Energiewende:Abhängig von Öl und Gas

Energiewende: An der A 8 bei Unterhaching wird bereits mit einer PV-Freiflächenanlage Strom produziert.

An der A 8 bei Unterhaching wird bereits mit einer PV-Freiflächenanlage Strom produziert.

(Foto: Claus Schunk)

Erneuerbare Energien tragen im Landkreis München nur etwa 16 Prozent zur Stromversorgung bei. Auch bei der Wärmeversorgung dominieren fossile Brennstoffe.

Von Martin Mühlfenzl, Landkreis München

Der Landkreis München gibt sich gerne als Vorreiter. Etwa mit wissenschaftlichen Innovationen an seinen Universitätsstandorten und mittlerweile sogar mit einer eigenen Fakultät für Luft- und Raumfahrt. Oder auch mit seinen wirtschaftlichen Kennzahlen, die den Landkreis als den Wirtschaftsmotor Deutschlands schlechthin aussehen lassen. Auch beim Thema Energiewende verweisen die Kommunalpolitiker gerne darauf, dass der Landkreis absoluter Spitzenreiter sei, gibt es doch in keiner Region Deutschlands mehr Geothermie-Anlagen als von Unterschleißheim über Sauerlach bis Pullach und Gräfelfing. Und trotzdem bleibt eine Zahl hängen, die den Landkreis so gar nicht als Innovationstreiber erscheinen lässt: Lediglich 16 Prozent beträgt der Anteil regenerativer Energien bei der Stromerzeugung; deutschlandweit sind es dagegen mehr als 40 Prozent. Auch die gepriesene Geothermie liegt bei der Wärmeversorgung nur bei etwa zwölf Prozent.

Der Landkreis München ist, wie der Freistaat Bayern als Ganzes, weiter stark abhängig von Öl und Gas aus Russland, und der Ausbau der erneuerbaren Energien - vor allem von Photovoltaik- und Windkraftanlagen - muss deutlich beschleunigt werden. Vor allem angesichts des prognostizierten zusätzlichen Bedarfs an Energie, den der Klimaschutzbeauftragte des Landkreises, Philipp Schramek, in der Sitzung des Ausschusses für Energiewende, Landwirtschaft und Umwelt des Kreistags am Mittwoch vorstellte. Stand 2018, so Schramek, habe der Gesamt-Energieverbrauch im Landkreis München bei etwas mehr als zwei Terawattstunden gelegen; dieser werde bis 2035 auf mehr als drei Terawattstunden zulegen - ausgelöst durch ein massives Bevölkerungswachstum, aber auch durch einen erwarteten Anteil an Elektroautos von dann 60 Prozent sowie ein anhaltendes Wirtschafswachstum, das zu steigendem Energieverbrauch führen werde.

Energiewende: Etwa zwölf Prozent des Wärmebedarfs im Landkreis München werden aus Geothermie-Anlagen wie der in Kirchstockach gedeckt.

Etwa zwölf Prozent des Wärmebedarfs im Landkreis München werden aus Geothermie-Anlagen wie der in Kirchstockach gedeckt.

(Foto: Claus Schunk)

Vor allem der niedrige Anteil der Erneuerbaren von etwa 16 Prozent löste bei einigen Kreisräten im Ausschuss - gelinde gesagt - Bestürzung aus. "Das ist dramatisch für uns", sagte Oliver Seth von den Grünen und verwies auch auf den anhaltend hohen Anteil fossiler Brennstoffe beim Wärmeverbrauch; etwa 70 Prozent nehmen hier Öl und Gas im Landkreis nach wie vor ein. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und russische Drohungen, den Gashahn abzudrehen, sagte Seth: "Wenn ich mir überlege, was das bedeutet, wird mir ganz anders. Das Überleben der Kommunen und der Gewerbetreibenden hängt davon ab." Landrat Christoph Göbel (CSU) hielt dagegen, es werde nicht alles stillstehen, wenn Putin den Gashahn zudrehe: "Es werden nicht alle auf der Straße stehen."

Die eigenen Möglichkeiten des Landkreises bei der Energiewende sind begrenzt

Unabhängig davon waren sich die Kreisräte einig, dass die Energiewende im Landkreis deutlich schneller vorankommen müsse. Allerdings stellte der Landrat auch klar, dass die Möglichkeiten des Landkreises selbst beim Umbau der Energieversorgung äußerst limitiert seien. Rein rechtlich sei es einem Landkreis nicht gestattet, selbst Fernwärmeleitungen, Geothermie- oder Photovoltaikanlagen und Stromtrassen zu bauen, sagte Göbel; qua Funktion könne ein Landkreis nur beratend etwa über eine Arbeitsgemeinschaft oder einen Zweckverband tätig werden.

Aber ein Landkreis kann Szenarien erarbeiten. Und genau das hat Energieexperte Schramek getan und aufgezeigt, wie die Klimaneutralität im Landkreis München bis 2035 - unter erheblichem Aufwand - realisiert werden könnte. So müssten etwa 70 Prozent aller geeigneten Dächer mit Solaranlagen bestückt werden, dies entspräche etwa 300 000 Solarmodulen; diese könnten 35 Prozent des benötigten Stroms produzieren. Weitere 35 Prozent - also etwa 1200 Megawatt - müssten durch PV-Freiflächenanlagen entlang von Autobahnen und Schienen erzeugt werden. Die restlichen 30 Prozent könnten aus Windenergieanlagen stammen. Dafür sind laut Schramek annähernd 90 Windräder bis ins Jahr 2035 nötig. Beim Wärmebedarf müsse vor allem auf den weiteren Ausbau der Geothermie gesetzt werde, aber auch auf Biomasseheizkraftwerke, Wärmepumpen und Holzpellets, so der Experte.

Laut CSU-Kreisrat Anton Stürzer liegt der geringe Anteil an Erneuerbaren im Landkreis an der sehr eigenen Struktur des direkten Münchner Umlands: Die Wirtschaft dominiere und sei für den hohen Energieverbrauch fossiler Brennstoffe mit verantwortlich. Im Landkreis Erding etwa, wo der Anteil Erneuerbarer 50 Prozent beträgt, gibt es Stürzer zufolge vier Mal so viele landwirtschaftliche Betriebe wie im Landkreis München. Diese hätten alle Photovoltaikanlagen auf ihren Dächern. Und während es im Landkreis München nur zwei Biomasseheizkraftwerke gebe, seien es im Landkreis Erding 70.

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