Süddeutsche Zeitung

Darts:"Ich erwarte mir nach dieser WM eine noch größere Euphorie"

Die Zahl der Mitglieder beim Deutschen Dart-Verband steigt rasant, der Dart Pub in Haar hat mittlerweile täglich geöffnet: Die Klubs im Raum München profitieren von den WM-Erfolgen von Gabriel Clemens.

Von Stefan Galler, Haar/Neuried

Es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, dass die Keimzelle des Darts-Booms in Deutschland im Landkreis München liegt. Das hängt nicht unbedingt damit zusammen, dass das Pfeilewerfen hier besonders eifrig und erfolgreich betrieben wird. Vielmehr wird es von hier aus in die ganze Republik verbreitet, der im Medienpark zwischen Ismaning und Unterföhring beheimatete Sender Sport 1 zeigt seit 2004 die Weltmeisterschaft in dieser Sportart.

Und er verbuchte in diesem Jahr Rekord-Einschaltquoten: Erstmals waren mehr als drei Millionen Zuschauer dabei, wenn im Alexandra Palace in London die Spicker flogen. Während des WM-Halbfinales, das der Saarländer Gabriel "Gaga" Clemens gegen den späteren Titelträger Michael Smith verlor, waren es in der Spitze sogar 3,78 Millionen. Das sind nur die Zahlen des Free-TV-Senders Sport 1 wohlgemerkt, denn viele der fanatischen Anhänger leisten sich ein Abo beim - übrigens ebenfalls im Medienpark beheimateten - Streaming-Dienstleister Dazn, der alle Events des Profiverbands PDC im Laufe eines Jahres überträgt, jedoch seine Nutzerzahlen nicht veröffentlicht.

"Gaga Clemens ist der Boris Becker des Dartssports", sagt Pub-Betreiber Klaus Wolhorn

Darts, das "Golf der Arbeiterklasse", wie es der ehemalige PDC-Chef Barry Hearn einmal nannte, weil man außer Pfeilen und einem Kork-Board nichts dazu benötige, ist womöglich tatsächlich auf dem Weg zum Volkssport, was durch die aktuellen WM-Erfolge der heimischen Dartsspieler noch ordentlich befeuert wird: Clemens erreichte als erster Deutscher die Runde der letzten Vier, in dem Brandenburger Martin Schindler schaffte ein weiterer den Sprung ins Achtelfinale. "Die Begeisterung ist schon riesengroß", sagt Klaus Wolhorn, der in Haar das "Dart Pub 180" betreibt, wo einer der erfolgreichsten oberbayerischen Vereine gleichen Namens beheimatet ist. "Gaga Clemens ist der Boris Becker des Dartssports. Ich erwarte mir nach dieser WM eine noch größere Euphorie."

Die Sportart wuchs schon vor den jüngsten Erfolgen von Clemens und Co., zwischen 2016 und 2022 hat sich die Anzahl der Mitglieder beim Deutschen Dart-Verband (DDV) von etwas mehr als 10 000 auf fast 20 000 nahezu verdoppelt.

Und so hat auch das Dart Pub in Haar mittlerweile zumindest im Herbst und Winter täglich geöffnet, es tummeln sich regelmäßig etwa 20 Spieler an den Scheiben, die sich in verschiedenen Konstellationen auf vier Steel- und 14 Elektronik-Darts-Mannschaften verteilen. Prominentester Haarer Dartsspieler ist der gebürtige Landsberger Michael Unterbuchner, in der ganz aktuellen PDC-Weltrangliste auf Platz 164, der seine beste Saison 2018 hatte, als er beispielweise Top-Star James Wade besiegte und ins Viertelfinale des Major-Turniers Grand Slam of Darts einzog. Zweimal hat Unterbuchner zudem schon das Halbfinale einer Weltmeisterschaft erreicht, allerdings jeweils beim konkurrierenden Weltverband BDO, der nicht ein so hohes Prestige hat wie die PDC.

"Michael trainiert wir ein Irrer", sagt Pub-Chef Klaus Wolhorn, für den es ein Glücksfall ist, dass Unterbuchner, der 2016 mit den Black Birds Kelheim deutscher Mannschaftsmeister wurde, neben seinen internationalen Auftritten im Liga-Alltag mittlerweile für den Haarer Klub spielt. Denn auch "Dart Pub 180" hat durchaus Ambitionen: Die erste Mannschaft will wieder zurück in die Bayernliga, derzeit führt sie die zwei Klassen tiefere Regionalliga an.

Haar ist nicht die einzige Darts-Hochburg im Landkreis , so hat beispielsweise auch der TSV Neuried seit ein paar Jahren eine eigene Abteilung, nachdem die früheren Dartsspieler des TSV Forstenried dort Asyl gefunden haben. "Der Verein hat uns toll aufgenommen", sagt Spartenleiter Helmut Griesshammer, der sich vor allem darauf freut, wenn seine Pfeilewerfer schon bald einen eigenen Übungsraum bekommen: "Dann können wir zweimal pro Woche trainieren und nicht wie bisher nur einmal."

Denn bislang üben die Neurieder in der Klubgaststätte, und zwar am Montag, denn das ist dort der Ruhetag. "Wir halten uns streng an den Jugendschutz, Alkoholausschank ist deshalb absolut verboten." Insofern sei der Ruhetag ideal, denn bei den TSV-Dartern sind schon einige Nachwuchstalente mit dabei. Und man sei weiterhin bereit, Spieler aufzunehmen, "auch wenn wir momentan explodieren, was das Interesse angeht", so Griesshammer.

Um die Ausbildung der Jugend kümmert sich auch Michael Kreuzpaintner. Der Neubiberger ist Spielleiter im Oberbayerischen Dartsverband und seit gut sechs Jahren als Trainer tätig. "Wir haben in Bayern damit begonnen, Lizenzen für Übungsleiter auszugeben, mittlerweile ziehen andere Landesverbände nach", sagt Kreuzpaintner, der jüngst einen Lehrgang mit den besten Schülern und Junioren aus ganz Bayern abgehalten hat. Bei den Jüngeren bis 13 Jahren besteht die Regel noch nicht, dass man ein 501er-Leg mit einem Doppelfeld beenden muss, ansonsten kommt es auch bei den Jüngsten schon neben dem Wurf- und Zielgefühl darauf an, dass man gut rechnen kann.

Kreuzpaintner spielt aktiv seit 2007, als sich der 16-fache Weltmeister Phil Taylor und der Niederländer Raymond van Barneveld das vielleicht spektakulärste WM-Finale der bisherigen Darts-Geschichte lieferten. Er begann mit elektronischen Darts, spielt seit sieben Jahren Steeldarts - und zwar beim TSV 1860 München, der nicht nur über eine eigene Dartsabteilung, sondern auch über einen Trainingsraum im ehemaligen Pressestüberl der Löwen verfügt.

Da geht es den Dartsspielern in Unterschleißheim nicht ganz so gut. Sie üben ihren Sport in der Pilsstube Hopfenland aus, zwei Klubs trainieren hier, seit ihr ehemaliges Lokal in ein Autohaus umfunktioniert wurde, wie Wirt Milan Opacak erzählt. "Wenn Bayern spielt in der Champions League oder Bundesliga, dann kann leider kein Darts gespielt werden, da sind zu viele Gäste da." Vielleicht schafft es Gaga Clemens ja in den nächsten Jahren, dass diese Prioritäten - zumindest in der Pilsstube - durcheinandergewirbelt werden.

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