Landkreis:Kunst im Wechseltakt

Das kulturelle Leben im Landkreis präsentiert sich 2015 kreativ, überrascht und berührt sein Publikum. Doch einige Veränderungen kündigen sich an

Von Irmengard Gnau, Landkreis

Dass sich der Landkreis in kultureller Hinsicht so vielgestaltig präsentieren kann, verdankt er zu allererst den Menschen, die der Kulturlandschaft mit ihrer Kreativität und ihrem Engagement ein Gesicht geben. Von einigen prägenden Figuren heißt es nach diesem Jahr Abschied zu nehmen.

Nach nur eineinhalb Jahren als Intendantin verließ Nitrit Sommerfeld im März verfrüht das Kleine Theater Haar, zum Bedauern vieler Zuschauer. Die gebürtige Israelin und Multikünstlerin hatte frischen Wind in das Jugendstiljuwel gebracht und manches neue Projekt initiiert. Doch der enge finanzielle Spielraum des Theaters, das bestehende Konzept und die künstlerischen Ambitionen der Intendantin passten auf Dauer nicht zusammen. So einigte man sich darauf, Sommerfelds Vertrag vorzeitig aufzulösen.

Ihren Posten hat Matthias Riedel übernommen. Seit sieben Monaten verantwortet der 44-Jährige den Fachbereich Kultur am Sozialpädagogischen Zentrum des Bezirks Oberbayern (SPZ) und damit auch die Leitung des Kleinen Theaters. "Das Theater ist im Moment meine größte Aufgabe", sagt Riedel.

Er schwärmt von der Atmosphäre des Jugendstilbaus und vom kreativen Umfeld des Theaters. Die Finanzierung will er mit klareren Strukturen angehen. "Wir dürfen nicht mehr Geld ausgeben, als wir haben", sagt Riedel. Bis Ende des kommenden Jahres sind die Förderungen für das Theater - 120 000 Euro schießt der Bezirk Oberbayern zu, 60 000 Euro kommen von der Gemeinde Haar - sicher; über die Zukunft muss Riedel mit den Geldgebern verhandeln. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt der Theaterleiter.

Die Konsolidierungspläne sollen freilich nicht bedeuten, dass im Kleinen Theater nun "Kulturplanwirtschaft" betrieben wird, vielmehr will Riedel neue Impulse setzen, besonders im Bereich Kunst und Inklusion. Im Frühjahr 2016 sind zwei Projekte mit der Freien Bühne München und dem "Theater Apropos" geplant, Gruppen, in denen professionelle Schauspieler und Menschen mit psychischen oder körperlichen Einschränkungen gemeinsam auf der Bühne stehen.

Landkreis: Patrick Gabriel (links) und Patrick Wolff bei der Premiere von "Zwei beste Freunde" in Ottobrunn.

Patrick Gabriel (links) und Patrick Wolff bei der Premiere von "Zwei beste Freunde" in Ottobrunn.

(Foto: Claus Schunk)

Ob die Stammbesetzung des Kleinen Theaters im kommenden Jahr in Haar auftritt, muss jedoch zum jetzigen Zeitpunkt stark angezweifelt werden. Das Junge Schauspiel Ensemble München (JSEM), das sich 2004 im Anschluss an die Uraufführung des Stücks "Die Weiße Rose - Aus den Archiven des Terrors" gründete und in Haar etliche überregional beachtete Inszenierungen zur Aufführung brachte, ist in den vergangenen Monaten in arge finanzielle Nöte geraten. Verbindlichkeiten stehen aus, Gründer, Regisseur und Geschäftsführer Michael Stacheder kämpft gegen die Insolvenz.

Die Gründe für diese missliche Lage liegen einerseits darin, dass das Ensemble zu wenige Gastspiele verzeichnen konnte. Außerdem sieht Stacheder ein Grundproblem angelegt im System der bayerischen Kulturprojektförderung; bis zu 15 000 Euro erhält das Junge Schauspielensemble bislang zusätzlich zu einem jährlichen Zuschuss von der Gemeinde in Höhe von 50 000 Euro. Zu wenig, um einen vollständigen Spielbetrieb zu stemmen, sagt Stacheder. Im Januar wird sich für den Regisseur entscheiden, ob und in welcher Form er die Arbeit mit dem JSEM fortführen kann - oder ob für das Ensemble tatsächlich der letzte Vorhang fallen muss.

Ihre Abschiedssaison hat in diesem Jahr Doris Laves-Wegat gegeben. 20 Jahre nach der Gründung des Kunstvereins Ottobrunn will sich die langjährige Vorsitzende und treibende Kraft zahlreicher Projekte von ihrem Posten zurückziehen. Bei der kommenden Mitgliederversammlung im Februar wird sich Laves-Wegat abwählen lassen. 2015 durfte die gebürtige Westfälin noch das 20-jährige Bestehen des Vereins mit den inzwischen mehr als 130 Mitgliedern feiern. Zwei Dekaden voller Ausstellungen, Aktionen und Exkursionen fanden Ausdruck in einem festlichen Wochenende, einer Festschrift und einer ganz besonderen Jahresausstellung: Da das Rathaus nicht wie gewohnt als Ausstellungsraum zur Verfügung stand, präsentierten die Mitglieder ihr Schaffen kurzerhand auf kleinem Format in der vereinseigenen Galerie "Treffpunkt Kunst".

