Sozialdienst:Erste Hilfe gegen den Baby-Blues

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Katrin Greiner vermittelt die Ehrenamtlichen von Wellcome. (Foto: Sebastian Gabriel)

Viele junge Eltern sind nach der Geburt eines Kindes überfordert. Ehrenamtliche von Wellcome kommen dann in die Familien, kümmern sich um die Geschwister des Neugeborenen und verschaffen vor allem den Müttern Atempausen.

Von Michael Morosow, Oberhaching

Der Start ins Leben eines Menschen beginnt mit einem herzhaften Schrei, der die Mutter selig macht, die Hebamme zufrieden und den Vater stolz. Es dauert meist nicht lange, bis ein schreiendes Baby ganz andere Emotionen hervorruft und den Eltern gewahr wird, dass die Geburt ihres Kindes ihr Leben noch mehr auf den Kopf stellt, als sie sich das ausgemalt haben. Insbesondere gilt das für die Mütter, die nach dem Durchschneiden der Nabelschnur rund um die Uhr mit dem gemeinsamen Nachwuchs und möglicherweise mit einem eifersüchtigen Geschwisterkind beschäftigt sind und sich oftmals dabei selbst aus den Augen verlieren. Mütter, Väter und erst recht Alleinerziehende sind nicht selten heillos überlastet und wünschen sich sehnlichst Atempausen herbei.

Katrin Greiner sieht ihre Aufgabe eben darin, den Eltern und dabei vor allem den Müttern diese wichtigen Atempausen zu verschaffen. Sie ist Koordinatorin von "Wellcome", einem in Deutschland, Österreich und der Schweiz mit 230 Standorten vertretenen Projekt, das der Verein Kinder- und Jugendhilfe "Lotse", Träger dieses Sozialdienstes, seit 2013 auch im Landkreis München anbietet. Die 49-jährige Sozialpädagogin kennt die Schwierigkeiten gestresster Eltern von Neugeborenen sehr gut. Sie hat, seit sie 2014 die Koordination im Landkreis München übernommen hat, vielen Hundert am Rad drehenden Familien Erleichterung während der anstrengenden Zeit nach der Geburt verschafft. "Wellcome" ist dabei einer von mehreren Bausteinen im "Netz der frühen Hilfen" das der Landkreis München über seine Kommunen gelegt und dazu die Beratungsstelle "And-Erl" (Guter Anfang im Kinderleben) eingerichtet hat.

Katrin Greiner geht nicht selbst zu den hilfesuchenden Familien, sie betreut vielmehr deren Betreuer, die sie zu diesen schickt. Allesamt ehrenamtlich tätige Menschen, die sich in sozialer Weise einbringen wollen und denen der Umgang mit Babys oder deren kleinen Geschwistern Freude bereitet. Es sei ein sehr weibliches Ehrenamt, sie habe auch fast nur Frauen bei sich im Team, bis auf einen einzigen Mann. Zumal wenn die Mutter noch im Wochenbett liege, könne man Frauen besser einsetzen, sagt sie. Im Jahr 2021 haben diese im Landkreis München insgesamt 50 frischgebackenen Eltern auf unterschiedliche Weise unter die Arme gegriffen, nachdem sie zuvor von Katrin Greiner fachlich angeleitet worden waren. Haushaltsdienste biete man aber ausdrücklich nicht an, auch wenn Ehrenamtliche auch mal die Spülmaschine ausräumen.

Es gibt genügend andere Handreichungen, durch die man überlasteten Eltern Freiräume verschaffen kann. Zum Beispiel über den Schlaf des Neugeborenen wachen, während die Mutter ein Bad nehmen oder Sport treiben kann. Mit dem Baby spazieren gehen, damit sein zweijähriges Schwesterchen währenddessen endlich wieder "Mamazeit" bekommt. Oder die Mutter mit Säugling zum Kinderarzt begleiten, "wenn noch zwei weitere kleine Würmchen dabei sind". Die Einsatzzeiten sind meist am Tag, manchmal auch am Abend. Für dieses Ehrenamt brauche man keine Ausbildung, sagt die Sozialpädagogin. Sie biete aber ihren Leuten Fortbildungen an, etwa zur Ersten Hilfe an Babys oder zum Thema "Frau in Wochenbett-Depression". Auch einen Referenten für Zwillinge habe sie schon eingeladen. "Wir hatten auch schon mal eine Drillingsfamilie", erinnert sich Katrin Greiner.

