Coronavirus im Landkreis München:"Es ist ein Wahnsinn"

Coronavirus im Landkreis München: Im Landkreis München sind mittlerweile mehr als 100 000 Impfungen verabreicht worden.

Im Landkreis München sind mittlerweile mehr als 100 000 Impfungen verabreicht worden.

(Foto: Claus Schunk)

Hausärzte klagen über Ansturm auf ihre Praxen und Patienten, die sich vorzudrängeln versuchen, um in den Urlaub fahren zu können. Unterdessen sind im Landkreis mehr als 100 000 Spritzen gesetzt. Erstmals südafrikanische Virus-Mutation nachgewiesen.

Von Martin Mühlfenzl

Auf der Liste von Gregor Christoforis und seinen beiden Kollegen stehen mittlerweile mehr als tausend Namen. Tausend Menschen, die in der Unterhachinger Hausarztpraxis geimpft werden wollen. Und die Telefone stehen nicht still, unaufhörlich rufen Menschen an, verlangen nach den Vakzinen, bitten um Termine, drängen darauf, bevorzugt behandelt zu werden. "Es ist ein Wahnsinn", sagt Christoforis.

Ein Wahnsinn, den vor allem seine Mitarbeiter zu spüren bekommen - und der Auswirkungen auf den Alltag in der Praxis hat. "Wenn ein Mann mit Schmerzen im Brustkorb nicht mehr in der Leitung durchkommt, wird es bedenklich", sagt der Unterhachinger Mediziner.

Seit 1. April sind die Hausärzte neben den Impfzentren in die Corona-Impfkampagne eingebunden. Und seitdem, sagt Christoforis, herrsche "das Chaos". Es habe mit den Impfzentren eine funktionierende Infrastruktur gegeben, nun stünden die Hausärzte unter Druck, kritisiert er. "Jetzt stehen die Menschen bei mir und sagen, sie wollen geimpft werden, damit sie im Sommer in den Urlaub fahren können. Aber das sei kein medizinischer Grund. Eine Schutzimpfung sollte seiner Meinung kriegen, wer gefährdet ist, etwa weil er eine schwere Bronchitis hat. "Das sage ich dann auch."

Der Schwarze Peter liege nun bei den Hausärzten

Corona-Lage im Landkreis

Aktuell Vgl. Do.

Infizierte gesamt: 13 867; + 41

Infizierte ges. mit Mutanten: 1 745; + 47

Infizierte aktuell: 1054; - 30

Tote gesamt: 283; + 0

Menschen mit 1. Impfung: 77 500; + 12 240

davon haben 2. Impfung: 23 623; + 11

Impfungen insgesamt: 101 123; + 2251

Schulen in Quarantäne: 20; + 1

Sieben-Tage-Inzidenz: 150,1; 158,6 Quelle: Landratsamt München

Christoforis sagt, er sei weder Impfgegner noch Corona-Leugner. Ganz im Gegenteil. "Das ist eine sehr ernsthafte Krankheit, die schwere Schäden verursachen kann." Durch die Impfstrategie aber liege der Schwarze Peter bei den Hausärzten - und nehme die Solidarität Schaden. "Seit einem Jahr wird uns zurecht erzählt, wir müssen uns solidarisch verhalten, Abstand halten. Aber beim Impfen habe ich noch keinen einzigen erlebt, der sich solidarisch verhält." Vielmehr laute die Devise: Ich will! Jeder nenne einen Grund, warum er bevorzugt werden müsse. "Wenn es wirklich so viele gibt, die ihre Oma pflegen, dann hätten wir kein Pflegeproblem."

Wie Christoforis sieht auch der Unterschleißheimer Mediziner Friedrich Kiener seine Praxis und die Angestellten am Anschlag. Zwei Mitarbeiter betreuten mittlerweile das überlastete Call-Center, jeden Tag erreichten zwischen 100 und 150 E-Mails mit der Bitte um einen Impftermin die Praxis, schildert der Arzt. Sein Team versendet Standardantworten. Denn es gibt ein zusätzliches Problem: Seit einer Woche hat Kieners Praxis keine einzige Dosis des Herstellers Astra Zeneca erhalten, dessen Vakzin mittlerweile ohne Priorisierung verabreicht werden darf.

Ohnehin sei immer noch zu wenig Impfstoff vorhanden, sagt Kiener und es packt ihn merklich die Wut: "Seit Wochen wird davon geredet, dass uns Millionen von Impfdosen erreichen. Aber ich glaube nicht mehr daran." Locker könnte er 200 Menschen in der Woche mit seinen Kollegen impfen, kommende Woche sind allerdings nur 32 Dosen von Biontech und Pfizer angekündigt.

Anders als sein Unterhachinger Kollege findet Kiener es aber richtig, in den Praxen zu impfen. Es gehe um den "Multiplikator". Im Unterschleißheimer Impfzentrum können am Tag bis zu 450 Menschen geimpft werden, in allen Praxen in Unter- und Oberschleißheim noch einmal genau so viele, wenn alle Hausärzte mitmachten und genügend Vakzin vorhanden sei. "Ja, es ist aufwendig für die Praxen, und das Personal schwitzt unter den Achseln, aber es lohnt sich." Allerdings nicht betriebswirtschaftlich, so Kiener, gewinnbringend sei das Impfen für die Hausärzte nicht.

22 Prozent der Landkreisbürger haben die erste Impfung

Das sieht sein Kollege Christoforis anders und kritisiert, dass einige Kollegen daraus ein Geschäft machen würden - wie auch mit dem Testen. "Praxen sind Wirtschaftsunternehmen und natürlich geht es auch ums Geld." Deshalb könne er auch nicht verstehen, warum die Arbeit in den Impfzentren heruntergefahren worden ist. "Die haben das toll gemacht." Und die Menschen würden in der Regel ohnehin vor einer Impfung ihren Hausarzt konsultieren. In seiner Praxis werden in der Woche etwa 30 Dosen gespritzt, davor werde aufgeklärt. "Das gehört zu unserer Arbeit dazu, Vertrauen ist für uns entscheidend."

Unterdessen ist die Zahl von 100 000 Impfungen im Landkreis übersprungen. Stand Freitagmorgen waren 101 123 Spritzen gesetzt worden, jede zehnte in einer Hausarztpraxis. Gut 22 Prozent der Landkreisbevölkerung hat mindestens die erste Dosis erhalten, 23 623 Einwohner haben auch die zweite. Landrat Christoph Göbel (CSU) zeigte sich bei seiner wöchentlichen Corona-Pressekonferenz mit dem Impffortschritt zufrieden und dankte sowohl den Hausärzten als auch den Mitarbeitern in den Impfzentren, die unermüdlich auch an Wochenenden im Einsatz seien: "Im Rahmen unserer durch Impfstofflieferungen eingeschränkten Möglichkeiten, sind wir auf einem guten Weg." Göbel lobt auch die Bevölkerung: Die Impfbereitschaft sei trotz zeitweiser Impfstopps und Lieferengpässe ungebrochen. Für die nächsten zwei Wochen sind laut Landratsamt knapp 17 000 weitere Impfdosen angekündigt, dazu kommen Impfdosen in den Praxen.

Derweilen sind im Landkreis zwei erste Fälle der südafrikanischen Virus-Variante aufgetaucht, bei sechs weiteren Fälle besteht der Verdacht entweder auf die südafrikanische oder brasilianische Mutante. Alle Fälle stammen aus einem Betrieb.

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