Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahl im Landkreis München:"Ich weiß, wie Arbeiten ist und wie Kindererziehung"

Katinka Burz ist relativ neu in der Politik: Sie stieß 2018 zur Linken und sammelt gerade als Kreisrätin erste Erfahrungen in einem Gremium. Für ihre Bundestagskandidatur sieht die 40 Jahre alte Kirchheimerin das nicht als Nachteil.

Von Claudia Wessel, Kirchheim

Sie sei etwas nervös, sagt Katinka Burz, da noch so neu im Politikgeschäft. Dabei sitzt sie ganz ruhig und entspannt am Tisch beim Italiener im Räter-Einkaufszentrum in Kirchheim an diesem Sonntagnachmittag. Dort findet gerade das Kultur-Festival statt, doch um 14 Uhr sind noch die meisten Tische vor der Bühne leer, obwohl die Band pünktlich mit Boogie-Woogie-Sound beginnt. Später taucht dann sogar noch Luise Kinseher auf, die erst am Abend hier auftreten wird. Sie sitzt im kleinen Kreis an einem Tisch, isst etwas, trinkt dann einen Cappuccino und raucht eine Zigarette. Genau wie Katinka Burz, Bundestagskandidatin der Linken im Wahlkreis München-Land.

Und das ist fast schon wie ein kleines magisches Zeichen. Denn die Kabarettistin spielte im Leben von Burz schon eine kleine Rolle. "Als ich noch nicht in München lebte, war ich einmal hier und in einer kleinen Bar gehörte auch Kinseher zu den Gästen. Wir haben uns unterhalten, Small Talk gemacht. Ich wusste damals zuerst noch nicht, wer sie ist", erinnert sich die 40-Jährige. Aber dass Kinseher eine coole, starke Frau ist, bemerkte Burz sofort. Und das ist sie selbst ja auch.

"Da fiel mir die Bildungsungleichheit auf."

Katinka Burz ist alleinerziehende Mutter. Ihr Sohn ist mittlerweile 21, ihre Tochter 14 Jahre alt. Im Raum München lebt die kleine Familie seit 2015, zuerst ein Jahr in Giesing, seit 2016 in Kirchheim, wo sie sich jetzt "schon sehr angewurzelt" fühlt, wie Burz sagt. In der Partei, für die Katinka Burz jetzt antritt, ist sie erst seit 2018 Mitglied. "Ich war vorher einfach zu sehr beschäftigt, mit Kindererziehung und Arbeit." Burz ist Kinderpflegerin und arbeitet Vollzeit im "Erziehungsdienst" für obdachlose Familien, bei einem freien Träger in Obermenzing. Dieser Beruf habe auch dazu beigetragen, dass sie die Linke gewählt hat, um sich politisch zu engagieren, sagt Burz.

Im Erziehungsdienst ist sie erst seit diesem Jahr, vorher hat sie bereits Erfahrungen in Brennpunktschulen gesammelt. "Da fiel mit die Bildungsungleichheit auf." Den Begriff "sozial schwach" für die dortigen Schülerinnen und Schüler mag sie nicht. "Sie sind strukturell schwach, armutsgefährdet", diese Formulierung findet sie passender. Und armutsgefährdet sei sie ja auch selbst. "Als Alleinerziehende rast man sehenden Auges in die Altersarmut!"

Und wie kam nun der relativ späte Weg in die Politik? "Mein Partner, der leider 2014 verstorben ist, sagte immer: Geh doch in die Politik!" Er kannte seine Freundin als engagierte Kämpferin für soziale Gerechtigkeit. Doch seinerzeit sagte Burz noch Nein. "Nach seinem Tod habe ich dann entschieden, es doch zu tun." Dieses Vermächtnis hat er somit hinterlassen. "Natürlich war da erst einmal die Trauer, die dauert ziemlich lange", erzählt Burz. Daher trat sie erst vier Jahre später in die Linke ein und landete in der Ortsgruppe München-Ost. "Ich habe nicht die klassische Politikerkarriere", sagt sie und meint das absolut positiv. "Ich weiß, wie Arbeiten ist und wie Kindererziehung", darauf ist sie durchaus stolz und sie lässt durchblicken, dass sie das weit besser findet als viele andere Politiker, die vom realen Leben im Grunde keine Ahnung, da keine Erfahrung hätten.

