Süddeutsche Zeitung

Coronavirus im Landkreis München:Homeschooling soll die Ausnahme bleiben

Etwa tausend Kinder und Jugendliche von 32 Schulen befinden sich derzeit in Quarantäne. Trotzdem wollen weder Lehrer noch Eltern, dass vorsorglich Klassen geteilt und zum Teil digital unterrichtet werden.

Von Iris Hilberth und Sabine Wejsada

Die Liste der Schulen, die aufgrund von Corona-Fällen unter ihren Schülern und Lehrern einzelne Klassen in Quarantäne schicken müssen, wird trotz des Teil-Lockdowns im Landkreis München immer länger. Laut Landratsamt werden aktuell etwa 1000 Kinder und Jugendliche von 32 Schulen digital zu Hause unterrichtet. Trotzdem wollen sowohl Lehrer als auch Eltern, dass die Schulen möglichst lange offen gehalten werden. Vorsorglich die Klassen zu teilen und zum Homeschooling überzugehen, ist nicht geplant.

Landrat Christoph Göbel (CSU) sagt: "Den übergeordneten Zielvorstellungen von Bundes- und Landespolitik, den Betrieb von Schulen und Kindertageseinrichtungen möglichst aufrecht zu erhalten, sofern durch das örtliche Infektionsgeschehen nichts anderes veranlasst ist, versuchen wir auch im Landkreis München bestmöglich Rechnung zu tragen." Es sei ein schmaler Grat zwischen Infektionsschutz und Bildungsgerechtigkeit sowie dem Bestreben, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen.

Aktuell gibt es im Landkreis München keine Schule, die in absehbarer Zeit komplett geschlossen werden muss. Dies sei jedoch nur eine Momentaufnahme und könne sich jederzeit auch kurzfristig ändern, teilt das Landratsamt mit. In die Entscheidung, ob der Präsenzunterricht an einer Schule vorübergehend ruhen muss, fließen mehrere Aspekte mit ein. Es gibt keine feste Kennzahl an Infizierten oder in Quarantäne befindlichen Kontaktpersonen, ab welcher der Schulbetrieb zwingend auf Homeschooling oder geteilten Unterricht umgestellt werden muss. Es handelt sich dabei immer um Einzelfallentscheidungen, die auf Basis der aktuellen Situation in Absprache von Schulleitung und Gesundheitsamt getroffen werden. Bei der Entscheidungsfindung werden zusätzlich zu infektiologischen Gesichtspunkten verschiedene Kriterien berücksichtigt, wie die Zahl der verfügbaren Lehrkräfte, die Zahl der positiv Getesteten oder die Organisationsstruktur der Schule, etwa geschlossene Klassen oder durchmischende Gruppen in der Kollegstufe. Wesentliche Prämisse ist dabei die Verhältnismäßigkeit.

Eine dreitägige Schließung direkt im Anschluss an die Herbstferien hat es am Unterhachinger Lise-Meitner-Gymnasium gegeben, nachdem bereits ein Drittel der Schüler in Quarantäne gewesen war. Für Schulleiterin Michaela Trinder ist dies ein gutes Beispiel dafür, wie lokal reagiert werden sollte. "Am Donnerstag waren alle Lehrer und bis auf eine Klasse alle Schüler wieder da und seitdem hatten wir keinen einzigen Fall mehr." Sie plädiert dafür, auch künftig so zu verfahren, auf konkrete Situationen zu reagieren und nicht pauschal die Klassen zu halbieren und ins Homeschooling zu schicken. Auch Johannes von der Forst, stellvertretender Schulleiter am Gymnasium Oberhaching, ist "eher nicht begeistert" von der Vorstellung, die Hälfte der Schülerschaft im Homeschooling zu unterrichten. "Gleichwertiger Unterricht ist so nicht möglich", sagt er. Wechselweise zu unterrichten, sei noch schwieriger, als die gesamte Klasse im Homeschooling zu haben.

Für Stefan Ambrosi, den Direktor der Ismaninger Realschule, wäre der Schichtunterricht, so er denn angesichts steigender Corona-Zahlen kommen müsste, dagegen ein gangbarer Weg. Seit Beginn des Schuljahres hat es auch in seiner Schule Infektionen mit dem Coronavirus unter den Schülern gegeben. Zwei komplette Klassen mussten in Quarantäne, dazu jeweils die Religionsgruppen. Dennoch sei an seiner Schule die Stimmung gefasst und gelassen, sagt Ambrosi. Die Ismaninger Schule habe seit September massiv in die Schulung von Lehrern und Schülern investiert; die durch Covid 19 erzwungene Umstellung der betroffenen Klassen auf den Fernunterricht habe sehr schnell geklappt. Einem kompletten Homeschooling steht Ambrosi skeptisch gegenüber: "Schule ist ein Geländer." Gerade jüngere Schüler brauchten Struktur, die Beziehung zu Lehrern und Gleichaltrigen. Sollte das Wechselmodell kommen, will Ambrosi das täglich umsetzen. Das heißt: Die Kinder und Jugendlichen lernen abwechselnd einen Tag im Klassenzimmer, den anderen zu Hause. Nach dem Lockdown im Frühjahr habe man einen Drei-Tage-Rhythmus praktiziert, doch die Erfahrung habe gezeigt, dass das zu lang ist. "Wir brauchen den Augenkontakt. Kinder müssen Fragen stellen können, ganz analog." Für Ambrosi wäre es ein "Etappenziel", die Schulen bis zu den Weihnachtsferien offen zu halten. Ambrosi und sein Lehrerkollegium aber planen schon weiter: So hat die Realschule bereits bei der Gemeinde nachgefragt, um etwa für Prüfungen den Bürgersaal oder die Hainhalle nutzen zu können. Dort lassen sich die Abstände spielend einhalten.

Gleiches gilt schon jetzt im neuen Unterföhringer Gymnasium: In dem weitläufigen Gebäude werden derzeit nur drei Jahrgänge unterrichtet. Jede Klasse hat zwei Räume; in einem kann analog unterrichtet werden, der andere Teil der Schüler verfolgt die Stunde im Livestream. Das habe sich bislang bestens bewährt, sagt Schulleiterin Betina Mäusel. Und dank einer modernen Ausstattung der neuen Schule hat auch das Homeschooling für die von Corona betroffenen Klassen funktioniert: Nach dem Anruf vom Gesundheitsamt sind die Kinder nach Hause geschickt worden, am nächsten Morgen saßen sie um 8 Uhr in der Früh vor dem PC und hatten digitalen Unterricht nach Stundenplan.

Ebenfalls für ein Offenhalten der Schulen nicht nur bis Weihnachten, sondern am besten darüber hinaus, plädiert Eva Möbius. Sie ist Elternbeiratsvorsitzende der Realschule in Neubiberg und hat nach eigenen Angaben den Eindruck, dass dies auch Wunsch der allermeisten Eltern ist. Diese seien freilich trotzdem verunsichert, sagt Möbius, die in ihrer Funktion jeden Tag zahlreiche E-Mails von Müttern und Vätern erhält. Darin geht es etwa um das Lüften der Klassenzimmer, Masken im Sportunterricht und Corona-Tests nach Erkältungen. Eine Angst aber eint die Eltern laut Möbius: Sie befürchten, dass ihre Kinder durch Homeschooling den Anschluss verlieren könnten.

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SZ vom 19.11.2020/hilb
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