Abfallwirtschaft:"Niemand wollte uns Kreisräte hinters Licht führen"

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Die stillgelegte Biomüll Vergärungsanlage in Kirchstockach dient nur noch als Zwischenlager und Verladestation. (Foto: Claus Schunk/)

Politiker aller großen Parteien wehren sich gegen den Eindruck, dass die Biovergärungsanlage in Kirchstockach aufgrund mangelnder Kontrolle durch das Landratsamt heruntergewirtschaftet wurde. Einer allerdings erinnert daran, dass er das Desaster vorhergesehen hat.

Von Martin Mühlfenzl, Brunnthal

Schon vor nahezu drei Jahrzehnten gingen die Meinungen über das Vorzeigeprojekt des Landkreises München im Brunnthaler Gemeindeteil Kirchstockach auseinander - und auch nach so langer Zeit klingen sie wie damals. "Es war mir von Anfang an klar, dass das ein ewiges Desaster wird", sagt der CSU-Landtagsabgeordnete und Landratsstellvertreter Ernst Weidenbusch über die im Jahr 1997 in Betrieb gegangene Biovergärungsanlage des Landkreises. Weidenbusch war in den Neunzigerjahren der einzige Kommunalpolitiker im Münchner Kreistag, der gegen das ehrgeizige und mehr als 30 Millionen Euro teure Vorhaben stimmte.

Es gibt aber rückblickend auch eine ganz andere Sichtweise. "Das war eine gute Idee, die auch von der Bevölkerung gut angenommen wurde - vielleicht zu gut", sagt Christoph Nadler, Fraktionschef der Grünen im Kreistag, über die Anlage. "Es war zu erfolgreich und ist am eigenen Erfolg erstickt, weil immer auf Volllast gefahren wurde und nichts mehr gewartet werden konnte."

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Fakt ist: Heute steht die Biovergärungsanlage still, es wird kein Biomüll mehr vergärt und in Energie umgewandelt - hier auf der einst hochmodernen Anlage wird nur noch Müll gesammelt, um anschließend auf oft recht weit entfernte Anlagen verteilt zu werden, was den Landkreis im Jahr etwa fünf Millionen Euro an Entsorgungsgebühren kostet. Und so steht die Frage im Raum, wie es so weit kommen konnte. Welche Verantwortung das Landratsamt trägt. Ob der Betreiber, die Brunnthaler Firma Ganser, die einst hochmoderne Anlage auf Verschleiß gefahren und herunter gewirtschaftet hat. Und ob die Kreisräte vielleicht nicht genau hingeschaut haben.

Otto Bußjäger, Kreisrat der Freien Wähler, wohnt etwa einen Kilometer weit von der Biovergärungsanlage entfernt. Er war damals dabei, als die Anlage in Betrieb ging, als Menschen gegen den Bau im sensiblen Trinkwasserschutzgebiet protestierten. "Das war zu einem Zeitpunkt, als viele im Land über das Thema Nachhaltigkeit noch gar nicht nachgedacht haben", sagt der Höhenkirchner. "Ich habe die Anlage auch immer kritisch begutachtet. Aber sie hat uns fast 30 Jahre lang gute Dienste erwiesen, die zu günstigen Gebühren für die Bürger und grüner Energie geführt haben." Der Landkreis und auch die Firma Ganser seien Pioniere gewesen, so Bußjäger. Und dass die Vergärungsanlage nun stillsteht? "Die Anlage lief seit der ersten Minute durch. Nach 30 Jahren müssen sie einfach eine Generalsanierung machen."

Bei der Einweihung der Anlage in Brunnthal im Jahr 1997 gab es auch Proteste. (Foto: Claus Schunk)

Zu einer anderen Einschätzung kam ein Gutachten, das der Landkreis im vergangenen Jahr in Auftrag gegeben hatte, und über das die SZ erst vor wenigen Tagen berichtete: Zwei externe Sachverständige bescheinigen der Firma Ganser darin, den Betrieb mit zu wenig Personal "auf Verschleiß gefahren" zu haben, Intervalle für die Wartung und Revision seien nicht eingehalten, mit dem Landratsamt vereinbarte Zuständigkeiten für Reparatur und Unterhalt seien ignoriert worden. All das hat zur Folge, dass eine Instandsetzung der Biovergärungsanlage wohl nahezu 14 Millionen Euro kosten würde - äußerst vorsichtig geschätzt. Eine Anfrage der Süddeutschen Zeitung zu dem Gutachten hatten die Brüder Matthias und Günter Ganser als Eigentümer des Familienbetriebs unbeantwortet gelassen.