"Ich war nie in der linken Blase", ergänzt sie und meint damit, dass sie einfach ein normales durchschnittliches Leben geführt hat und führt. "Ich rede mit allen", betont sie. Nicht zuletzt auch deshalb, weil es in Kirchheim nur eine Genossin gebe. "Ansonsten sind die verteilt über den Landkreis." Eine gebe es noch in Aschheim. Das Gute daran: "Die Menschen kennen mich", sozusagen als ganz normale Kirchheimerin, mit der sie auf der Straße ins Gespräch kommen.

Ein politisches Amt bekleidet Burz erst seit der Kommunalwahl im März 2020. Seinerzeit wurde sie als einzige Linke in den Kreistag gewählt. Ein gutes Jahr ist keine lange Zeit, findet Burz. "Bisher bin ich noch dabei, mich an das Politikgeschehen zu gewöhnen." Einen eigenen Antrag hat sie bisher im Kreistag noch nicht gestellt, aufgrund einer Änderung der Geschäftsordnung ist sie auch in keinem Ausschuss vertreten. Nach der alten hätte sie eine Ausschussgemeinschaft mit einem Kreisrat einer anderen Partei bilden können, doch das geht nun nicht mehr. Gerne mitarbeiten würde sie im Jugendhilfe- oder Sozialausschuss. Letzterem gehört sie immerhin als Stellvertreterin an. "Aber es ist selten, dass die Kollegin ausfällt."

"Ich sehe realistisch, wo die Linke steht."

Und nun möchte sie nach so kurzer Politikerfahrung gleich in den Bundestag wechseln? "Ich sehe realistisch, wo die Linke steht", sagt Burz, die auf Platz 21 der Landesliste gesetzt wurde und vermutlich eher nicht im Bundestag landen wird. Sie findet es trotzdem wichtig zu kandidieren, um für die Position der Linken einzutreten. Dafür will sie den Wahlkampf nutzen, den sie gemeinsam mit ihrem Team vorbereitet. Die Fotosession für das Bild auf ihrem Wahlplakat hat sie schon hinter sich, wobei es gar keine professionelle Session war, wie ihr wichtig ist, zu betonen. "Das Foto hat meine Freundin gemacht." Sie haben verschiedene Versionen angefertigt, mit verschiedenem Gesichtsausdruck der Kandidatin - ob sie ernst schauen oder lächeln oder skeptisch dreinschau sollte, da war sich Burz als Politikanfängerin auch gar nicht sicher. Denn schließlich ist es das allererste Wahlplakat mit ihrem Konterfei.

Welchen Gesichtsausdruck das Wahlkampfteam nun auswählen wird, ist an diesem Sonntagnachmittag noch nicht klar. Fest steht auf jeden Fall schon, dass Katinka Burz mit ihrem 19 Jahre alten Ford Galaxy voller Plakate und Kleistereimer losziehen und es selbst aufhängen wird. Eine gute symbolische Handlung für das, was sie als Linke an die Wählerinnen und Wähler rüberbringen will. Statt die Straßen sollte man lieber den öffentlichen Nahverkehr ausbauen, bis 1200 Euro Lohn sollte man von der Steuer befreit sein, die Vermögenden sollten weit mehr Steuern zahlen als die Ärmeren, niemand sollte mehr Flaschen sammeln müssen. Und es wäre besser, wenn alle Parteien das Prinzip der Linken beachten würden: "Wir sind die einzige Partei, die keine Großspenden annimmt." Also kein Geld von großen Lobbyisten, die ihre Politik beeinflussen wollen. Viele Ziele, für die man einen langen Atem braucht. "Manchmal wünschte ich, ich könnte mit einem Fingerschnipsen die Welt besser machen."

Das würde sie aber nicht einmal als Bundestagsabgeordnete schaffen. Bei allem Reiz, den Berlin auf sie ausübt, findet sie es deshalb nicht schlimm, vermutlich doch in Kirchheim und nur im Kreistag zu bleiben. "Es wäre ohnehin als Alleinerziehende sehr schwierig", sagt sie und nennt als abschreckendes Beispiel, dass die Co-Chefin der Grünen in Thüringen, Ann-Sophie Bohm, die ihr Baby mit in die Sitzung des Weimarer Stadtrats brachte, anonym wegen Kindeswohlgefährdung angezeigt wurde. In Sachen Achtsamkeit und Frauenfreundlichkeit - unter anderem - gibt es laut Burz in der Politik noch viel zu tun. Sowohl im Landkreis München, als auch in Berlin.

Alle Infos zur Bundestagswahl und Porträts der Direktkandidaten im Landkreis München finden Sie hier.

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SZ vom 18.08.2021
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