wird, herrscht mit etwa 70 000 Fahrzeugen am Tag vor allem in den Hauptverkehrszeiten dichtes Gedränge. Markus Büchler findet daher, der weitere Ausbau des Straßennetzes sei nicht mehr zeitgemäß. "Wir müssen uns mit dem begnügen, was wir an Straßen haben", sagt der Verkehrspolitiker der Grünen, "und brauchen vielmehr die Alternativen wie die S-Bahn und auch Radwege."

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