Süddeutsche Zeitung

Unterschleißheim:Auf Kollisionskurs

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Bei der Shared-Space-Demo von SPD, Grünen und ÖDP in Unterschleißheim protestieren Geschäftsleute gegen eine Verkehrsberuhigung in der Bezirksstraße. Sie befürchten ein Ladensterben.

Von Francesco Collini, Unterschleißheim

Der Konflikt zwischen Kritikern unbegrenzter Mobilität und Verfechtern des Autofahrens erreicht nun auch Unterschleißheim. Es gibt kaum noch Einwohner der Stadt, die keine klare Meinung zur Umwandlung der Bezirksstraße in eine sogenannte Shared-Space-Zone haben. Wie tief die Gräben zwischen den beiden Polen sind - auf der einen Seite die örtlichen Vertreter von SPD, Grünen und ÖDP, auf der anderen die Geschäftsleute der Bezirksstraße - merkte man am Samstagvormittag besonders gut, als beide Lager aufeinandertrafen.

Shared Spaces oder, wie die Stadträtin und Baureferentin Katharina Bednarek (SPD) sie nennt, "Gemeinschaftsstraßen" sind Straßenabschnitte, in der alle Verkehrsteilnehmer "gleichberechtigt" sind. Ihre Partei hatte am Samstag zusammen mit Grünen und ÖDP eine "Demoversion" von Shared Space zwischen Lindenstraße und Frühlingsstraße eingerichtet. Dort wollen die Parteien die Höchstgeschwindigkeit auf 20 Stundenkilometer senken und zum Teil Pflaster zur Verkehrsberuhigung verlegen lassen, wie aus Entwürfen der Organisatoren zu entnehmen ist und wie sie es mit Klebeband auf der Straße demonstrierten.

Geschäftsleute kleben ihre Schaufenster zu

Aus Protest gegen die Pläne hatten die meisten Geschäftsleute der Bezirksstraße am Samstag ihre Schaufenster zugeklebt und "Zu vermieten"-Schilder aufgehängt - eine Demonstration, welche Folgen sie durch eine Verkehrsberuhigung erwarten. Ein Samstagvormittag im Ausnahmezustand auf der Bezirksstraße.

Heinz Glatzeder hat im Schaufenster des Modegeschäfts seiner Frau Bilder aus dem österreichischen Sankt Veit an der Glan ausgestellt. Sie zeigen leere Straßen in der Innenstadt, einsame Ladenbesitzer und "Totalabverkauf"-Schilder. Glatzeder war selbst in der Kärntner Gemeinde sowie in Gießen, Bad Kissingen und Marburg. Alles Orte, wo bereits Shared-Space-Zonen eingerichtet wurden. Der Unterschleißheimer versichert: "In Sankt Veit haben 90 Prozent der Läden zugemacht."

Glatzeder, der für zwölf Jahre die Werbegemeinschaft der Bezirksstraße leitete, glaubt fest daran, dass Shared Space das Aus für die Geschäfte bedeuten würde - vor allem, weil Parkplätze für die gemischte Verkehrszone gestrichen würden. "40 Prozent unserer Kunden kommen nicht aus Unterschleißheim", sagt Glatzeder. Diese, so fürchten die Ladeninhaber, verliere man, erst recht, wenn "irgendwann eine Fußgängerzone kommt".

Diese Befürchtung ist laut Bürgermeister Christoph Böck (SPD) unbegründet: "Die Bezirksstraße wird niemals zur Fußgängerzone werden." Böck ist am Samstag demonstrativ mit dem Fahrrad gekommen. An den Ständen trifft er die Organisatoren der Shared-Space-Aktion. Anders als die Geschäftsleute sind sie positiv gestimmt. Obwohl einige Autofahrer vor ihren Ständen demonstrativ schneller fahren oder hupen. SPD-Verkehrsreferent Thomas Breitenstein fährt mit seinem Fahrrad samt Poolnudel herum, um zu demonstrieren, welchen Abstand Autofahrer zu Radlern einhalten müssten.

Es geht um die Zukunft der Straße

Unterschleißheims Bürgermeister befürwortet beide Aktionen: "Ich finde es gut, dass die Parteien endlich Anstoß für eine Diskussion über die Zukunft der Bezirksstraße gegeben haben, aber auch dass die Geschäftsleute sich klar positioniert haben", sagt Böck. Er hält sich zum Teil noch bedeckt. Shared Space sei eine Initiative der Parteien und nicht der Gemeinde. Außerdem gebe es noch "überhaupt keine Planungen", sagt er, und die Realisierung eines solchen Projekts brauche Jahre. Ziel sei, "die Bezirksstraße als attraktive und lebendige Einkaufsstraße zu erhalten".

Im Kern geht es den beiden Seiten also um das Gleiche: die Zukunft der Bezirksstraße. Doch es sind zwei völlig unterschiedliche Sichtweisen, die hier aufeinanderprallen. "Studien zeigen ganz klar, dass der Verkehrsfluss in Shared-Space-Zonen besser abläuft als auf anderen Straßen", sagt Bernhard Schüssler, Vorstandsmitglied der Grünen Unterschleißheim. Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Büchler aus Oberschleißheim unterstützt die Initiative. Es gehe darum, mehr Kunden in die Bezirksstraße zu bringen, denn die Konkurrenz wachse. Als Beispiel führt Böck das zukünftige Stadtzentrum an, das neue Geschäfte anziehen werde. Doch für weitere Autos sei kein Platz. Die Parkplätze "sind sowieso voll".

Juwelierin Anne-Monika Schön verdreht bei diesem Argument die Augen: "Wir sind mit der Bezirksstraße so zufrieden, wie sie ist, und unsere Kunden auch", sagt die Leiterin der Werbegemeinschaft. Viele kämen mit Auto und Rollator, diese seien auf Parkplätze angewiesen. Unterstützung erhalten die Geschäftsleute vom CSU-Ortsvorsitzenden und Bürgermeisterkandidaten Stefan Krimmer: Die Bezirksstraße sei nur wegen der Parkplätze attraktiv. Die Gefahr, dass die Kaufkraft schwinde, sei ohne Parkplätze groß."

Fragt man ein älteres Ehepaar, das die Demonstration vom Gehsteig aus beobachtet, muss sich auf der Bezirksstraße etwas ändern: "Ich fahre oft mit Fahrrad hier und es war nie so gefährlich wie jetzt", sagt die Frau. Ihr Mann stimmt zu: "Die Autos werden immer größer. Wenn sie parken, haben sie ihre Schnauze einen halben Meter auf dem Gehsteig." Ihren Namen wollen sie nicht nennen. "Sonst kriegen wir Probleme mit den Geschäftsleuten", sagen sie und lachen.

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SZ vom 23.09.2019
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