Landkreis München:Der Regierende

Landkreis München: Landrat Christoph Göbel handelt nicht immer parteikonform.

Landrat Christoph Göbel handelt nicht immer parteikonform.

Christoph Göbel hat in den ersten Monaten im neuen Amt ein atemberaubendes Tempo vorgelegt. Beim Thema Asylpolitik etwa stellt sich der Münchner Landrat vehement gegen die Linie der Landes-CSU - die Bürger wissen das zu schätzen.

Von Martin Mühlfenzl

Jetzt ist Konzentration angesagt. Also: Ohren auf, Blick gerade nach vorne. Obwohl, Zusehen hilft da wirklich nichts. Zu schnell bewegen sich die Lippen des Mannes. Im Sekundentakt prasseln die Worte auf einen ein wie Hagelkörner im grauen Herbststurm - nur nicht ganz so schmerzhaft.

Und wirklich hart treffen will und darf Landrat Christoph Göbel, der Mann mit dem zwar maschinengewehrartigen, aber doch sehr sanften Stakkato, ohnehin niemanden mehr. Ist er doch qua Amt einer gewissen Neutralität verpflichtet, obwohl er noch immer im Herzen ein Christsozialer ist. Viel erstaunlicher aber ist, dass sich der 40-jährige Gräfelfinger selbst eine nicht zu unterschätzende Überparteilichkeit auferlegt hat. Nicht zuletzt in den vergangenen Wochen, als ihn sein Kurs in der Flüchtlingspolitik in die politische Mitte - manche behaupten sogar, deutlich nach links - hat rücken lassen; von seiner eigenen Partei, vor allem von der Seehoferschen, Müllerschen und Herrmannschen Linie in Asylfragen, hat er sich deutlich distanziert, ja entfremdet.

Doch dazu später.

Nicht einmal mehr zehn Wochen, und Christoph Göbel ist ein Jahr im Amt. Viele im Landkreis - aus der eigene Partei, aber auch Kontrahenten und natürlich Bürger - haben damals gar nicht gewusst, was auf sie zukommt. Ebenso die etwa 800 Beschäftigten im Landratsamt. Verzeihung: Bald 870. Denn zu den ersten großen Leistungen Göbels gehört der Umstand, in den Etatverhandlungen des Landkreises für den Haushalt 2015 68 neue Stellen in der Behörde durchgesetzt zu haben. Ein erstes Ausrufezeichen, das er gemeinsam mit dem Kreistag und allen Fraktionen erreicht hat.

So also schafft es ein Neuer im Amt, sich Bekanntheit und auch Respekt zu verschaffen. Christoph Göbel ist sehr schnell nicht nur physisch am Mariahilfplatz, dem Sitz des Landratsamtes, angekommen. Er versteht es, das Amt politisch zu nutzen - zu seinen Gunsten, aber auch zum Vorteil des Landkreises.

Das ist keine Selbstverständlichkeit. Denn Landräte sind die eher unbekannten Wesen der Kommunalpolitik. Nachtschattengewächse, die der Öffentlichkeit längst nicht so vertraut und präsent sind wie die Bürgermeister vor Ort oder die Landtags- und Bundestagsabgeordneten, die mit dem Pfund ihrer Erfahrungen aus dem Maximilianeum oder aus Berlin wuchern können. Landräte fristen ein eher beschauliches Dasein. Es sei denn, sie heißen Gabriele Pauli oder Jakob Kreidl. Denn wer Ministerpräsidenten stürzt, in Latexkostümen auftritt, auf Sylt als Bürgermeisterin kandidiert oder den Steuerzahler über Jahre hinweg begaunert, der darf sich der öffentlichen Aufmerksamkeit sicher sein.

All das ist von Christoph Göbel, dem eher barock anmutenden und zurückhaltenden Familienvater, nicht zu erwarten.

Am Tag seiner Wahl aber, dem 30. März 2014, legte Göbel seine Zurückhaltung für einen Moment ab. Mit Bekanntgabe des Ergebnisses der Stichwahl fielen sich der neue Landrat und die CSU-Granden Ernst Weidenbusch und Florian Hahn in die Arme, hüpften durch das Foyer des Landratsamtes und freuten sich wie drei Abiturienten, die gerade erfahren haben, der ungeliebte Direktor würde den Sangria auf der Abschlussfahrt nach Mallorca bezahlen. Es war die pure Erleichterung dreier so selbstbewusster CSUler - ein Gefühl, das sie noch nicht kannten. Göbel zitterte sich erst in der Stichwahl gegen die SPD-Bewerberin Annette Ganssmüller-Maluche ins Ziel; in einem Landkreis, den die Christsozialen eigentlich immer als Erbhof betrachtet hatten. Doch die Wahlniederlage ihres Landrats Heiner Janik aus dem Jahr 2008 gegen die Genossin Johanna Rumschöttel hat die Partei im Landkreis verändert.