Den Vertrag mit der Firma Ganser löste Landrat Christoph Göbel (CSU) 2021 auf. "Meine Befürchtung war, dass es wegen der Technik nie gescheit funktioniert", sagt sein Parteifreund und Stellvertreter Weidenbusch. "Das größte Problem war ja der Wartungsaufwand, es waren alles Einzelanfertigungen. Irgendwann war auch der Betreiber von den Nachbeschaffungen genervt." Dennoch hätte sich wohl ein genauerer Blick aus dem Landratsamt gelohnt, so Weidenbusch: "Man hat immer gehofft, mit der nächsten Maßnahme kommt der Durchbruch. Aber es gab keinen Durchbruch." Die Behörde habe schon transparent agiert und Missstände dargestellt, sagt Weidenbusch - nur: "Selber wollten sie es nicht hören."

"Niemand wollte uns als Kreisräte hinters Licht führen"

Mit der Posse rund um die Biovergärungsanlage habe er sich seit seinem ersten Tag als Kreisrat kurz nach der Kommunalwahl im Frühjahr 2020 beschäftigt, erzählt SPD-Fraktionssprecher im Kreistag Florian Schardt: "Und dass vieles im Argen lag, wurde mir auch schon am ersten Tag klar." Er habe aber nicht das Gefühl, dass seitens des Landratsamts Dinge verschleiert wurden. "Wir wurden schon informiert, es herrschte auch Transparenz", so der Ottobrunner. "Niemand wollte uns als Kreisräte hinters Licht führen." Nun sei es aber an der Zeit, alle Dinge auf den Tisch zu legen. Denn natürlich sei es bedauerlich, dass bisher alles Relevante in nichtöffentlichen Sitzungen hinter verschlossenen Türen besprochen wurde.

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Christoph Nadler bestätigt, dass der Kreistag vom Landratsamt regelmäßig über die Zustände in Kirchstockach unterrichtet worden sei, auch hätten die Kreisräte immer wieder kritisch nachgehakt. Problematisch sei es im Jahr 2018 geworden, als der Betreiber vom Landkreis Investitionen in Millionenhöhe in die Anlage forderte. "Da haben wir dann ein Gutachten machen lassen. Und es hat auch immer die gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollen durch das staatliche Landratsamt gegeben. Aber halt auch nicht mehr - aus Personalmangel", so Nadler.

Otto Bußjäger indes pocht weiter darauf, dass vertragsrelevante Dinge unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu besprechen sind. "Alles andere wäre doch unprofessionell", sagt er. Die Schuld für das vorläufige Aus der Biovergärungsanlage sieht er weder beim Landratsamt, noch bei den früheren Betreibern: "Die haben gut zusammengearbeitet." Vieles, was jetzt in der Öffentlichkeit diskutiert werde, sei aus dem Zusammenhang gerissen, stütze sich auf Vermutungen und Halbwissen. "Ich habe mit schon die Frage gestellt, ob da nicht jemand einen Rachefeldzug führt", sagt Bußjäger angesichts der Tatsache, dass der Süddeutschen Zeitung das im vergangenen Jahr erstellte Gutachten zugespielt worden ist.

Wie es mit der Biomüllverarbeitung nun weitergehen wird? Den dauerhaften Abtransport ab Kirchstockach für mehrere Millionen Euro im Jahr kann sich niemand vorstellen. Eine kommunale Lösung wäre das Sinnvollste, sagt Nadler, vielleicht sogar in Brunnthal. Den Standort präferiert auch Bußjäger wegen der guten Lage und der Anbindung an die Autobahn.

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