Am Schluss kommt die Frage aller Fragen: Werden irgendwann sogar alle Haushalte im Raum München über das Wärmereservoir in der Tiefe versorgt werden können, will ein Gast des Webinars der Energieagentur Ebersberg-München zum Forschungsprojekt Giga-M wissen. "Sicherlich nicht", sagt Kai Zosseder vom Lehrstuhl für Hydrologie an der Technischen Universität München (TU). Denn nicht zu jedem Haus und jeder Siedlung lohne sich der Bau einer Fernwärmeleitung. Aber ziemlich viele Haushalte könnten es schon sein, sagt er - deutlich mehr jedenfalls als bisher geplant.
Das geothermische Potenzial in der Region München in Tiefen von 1400 bis 4000 Metern ist auf jeden Fall enorm. Ein Booster soll jetzt gestartet werden, um diesen Schatz zu heben. Das sei das Ziel der großräumigen, integrierten Betrachtung des Studienprojekts Giga-M, sagt Projektleiter Zosseder.
Schon bisher liegt der Großraum München dank einer geologisch günstigen Konstellation im Molassebecken bei der geothermischen Nutzung bundesweit an der Spitze. Man findet in nach Süden abfallenden Sedimentschichten Ströme heißen Wassers von 65 Grad im Raum Erding, mehr als 90 Grad im Münchner Stadtgebiet und sogar 140 in Sauerlach im südlichen Landkreis München. Mit mehr als 40 Bohrungen in die Tiefe, davon 17 durch die Stadtwerke München (SWM), wird diese Energie in Kraftwerken aktuell genutzt und Fernwärme in Haushalte gebracht. 400 Megawatt thermische Gesamtleistung stehen in der Region zur Verfügung, noch einmal 1000 Megawatt hält man zusätzlich für möglich.
Aktuell läuft die Öffentlichkeitsarbeit für das Studienprojekt an, das erstmals eine Gesamtschau anstrebt und Lücken zwischen Stadt und Umland schließen soll. Die Menschen in und um München werden spätestens im Herbst und Winter 2025 Notiz davon nehmen, wenn mit mächtigen Rüttelfahrzeugen die größte bundesweit unternommene seismische Untersuchung des Untergrunds anläuft. An 85 000 Punkten werden laut dem Geothermie-Experten Dietfried Bruss von den SWM Schallwellen in die Tiefe geschickt und an 120 000 Empfangspunkten mit sogenannten Geophonen die reflektierten Wellen aufgenommen und aufgezeichnet. Der 1140 Quadratkilometer große Untersuchungsraum reicht von Neufahrn bei Freising über Poing im Westen von München bis Holzkirchen im Süden. Im Westen geht der Bereich bis Weßling, Germering und Karlsfeld. Stadt und Landkreis München werden voll erfasst.
Die Studie Giga-M läuft an der TU. Beteiligt sind die Landeshauptstadt, der Landkreis München, die Energieagentur Ebersberg-München sowie die Stadtwerke München (SWM) und die Energie-Wende Garching (EWG) als ein Betreiber einer Geothermieanlage im Umland. Seit einigen Wochen ist das Projekt finanziert, der Förderbescheid vom Bundeswirtschaftsministerium liegt vor. Der Antrag auf Aufsuchungserlaubnis zu wissenschaftlichen Zwecken sei beim Bergamt gestellt, sagte Bruss. Der Zeitplan stehe. Die Ausschreibung für die seismische Erkundung soll im Frühsommer laufen, noch heuer sollen Betretungserlaubnisse eingeholt werden. 2025 werde das Projekt vorbereitet und im Jahr 2026 rechnet Bruss mit den ersten Daten für ein 3D-Modell der Region. "Beim Landesamt für Umwelt werden alle Daten abgegeben", so Bruss.
Die Landeshauptstadt will bis zum Jahr 2025 klimaneutral sein
Das Studienprojekt ist aber mehr als eine Datenerhebung. Es geht laut Zosseder um vier abzuarbeitende Themenfelder, wovon ein bedeutendes sei, Parameter zu entwickeln, um Planungen und Genehmigungsverfahren beschleunigen zu können. Die Zeit drängt, denn die Stadt München habe sich vorgenommen, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu sein. Bestenfalls, so Zosseder, werde die Wärmeversorgung über Fernwärme mit nachhaltiger Energie aus der Tiefe bewerkstelligt. Das alles warf im Webinar Fragen von Besuchern auf. Zum Beispiel: Zieht die Stadt Energie aus dem Umland ab, die dann dort fehlt? Nein, sagte Zosseder, es werde genug fürs Umland da sein. Die Kommunen sollten ihrerseits nicht zögern, Geothermie-Projekte anzuschieben und Untersuchungen in Auftrag zu geben. "Bei der Wärmewende dürfen wir nicht warten."
Die Giga-M-Studie soll aus einem "Patchwork" ein Gesamtbild erstellen. Vorliegende Daten und laufende Kraftwerke sollen dort einfließen, um laut Projektleiter Zosseder bei der Kraftwerksplanung künftig so vorzugehen, dass kein Projekt das andere beeinträchtigt. Man werde dazu kommen, von einem Bohrplatz effizient viele Förder- und Injektionsbohrungen in die Tiefe zu treiben. In der Öl- und Gasindustrie sei das ein übliches Verfahren. Es gelte, Lücken zwischen Stadt und Umland zu schließen. Laut Zosseder hat man ursprünglich einen noch viel größeren Untersuchungsraum angepeilt. Hierfür aber habe der Freistaat eine Förderung abgelehnt.