Ihre Nachwirkungen reichen bis in die Gegenwart - im positiven Sinne. Heiner Janik, der von 1996 bis zu seiner Abwahl 2008 die Geschicke des Kreises führte, war ein Landrat der alten Schule: teils absolutistischer Herrscher, teils Eremit im Elfenbeinturm Landratsamt. Rumschöttel hat danach mit ihrer offenen Art das Amt verändert. Sie hat es geschafft, das Amt den Bürgern näher zu bringen. Sie hat sich in den sechs Jahren als Landrätin immer weiter von ihrer eigenen Partei entfernt, den Boden der Parteilichkeit verlassen.

Das führt Christoph Göbel fort.

Seine Nominierung als CSU-Landratskandidat war einst keine große Überraschung. Die Partei hatte über einen langen Zeitraum alles gezielt vorbereitet - und dann den eher unscheinbaren Gräfelfinger Bürgermeister präsentiert. Vieles deutete damals darauf hin, die Alphatiere Ernst Weidenbusch, der CSU-Kreisvorsitzende, Florian Hahn, der Bundestagsabgeordnete, und Stefan Schelle, der Oberhachinger Bürgermeister und Fraktionschef im Kreis, hätten sich auf Göbel verständigt, um die eigenen Positionen zu stärken. Ein eher unbekannter und schwacher Kandidat als letztlich eher unbekannter und schwacher Landrat - und im Hintergrund würden weiterhin die starken Männer die Fäden ziehen. Nichts davon ist eingetreten. Vielmehr hat mittlerweile Ernst Weidenbusch etwa seinen Abschied vom CSU-Kreisvorsitz angekündigt.

Christoph Göbel hat sich erstaunlich schnell mit seiner neuen Aufgabe vertraut gemacht. Mehr noch: Der Münchner Landrat genießt sie in vollen Zügen, strahlt dabei eine ungeheure Freude aus. Ja, Landrat zu sein, macht einfach nur Spaß.

Die Sitzungen der Ausschüsse und des Kreistags leitet der neue Landrat mit viel Antrieb, eigentlich moderiert er sie eher, ergreift aber auch selbst immer wieder das Wort, um Sachverhalte in eine gewisse Richtung zu drehen - in seine. Das war und ist auch so beim Thema Asyl. Ein Bereich, bei dem die CSU gerne mit Sprüchen wie "Wer betrügt, der fliegt" am rechten Rand auf Stimmenfang geht. Polemik dieser Art ist Christoph Göbel fremd. Er hat die Flüchtlingspolitik in seinem Zuständigkeitsbereich zur Chefsache erklärt und peitscht Maßnahmen wie Bereitstellung finanzieller Mittel, Ankauf von Flächen und Ausbau von Unterkünften ebenso schnell voran wie die Tagesordnungspunkte in Kreistagssitzungen. Der Landrat ist dabei so präsent wie kein anderer Politiker des Kreises - auf jedem Neujahrsempfang, jedem Vereinstreffen jeder Gesprächsrunde wird er nicht müde, die Verantwortung der Menschen in seinem Landkreis für Neuankömmlinge zu betonen. Die 29 Kommunen sollen den Flüchtlingen eine neue Heimat sein - eine viel bessere als jene, die etwa Sozialministerin Emilia Müller in Sammelunterkünften schafft.

Diese neuen Töne kommen bei den Menschen an. Christoph Göbel hat nach kurzer Zeit im Amt bereits seinen ganz eigenen Stil gefunden. Er ist dabei atemberaubend schnell unterwegs, meist auf Ausgleich bedacht - und doch auch hart in der Sache. Wird etwa Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz ob seiner bedachten Art mit Kanzlerin Angela Merkel verglichen, darf Göbel ruhig in die Nähe des nüchternen Hanseaten gerückt werden. Stefan Schelle etwa hat die führende Rolle des Landrats auch in seiner Partei längst akzeptiert. Er hat sogar das Jahr 2015 im Landkreis zum "Jahr Christoph Göbels" erklärt - in weiser Voraussicht beim neujährlichen Bleigießen.

Göbels Vorgängerin Rumschöttel hat das Landratsamt einst als Zwitter bezeichnet, als Mischung aus Verwaltungsbehörde und politischem Betrieb. Mit der Aufstockung des Personals im Landratsamt - vor allem im Bereich der Flüchtlingspolitik - hat Göbel bereits gezeigt, dass er den Spagat zwischen beiden Welten beherrscht und nicht gewillt ist, als reiner Bürokrat am Mariahilfplatz zu versauern. Als politischer Landrat, der eigene Ideen vorantreibt, wird Göbel aber auch zukünftig Konflikte austragen müssen, er wird unter Beschuss geraten und sich wehren müssen. Er wird dabei auch Fehler machen. Bisher hat der Gräfelfinger dies aber mit erstaunlicher Leichtigkeit vermieden.

Es wird sich lohnen, diesem Landrat weiter zuzuhören. Auch, wenn man nicht immer alles auf Anhieb versteht.

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