Süddeutsche Zeitung

Kommunalwahl im Landkreis München:In der Minderheit

Gerade mal fünf der 29 Rathäuser werden aktuell von Frauen geführt. Auch zu dieser Kommunalwahl treten nur 32 Bürgermeisterkandidatinnen an, aber 78 Männer.

Von Iris Hilberth, Bernhard Lohr und Gudrun Passarge

Der Umgang im Brunnthaler Gemeinderat ist oft rau. Wenn sich die männlichen Alphatiere direkt angehen, folgt auf das "Du" in der Regel ein Angriff unter die Gürtellinie. Die Frauen sind da Zaungäste. Anouchka Andres (SPD), Hilde Miner (Grüne) oder auch die CSU-Gemeinderätinnen pflegen einen anderen Stil. Aber tonangebend sind sie damit nicht. Ein Blick auf die Kandidatenlisten zur Kommunalwahl am 15. März im Landkreis zeigt, dass sich trotz vieler Beteuerungen, die Wahl auch zur Abstimmung für mehr Gleichberechtigung zu machen, in vielen Rathäusern wenig ändern wird.

In neun von 29 Kommunen tritt keine Frau als Bürgermeisterkandidatin zur Wahl an. 78 Kandidaten für die Rathauschefsessel stehen nur 32 Kandidatinnen gegenüber. Bei den Stadt- und Gemeinderatswahlen in den 29 Kommunen sind aber immerhin die Grünen mit 324 Kandidatinnen vertreten. Sie haben auf manchen Listen die Parität sogar übererfüllt, wie in Oberhaching mit 14 Frauen bei 24 Listenplätzen.

Die SPD hat landkreisweit 227 Frauen nominiert, die CSU fast gleich viele: 224. Weil die CSU aber insgesamt mehr Kandidaten aufbietet, ist der Frauenanteil bei ihr niedriger als bei der SPD: Er liegt bei gerade mal einem Drittel. Wenige Frauen finden sich bei der FDP und bei freien, unabhängigen Wählergruppen, gerade im ländlichen Raum wie in Brunnthal.

Wer mit zwei Brüdern aufwächst, ist kampferprobt

Das Bild fällt sehr unterschiedlich aus. Im städtisch geprägten Unterföhring, in Unterschleißheim, Garching und Grasbrunn kandidieren keine Frauen fürs Bürgermeisteramt. In Planegg sind es dafür gleich sechs. Die Gründe, warum Frauen mal mehr, mal weniger zum Zug kommen, sind vielfältig. Aber eine Spurensuche zeigt: Oft scheuen gerade Frauen den Schritt in den Politikbetrieb mit den ruppigen Umgangsformen. Ingrid Lindbüchl, Bürgermeisterkandidatin der Grünen in Oberschleißheim, beschreibt einen besonders rauen Ton in diesem Wahlkampf.

Die Anwürfe im Internet seien heftig, "der Umgang miteinander ist so fies geworden, dass man sich als Frau das gar nicht mehr antun mag". Sie selbst sei kampferprobt, weil sie mit zwei Brüdern aufgewachsen ist. "Es ist nicht so, dass es mich nicht trifft, aber nach zwei Stunden ist es wieder vergessen", sagt die 53-Jährige.

Sie weiß: Es brauche ein dickes Fell und auf keinen Fall dürfe man Angriffe persönlich nehmen. Eine Freundin von ihr sage, sie habe vor jedem Respekt, "der sich dieser brutalen Öffentlichkeit aussetzt". Das treffe es ganz gut, meint Lindbüchl. Möglicherweise ist es auch so, dass traditionelle Rollenmuster in vielen Dörfern fortleben. Obwohl Mindy Konwitschny, SPD-Bürgermeisterkandidatin in Höhenkirchen-Siegertsbrunn, feststellt, dass eine Frauenkandidatur mittlerweile akzeptiert werde. "Aber es ist nach wie vor so, dass sich eine Frau mehr bewähren muss als ein Mann. Aber es wird immer besser."

Claudia Köhler, Grünen-Abgeordnete aus Unterhaching, setzt auf mehr Solidarität unter den Frauen. Sie ist stellvertretende Vorsitzende im Haushaltsausschuss des Landtags und muss nicht selten ihren weiblichen Kollegen beispringen. "Die CSU-Männer unterhalten sich auffallend oft, wenn eine Frau das Wort ergreift." Inzwischen aber ließen sich das die Frauen nicht mehr gefallen und wiesen die Männer zurecht. "Es ist wichtig, dass sich Frauen in der Politik helfen, auch parteiübergreifend", sagt sie.

Es sind Frauen wie Köhler und Carla Spindler in Aying, die langsam etwas in Bewegung setzen. Spindler führte eine Bürgerinitiative an, die in Großhelfendorf verhinderte, dass sich in dörflicher Struktur gegen den Willen vieler ein Wasserstoff-Unternehmen ansiedelte. Jetzt tritt sie in dem traditionell geprägten Aying als parteifreie Bürgermeisterkandidatin an.

"Wenn ein Mann kandidiert, wäre die Überraschung nicht so groß."

