Kreis und quer:Der Wipfel der Unverschämtheit

Ein paar astreine Gedanken anlässlich der armen, kranken Linde am Pullacher Kirchplatz, die nichts dafür kann, dass sie zu Hitlers Geburtstag gepflanzt wurde.

Der Wald ist die Wiege der Märchen und Mythen, ein magischer Ort, in dem das Moos dampft, die Wipfel rauschen und der Lindwurm schläft. Schon die alten Germanen waren große Baumverehrer, von der Weltenesche Yggdrasil bis zur heiligen Irminsul, einem mächtigen Stamm, der symbolisch das Weltall trug. Mächtig? Davon ist die Linde am Pullacher Kirchplatz weit entfernt, die im April 1939 anlässlich von Hitlers Geburtstag zu Ehren des Führers in die Erde gesetzt wurde. Der "Hitler-Linde" geht es gelinde gesagt schlecht. Von kümmerlichem Wuchs, mit welken Blättern bedeckt, fault sie dahin, ohne dass die Wurzel ihrer Krankheit ersichtlich wäre. Experten geben ihr höchstens noch zwei Jahre, wie diese Woche bekannt wurde.

In besserer Verfassung ist die "Verfassungslinde" in Grünwald, ein anderer Dorfbaum auf der rechten Seite der Isar. Die 214 Jahre alte Linde auf dem Markplatz der Gemeinde gilt sogar als Naturdenkmal. Anlass ihrer Pflanzung war die Einsetzung einer Verfassung für das Königreich Bayern durch König Max Joseph im Jahr 1808. Definitiv ein hübscherer Grund als der Geburtstag eines Diktators. Aber das Pflanzen von Linden und Eichen zu Ehren Hitlers war in der NS-Zeit üblich, gerade unter den für heidnische Symbolik anfälligen Nazis waren astreine Baum- und Waldverehrer. Heutzutage werden Politikern keine Bäume mehr gewidmet - es gibt weder eine Baerbock-Birke noch eine Lindner-Linde. Auch lokale Politikgrößen sind in dieser Hinsicht wurzellos: In Haar wächst keine Weidenbusch-Weide heran und in Oberschleißheim nirgendwo eine Büchler-Buche. Kein Unterhachinger Biergarten beherbergt "Kerstins Kastanie" als Hommage an die frühere Staatsministerin Schreyer. Ein Göbel-Geäst in Gräfelfing wäre geradezu albern.

Im Süden des Landkreises stehen jede Menge schutzberechtigte Einzel-Naturdenkmäler, im Norden und Osten kein einziges

Der Heimatort des Landrats ist freilich baumtechnisch gesehen eine Hausnummer. Im Gemeindegebiet Gräfelfing gibt es einer Liste des Landratsamtes zufolge landkreisweit die meisten Bäume, die den Status "Naturdenkmal" genießen. Ansonsten sind diese besonders schutzberechtigten "Einzelschöpfungen der Natur", wie es auf Amtsdeutsch heißt, vornehmlich im Süden zu finden - von Aying über Grünwald und Brunnthal bis zu Straßlach-Dingharting und Oberhaching, das statistisch sogar mit Gräfelfing mithalten kann. Und es sind ausschließlich Laubbäume auf der Liste, besonders Eichen und Linden, ein, zwei Buchen sowie eine Esche. Dass kein einziger Ort aus dem Osten und Norden auftaucht, mag man dort als naturgegeben auffassen oder als Wipfel der Unverschämtheit.

Am besten aber entspannt man und lässt seine Augen auf den herzförmigen Blättern oder der weichen Rinde einer Linde weiden, die als Baum der Liebe und des Friedens gilt. Sie soll etwa der germanischen Liebesgöttin Freya geweiht gewesen sein. Auch die arme, kranke Linde am Pullacher Kirchplatz hätte es verdient, unter dieser Maxime angeschaut zu werden, in ihren letzten Lebensjahren.

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