Ottobrunn, Treffpunkt Kunst, Ausstellung Julia Wegat,

Malerin Julia Wegat.

(Foto: Angelika Bardehle)

Freilich hatte die Kulturlandschaft im vergangenen Jahr nicht nur Abschiede zu verzeichnen, vielmehr machten auch einige Neuerscheinungen auf sich aufmerksam. Zum Fest der 1100-jährigen Stadterhebung fasste Theaterautor Wilfrid Grote die Garchinger Entstehungsgeschichte in Bühnenformat. Im Juli erlebte "Der Weiße Wisent" als anspruchsvolles Märchen nicht nur für Kinder seine Uraufführung im Theater im Römerhof - und damit auch der neu gegründete Verein "Theater für Kinder Garching" seine erste Premiere. Auf bereits 25 Jahre kann dagegen die "Künstlerpalette" aus dem benachbarten Unterschleißheim zurückblicken. Die Mitglieder begingen das lupenreine Jubiläum standesgemäß mit einer Ausstellung im Foyer des Bürgerhauses.

Auch mehrere Veranstaltungsreihen, die sich im Landkreis längst einer hohen Wertschätzung sicher sein können, hatten einen runden Geburtstag zu feiern. Im zehnten Jahr ihres Bestehens sind sowohl das Kammermusikfestival als auch das Classic Jazz Festival in Oberhaching feste Anlaufstellen für Musikliebhaber - wegen ihrer illustren Gäste und nicht zuletzt dank ihrer künstlerischen Leiter Isabel und Bernd Lhotzky. Letzterer durfte 2015 zudem ein ganz persönliches Festjahr begehen: das 20. Bühnenjahr mit seinem Partner Louis Mazetier.

Ebenso lang ist es her, seit Jazzmusiker das Kallmann-Museum in Ismaning zum ersten Mal zu ihrer Bühne machten. 1992 eröffnete der Nachbau der Orangerie des Schlosses im Norden des Landkreises als Stiftungsmuseum, drei Jahre später initiierte der Stiftungsrat und Jazzfan Werner Kraus die Reihe mit acht Konzerten im Jahr. Dass kreative Köpfe der deutschen Jazzszene seither ebenso gern nach Ismaning kommen wie internationale Größen, ließ auch das Programm des festlichen Jazzweekends erkennen: Neben Johannes Enders, dem aktuell vielleicht einflussreichsten deutschen Saxofonisten, waren auch internationale Musiker wie der hochgelobte Schweizer Pianist Marc Perrenoud zu Gast.

Haar, Kleines Theater,

Das Kleine Theater Haar.

(Foto: Angelika Bardehle)

Große Namen fanden freilich auch ihren Weg in den Süden des Landkreises. In Grünwald etwa zeigten Cellist Eckart Runge und Pianist Jacques Ammon gemeinsam mit den Pantomime-Künstlern Bodecker und Neander, wie sich musikalischer Genuss und optische künstlerische Darstellung zu einer außergewöhnlichen Verbindung finden können. Mit ihrem Projekt "Cello Cinema" begeisterten die vier Virtuosen der musikalischen respektive darstellenden Kunst das Publikum im August-Everding-Saal. Auch unter freiem Himmel wusste das Grünwalder Kulturprogramm zu überzeugen, bei der "Sommernacht" trotzten die Musiker von Quadro Nuevo dem Regen erfolgreich mit argentinischen Tangorhythmen.

Düsterer, aber nicht minder stimmungsvoll präsentierte sich das Juilliard Quartett in Pullach. Das 1947 in New York gegründete Ensemble rührte das Publikum insbesondere mit seinem intensiven Vortrag von Schuberts romantischem Streichquartett "Der Tod und das Mädchen" als Höhepunkt eines berührenden Konzertabends. Auch das Vogler-Quartett, eine der wohl namhaftesten Formationen der Kammermusik, durfte in Pullach an der Seite des Unterhachinger Klarinettisten Jörg Widmann die große Bandbreite seines Repertoires beweisen.

Das Kubiz in Widmanns Heimatgemeinde erwies sich auch in diesem Jahr als Hochburg des Balletts und überraschte sein Publikum zudem mit ungewöhnlichen Klangerlebnissen, wie dem Konzert von VocaMe mit Liedern der byzantinischen Komponistin Kassia und der Mystikerin Hildegard von Bingen.

Ungewöhnliches, doch durchaus bereits gewohnterweise bekamen die Zuschauer auch auf der Bühne des Wolf-Ferrari-Hauses in Ottobrunn zu sehen. Während die Musiker-Brüder Johannes Tonio und Cornelius Claudio Kreusch als Veranstalter der Ottobrunner Konzerte mit Badi Assad, Jamey Haddad, Al di Meola und Kenny Garrett internationale Gäste von Weltrang in den Landkreis einluden, brachte der künstlerische Leiter des Hauses, Bernd Seidel, in dem eifrig beklatschten Polizeithriller "Zwei beste Freunde" eine weitere Eigenproduktion zu ihrer deutschen Erstaufführung.

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