Süddeutsche Zeitung

Lärmbelästigung durch Fußballfans:"Das ist nur noch ein Saufgelage"

Viele Anwohner an der Münchner Leopoldstraße sehnen das Ende der WM herbei - denn die Fans benehmen sich immer rücksichtsloser.

Agnes Fazekas

Die Dachwohnung ist luftig geschnitten: Noch wirkt der 47-Jährige am Küchentisch in seiner edlen Leinenhose ganz entspannt. Seit zwölf Jahren lebt der Kameramann in dieser Traumwohnung nahe der Münchner Freiheit - am Mittwochabend wird er sich weit weg wünschen.

Denn dann kocht die Leopoldstraße wieder über und er muss sich entscheiden: Lärm oder Hitze. Ein Spießrutenlauf über die Fanmeile, um das Haus zu verlassen. Oder mit geschlossenen Fenstern hoffen, dass die Kinder irgendwann schlafen."Ich weiß nicht, wen die U-Bahn da alles ausspuckt, aber die sind rücksichtslos wie die Affen!" An WM-Wochenenden flüchtet die Familie deswegen oft an den Starnberger See und übernachtet dort im Hotel.

Aber Morgen ist Schule. Die Vuvuzuela-Kakophonie wird weit in die Nacht dröhnen, bis das dumpfe Grollen der Kehrmaschinen sie übertönt. Am Samstag mussten die Reinigungskräfte zweimal hintereinander ausrücken. Der Mann in der Leinenhose weiß das genau, er hat sogar schon Lärmmessungen angestellt. Er hat sich an Behörden, Presse und Polizei gewandt.

"Aber wenn es um Fußball geht, will sich niemand unbeliebt machen." Ein wenig wünscht er sich fast, dass Deutschland nicht gewinnt. Auch seine 74-jährige Nachbarin hat sich in diesen Tagen einiges anhören müssen. Zum Beispiel: "Eine Alte wie Sie gehört hier gar nicht her." Gegen das Hupen und die wummernden Bässe aus den Autos hat ihr ein Freund im Scherz Schallschutzkopfhörer für Bauarbeiter empfohlen.

Leopoldstraße weiter südlich im Roxy: Eine pensionierte Ärztin nippt an ihrem Espresso und guckt die Straße runter. "Das ist nur die übliche Invasion." Sie wohnt seit vier Jahren an der Ecke Martiusstraße. "Meine ruhigen Rentnerjahre." Bei der letzten WM hat sie auf dem Balkon getanzt, als ein paar Südamerikaner darunter Musik gemacht haben.

"Aber es ist schlimm geworden, die Leute sind jünger, alkoholisierter. Es gibt mehr Fehlleistungen." Sie meint: Geschmiere, Bierflaschenscherben oder tobende Fans auf dem Dach des Gemüsewagens vor dem Haus. "Am Samstag haben sie nach dem Spiel den Tengelmann geplündert. Als die Polizei kam, sind sie denen auf die Karosse gestiegen." Jetzt muss sie doch lachen: "Ein silber-grünes Partymobil!"

Vor vier Jahren hing auch in der Martiusstraße eine Fahne vom Balkon. "Aber jetzt fliehen wir vor dem Mob!" Manchmal sagt ihr Mann: "Lass uns mal runter gehen." Dann langt sie sich ans Herz und stöhnt. Die Kellnerin aus dem Roxy bringt die Rechnung und nickt ernst: "Bei WM-Spielen ist es hier schrecklich. Das ist nur noch ein Riesensaufgelage. Die hocken im Rinnstein und beschweren sich über das teure Bier."

Sie werden sich rüsten, die Anwohner. Werden Autos und Fahrräder in Sicherheit bringen und Ohrenstöpsel auf den Nachtisch legen. Morgen früh knietief durch Müll waten, Scherben vom Gehsteig fegen - und sich wehmütig an die Zeiten erinnern, als die WM noch auf Wohnzimmersofas statt fand.

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Quelle:
SZ vom 07.07.2010/mar
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