Süddeutsche Zeitung

Bevölkerungswachstum:Die Zukunft ist schon da

Unterschleißheim hat bereits heute mehr Einwohner, als der Stadt für 2037 prognostiziert werden. Das liegt daran, dass die Statistiker mit niedrigeren Zahlen arbeiten - weshalb es auch keinen Rotlichtbezirk geben darf.

Von Martin Mühlfenzl, Unterschleißheim

Im Juni 2016 vermeldet die Stadt Unterschleißheim einen neuen Rekord. Erstmals überspringt die bevölkerungsreichste Kommune im Landkreis die Marke von 30 000 Einwohnern. Und das müsste eigentlich Folgen haben: In den Stadtrat würden der Einwohnerzahl entsprechend künftig 40 statt bisher 30 Vertreter entsandt, es wäre Prostitution zulässig und für ein Bürgerbegehren müssten nur noch sieben Prozent der Unterschleißheimer unterschreiben statt bisher acht Prozent.

Doch weder wird bei der Kommunalwahl im kommenden Frühjahr der Stadtrat erweitert noch ist ein Straßenstrich zu erwarten. Und dies hat einen Grund: Das Bayerische Landesamt für Statistik hat berechnet, dass Unterschleißheim derzeit einen Bevölkerungsstand von 29 100 Einwohnern hat und selbst bis ins Jahr 2037 nicht über die entscheidende Grenze anwachsen wird, sondern lediglich auf 29 900 Personen. Wie aber passt das zusammen? Noch dazu in einem Landkreis, dem in den kommenden 18 Jahren ein Bevölkerungswachstum ausgehend vom Jahr 2017 um 12,1 Prozent vorhergesagt wird. Auf etwa 388 300 Einwohner soll der bevölkerungsreichste Landkreis im Freistaat Prognosen zufolge bis dahin anwachsen.

Eine Erklärung liefert Christian Rindsfüßer. Er gehört zu den Menschen, die sich wohl am intensivsten mit allen für den Landkreis München relevanten Zahlen beschäftigen. Der Statistiker zeichnet für den sogenannten Schulbedarfsplan des Landkreises verantwortlich, der die Grundlage politischer Entscheidungen für den Bau neuer weiterführender Schulen darstellt. "Es liegt an der Methode. Das Landesamt für Statistik berechnet gewissermaßen von oben nach unten, also top-down", sagt Rindsfüßer. "Und zwar für den ganzen Freistaat von Balderschwang bis München für mehr als 2000 Kommunen."

Das Landesamt selbst bezeichnet seine Bevölkerungsvorausberechnungen als "Modellrechnungen", mit denen die demografische Entwicklung "unter bestimmten Annahmen zu den Geburten, Sterbefällen und Wanderungen in die Zukunft" fortgeschrieben wird. Diese Annahmen beruhten überwiegend auf einer Analyse der bisherigen Verläufe dieser Parameter. Vorausberechnungen, heißt es in der jüngsten Regionalisierten Bevölkerungsvorausberechnung für Bayern 2037, dürften also nicht als exakte Vorhersagen missverstanden werden.

"Die Glaskugel besitzt niemand", sagt Christian Breu, Geschäftsführer des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München, dessen Zweckverband auch die Schulbedarfsplanungen des Landkreises mitgestaltet. Die Daten des Statistischen Landesamtes stellten jedoch für den Verband wichtige Parameter dar, wenn es um die Vergleichbarkeit von Regionen, Landkreises und Kommunen gehe. Wenn es um den Schulbedarfsplan, Mobilitätskonzepte, die Regionalentwicklung oder das Thema Wohnraum geht, bedient sich der Planungsverband weiterer Komponenten, um tiefer in die Bevölkerungsentwicklung einzusteigen.

"Wir betrachten eine Fragestellung immer in Abhängigkeit mit der Bautätigkeit", sagt Breu. Diese habe schließlich eine enorme Auswirkung, wenn es etwa darum geht, ob eine Krippe oder Schule benötigt wird. Statistiker Rindsfüßer ergänzt, es würden natürlich auch Daten von den Einwohnermeldeämtern erhoben. "Wir versuchen aktueller zu sein, als es das Statistische Landesamt sein kann. Auch deshalb kommt es zu abweichenden Ergebnissen." Beide Berechnungen hätten aber ihre Berechtigung, so Breu: "Beide sind wichtig."

Prognosen über 20 Jahre zu erstellen, sei aber grundsätzlich enorm schwer, räumt der Geschäftsführer des Planungsverbands ein. In der ganzen Region dominierten Zu- und Wegzüge die Entwicklung viel stärker als Geburten- und Sterbefällen. Wie auch immer gerechnet wird: Das Wachstum im Landkreis München wird ungebrochen weitergehen. Wie auch in der Landeshauptstadt und allen umliegenden Landkreisen.

Im Landkreis München wird bis 2037 die Zahl der Menschen, die jünger als 18 Jahre sind, um 16,2 Prozent zunehmen. Gleichzeitig wird der Anteil derjenigen, die 65 Jahre und älter sind, aber um 30,8 Prozent wachsen. Die Gemeinde Ottobrunn wird laut Prognosen in diesem Zeitraum auf mehr als 24 000 Einwohner anwachsen, der Nachbar Unterhaching gar auf mehr als 28 000 Personen. Ismaning wird dann nahezu 19 000 Einwohner haben und das kleine Aying explodiert auf etwa 6300 Einwohner. So besagen es die Zahlen des Statistischen Landesamtes.

De facto dürften es aber noch einige Menschen mehr sein. Denn das Landesamt erfasst nur die Zahl der Erstwohnsitze, nicht aber - wie etwa die Stadt Unterschleißheim selbst - auch die Einwohner mit Nebenwohnsitz. Daraus ergibt sich denn auch die Differenz: Ende 2018 hatten 29 439 Personen in Unterschleißheim ihren Hauptwohnsitz, als Einwohner gemeldet waren aber 30 184.

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SZ vom 02.08.2019
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