Nicht jeder hat eine helfende Oma an der Seite

90 Prozent der von Wellcome betreuten Familien hätten keine sozialen Netzwerke in der Stadt und im Landkreis München, auch keine Freunde und Familienangehörige, die sie unterstützen könnten, sagt die Koordinatorin, selbst Mutter einer achtjährigen Tochter und heute noch dankbar dafür, dass ihre eigene Mutter sie in der ersten Zeit nach der Geburt unterstützt hat. Dieses Glück haben nicht alle, vor allem dann nicht, wenn sie ihre Heimat verlassen und ihre Zelt in der Fremde aufgeschlagen haben. Und wenn die Mama auf dem Zahnfleisch daherkommt, dann schickt Greiner ihre Helferlein "quasi als meinen verlängerten Arm" in die Familie. Von 20 bis 79 Jahren reicht das Alter der Ehrenamtlichen, die meisten Frauen sind 55 bis 60 Jahre alt. "Sie sind noch nicht selbst Oma, haben aber Lust auf Kleinkinder", sagt Katrin Greiner.

Zuverlässigkeit, Freundlichkeit und ein gutes Auftreten müssen sie mitbringen. "Meine Ehrenamtlichen haben immer ein gutes Herz, wollen helfen, helfen, helfen", erzählt sie. Und manche würden am liebsten jeden Tag zu "ihrer" Familie fahren, wobei es schon wichtig sei, dass sie sich auch abgrenzen können. Sie müssten lernen, auch einmal Nein zu sagen. Der Einsatz der Ehrenamtlichen ist aber ohnehin zeitlich begrenzt. In der Regel zweimal pro Woche können Familien den Service während der ersten sechs bis sieben Monate nach der Geburt für jeweils zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen. Finanziert werden Wellcome und der Verein Lotse Kinder- und Jugendhilfe durch Spenden, Zuwendungen von Sponsoren, öffentliche Zuschüssen und Gebühren; auch der SZ-Adventskalender gehört zu den Unterstützern.

"Wellcome ist im Landkreis München angekommen", freut sich Katrin Greiner, viele wüssten von dem Hilfsangebot. Das liege auch daran, dass sie gute Kontakte mit den Rathäusern aufgebaut habe und so in Gemeindeblättern und kommunalen Aushängen auf Mitarbeitersuche gehen könne. Sie habe in vielen Gemeinden Kooperationspartner und Multiplikatoren, welche das Angebot unterstützen und weitertragen, etwa das Familienzentrum in Oberhaching. 42 Namen stehen derzeit in ihrer Kartei, davon sind 27 aktiv. Die anderen zögerten noch wegen Corona, berichtet sie. Das Virus und das Thema Impfen hätten ein Loch gerissen sowohl im Helferkreis als auch bei der Nachfrage. "Einige Familien trauten sich einfach nicht", erklärt sie. Mittlerweile nähmen die Hilfsanfragen wieder zu.

Für die Vermittlung von Ehrenamtlichen berechnet "Wellcome" eine einmalige Gebühr von maximal zehn Euro und für deren Einsatz bis zu fünf Euro pro Stunde. Doch an den Kosten soll die Hilfe nicht scheitern. Wer wenig Geld habe, für den finde sie eine Lösung, sagt Katrin Greiner.

Wer Hilfe nach der Geburt seines Kindes braucht oder seine Unterstützung anbieten will, kann sich telefonisch unter 089/309 08 76 27 melden oder per E-Mail an muenchen.landkreis@wellcome-online.de.

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