Sie bekam die notwendigen Unterschriften zusammen und steht nun zur Verwunderung mancher zur Wahl. "Wenn ein Mann kandidiert, wäre die Überraschung nicht so groß", sagt Spindler. Sie dagegen müsse ihren Schritt oft erklären. Frauen müssten mehr Mut zeigen, sich trauen, findet sie. Damit Themen mehr Gewicht bekämen, die ihnen wichtig sind, etwa eine Ortsplanung, bei der Interessen von Kindern mitgedacht werden. Eine neue Diskussionskultur sei nötig. Frauen tickten anders.

Maike Vatheuer-Seele macht in der von Männern dominierten FDP als Bürgermeisterkandidatin für Taufkirchen Wahlkampf, weil sie nach ihrem Engagement in Elternbeiräten endlich wirklich mitbestimmen möchte: über Kindergartenplätze, Schulen und mehr. Vatheuer-Seele attestiert der FDP ein Imageproblem als Männerverein, bei dem "Frauen sich nicht so eingeladen fühlen". Aber sie sieht Chancen, am 15. März mehr Frauen in die Gremien zu bringen. Es stünden viele Frauen zur Wahl, auch auf vorderen Plätzen. "Sie werden sehnlichst erwartet", sagt sie.

Viele Frauen antworten auf die Frage, warum sich nicht mehr weibliche Kandidaten um das Amt der Bürgermeisterin bewerben, Familie und Amt seien schwer miteinander in Einklang zu bringen. Gerade mit kleinen Kindern. Mindy Konwitschny glaubt, ohne Mithilfe aus der Familie gehe es nicht. Doch wer so ein Amt wie das des Rathauschefs anstrebe, müsse zunächst auch kommunalpolitische Erfahrung in den Gremien sammeln, um in der Partei sowie in der Bevölkerung wahrgenommen zu werden. "Das fordert sehr viel von der Familie, sagt die 46-Jährige.

Annette Reiter-Schumann, CSU-Bürgermeisterkandidatin in Ismaning, führt die vielen Abend- und Wochenendtermine an. "Für eine Frau mit kleinen Kindern ist das schwer zu meistern", sagt die 50-Jährige, deren Jüngster 14 Jahre alt ist. Sie sagt auch, sie habe sich das Amt längere Zeit genau angeschaut, bevor sie entschieden habe zu kandidieren. "Männer sind da, glaube ich, schneller, Frauen dagegen vorsichtiger." Grundsätzlich findet die CSU-Frau eine Quote sinnvoll, denn es müsse darum gehen, Frauen an der Basis aufzubauen.

Dass es schön wäre, mehr Mitstreiterinnen zu haben, darin sind sich alle Kandidatinnen einig. Reiter-Schumann berichtet sogar von Rückmeldungen aus dem Wahlkampf, von Menschen, die sagten, "es wäre super, wenn es mehr Frauen wären". Auch Claudia Köhler setzt sich dafür ein. Am Weltfrauentag an diesem Sonntag hält sie in Neubiberg einen Vortrag darüber, wie es gelingen kann, dass mehr Frauen "nach der Macht greifen". Sie wird das berühmte Zitat der einstigen SPD-Bundesministerin Käte Strobel an die Wand projizieren, die schon 1959 gesagt hat: "Politik ist eine viel zu ernste Sache, als dass man sie allein den Männern überlassen könnte."

Dass die Grünen die meisten Frauen auf ihren Listen haben, ist nicht verwunderlich. Seit 1986 hat die Partei ein "Frauenstatut", das die Parität vorschreibt. Sollte es aus irgendeinem Grund - etwa weil sich einfach nicht genügend Kandidatinnen finden lassen - nicht eingehalten werden, bedarf es eines Extrabeschlusses. Bereits vor einem Jahr haben die Grünen bayernweit damit begonnen, in Veranstaltungen und Workshops Frauen zur Kandidatur zu ermutigen. "Es ist ja nicht so, dass Frauen sich nicht engagieren. Viele von denen sind im Ehrenamt aktiv und auch bereit mitzuarbeiten", sagt Köhler.

Oft stehen ganz praktische Dinge einer politischen Betätigung von Frauen entgegen. Zwei Frauen gaben in Unterhaching in dieser Amtszeit ihre Mandate zurück. Karin Radl von der SPD schied aus, weil sich die Sitzungszeiten nicht mehr mit ihrem Job vereinbaren ließen, Tanja Günther, weil sie ein zweites Kind bekommen hat. "Oft wollen die Frauen erst kandidieren, wenn die Kinder groß sind", sagt Köhler. Wichtig sei es daher, bei der Ausformulierung der neuen Geschäftsordnungen auch bei Sitzungszeiten und Erstattung von Kinderbetreuungskosten mitzureden.

Im bundesweiten Vergleich steht der Landkreis aber nicht schlecht da. Jedes zehnte Bürgermeisteramt wird deutschlandweit von einer Frau besetzt. Ein Drittel der Ämter in Parlamenten belegen Frauen. Im Landkreis zogen 2014 immerhin sieben Bürgermeisterinnen in die Rathäuser ein: in Haar, Höhenkirchen-Siegertsbrunn, Sauerlach, Pullach, Gräfelfing, Planegg und Baierbrunn. Nahezu jedes vierte Rathaus hatte eine Chefin, bis Planeggs Bürgermeisterin Annemarie Detsch im Herbst 2014 verstarb und die parteifreie Barbara Angermaier in Baierbrunn mitten in der Amtszeit hinwarf. In Baierbrunn kandidieren jetzt ausschließlich Männer.

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SZ vom 07.03.2020
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