Wie sehr der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch die deutsche Politik verändert, zeigt sich an Anton Hofreiter. Der Unterhachinger Grünen-Bundestagsabgeordnete hat in der Außen- und Sicherheitspolitik stets auf Krisenprävention und Diplomatie gesetzt. Aber Russland hat die Diplomatie in Schutt und Asche gelegt - und damit alte Gewissheiten der Grünen, die sich stets als Friedenspartei verstanden haben, ins Wanken gebracht. Bei Hofreiter hat wohl auch unlängst seine Reise in die Ukraine dazu beigetragen, nun doch schnelle Lieferungen schwerer Waffen an das kriegsgeplagte Land zu fordern. Das hat auch Parteikollegen im Landkreis München aufhorchen lassen. Christoph Nadler, Fraktionschef der Grünen im Kreistag, sagt, Hofreiter verspreche sich von Waffenlieferungen an die Ukraine, dass der Krieg so schnell wie möglich aufhöre. "Aber ein Kriegstreiber ist der Toni nicht", betont Nadler.

Vor allem innerhalb der Grünen und der SPD wird seit Wochen darum gerungen, ob Deutschland schweres Gerät in das Kriegsgebiet liefern soll. Da werden Äußerungen wie die von Hofreiter, der auch Kanzler Olaf Scholz für dessen Zurückhaltung schwer kritisiert und vor einem "de facto dritten Weltkrieg" gewarnt hat, sollte Putin siegen, besonders genau unter die Lupe genommen. Er halte vor allem die Rhetorik von einem dritten Weltkrieg für "leichtsinnig", sagt Florian Schardt, Fraktionssprecher der SPD im Kreistag. "Es ist nicht gut, wenn sich Politiker auf allen Ebenen äußern", dafür sei die Situation zu komplex. "Es ist für Außenstehende schwer zu beurteilen. Keiner ist dabei, wenn Scholz mit Biden telefoniert und er wird auch nicht alles darüber sagen", sagt Schardt. Er hege Zweifel daran, dass Hofreiters Reise nach Kiew gereicht habe, um sich ein ausreichendes Bild darüber zu machen, ob alleine schwere Waffen reichten, um den Krieg zu beenden, so Schardt. "Ich weiß nicht, welche Informationen Hofreiter hat."

Ähnlich argumentiert auch Markus Büchler, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Oberschleißheim. Allerdings nur, wenn es um die Komplexität des Themas Waffenlieferung geht. Über allem, so Büchler, müsse das Ziel stehen, das Schießen, Morden und die Gräueltaten in der Ukraine zu beenden. "Es darf keine weiteren Eskalationen mehr geben. Da sind sich alle in der Regierung einig." Die Frage, wie das erreicht werden könne, müsse in den entsprechenden Gremien beantwortet werden, in der Bundesregierung, im Bundessicherheitsrat. "Ich kann das nicht beurteilen. Wir im Landtag machen keine Außenpolitik."
Dass sein Parteifreund Hofreiter Kanzler Scholz mangelnde Führungsqualitäten vorwirft, aber unterstreicht Büchler. "Ich kann schon verstehen, dass der Kanzler abwägt angesichts der Schwere der Entscheidung", sagt der Oberschleißheimer. "Aber er verhält sich kommunikativ ungeschickt und macht keine glückliche Figur, da ist der Druck auf ihn, mehr Führung zu zeigen, schon richtig." Auch Büchlers Fraktionskollegin Claudia Köhler aus Unterhaching sagt, sie erwarte sich vom Kanzler mehr Führung. Die Frage der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine müsse dabei mit "Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit" entschieden werden - an den richtigen Stellen in Berlin. "Die Fakten müssen auf den Tisch", sagt die Grünen-Landtagsabgeordnete.

Die SPD-Landtagsabgeordnete Natascha Kohnen aus Neubiberg bezeichnet die Aussagen Hofreiters als "wenig hilfreich". Dass Bundeskanzler Scholz in keiner einfachen Situation ist, weiß sie. "Er darf sich keinen Fehler erlauben", sagt Kohnen, betont aber, die abwägende Haltung des Kanzlers sei genau die richtige: "Er bereitet vor, er durchdenkt und kommt nicht mit halbgaren Lösungen." Dazu gehöre auch zu analysieren, ob die Bundeswehr überhaupt in der Lage sei, schweres Gerät zu liefern. Für Hofreiter hat sie noch einen Rat, den auch der Grüne Nadler teilt: "Er soll mit Baerbock und Habeck reden."

Nadler selbst sagt, er schwanke - von einem Argument zum anderen. So wird es vielen in der Partei gehen, die nun zum zweiten Mal kurz nach einem Regierungsantritt mit einem Krieg konfrontiert wird; 1998 entbrannte der Kosovo-Krieg und der Nato-Einsatz unter deutscher Beteiligung drohte die Ökopartei damals fast zu zerreißen. Heute scheint das anders zu sein. Die Partei sei zwar hart aufgeschlagen angesichts des Krieges in der Ukraine, aber schnell in der neuen Realität angekommen. "Und man muss sich dieser Realität auch stellen. In keinem Wahlprogramm stand, dass in Europa wieder Bomben fallen werden", sagt Nadler. Und damit seien "sehr schwere Entscheidungen" verbunden. Wie sehr dieser Krieg seine Partei verändern wird? Schwer zu sagen, sagt Nadler, aber er werde sie verändern.
Es sind aber nicht nur die Grünen, die eine gewisse Zerrissenheit verspüren. Das bemerkt auch SPD-Mann Schardt. Am Beispiel des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion Rolf Mützenich zeige sich dies, sagt der Ottobrunner. Ein Mann, der sein Leben lang für Abrüstung gekämpft habe und nun erkennen müsse, dass seine Politik so nicht mehr funktioniere. "Man sieht ihm an, wie er leidet", sagt Schardt. Aber auch viele andere in der Partei würden hadern, die etwa noch immer mit Willy Brandts Ostpolitik eng verbunden sind, mit der Entspannung und Annäherung. "Das ist für viele nun schmerzhaft. Aber die Siebzigerjahre waren anders, es waren andere Akteure", sagt Schardt. Dennoch habe heute niemand Zweifel daran, wer der Böse ist: "Putin ist der Aggressor."

