Ein Zuviel an Schärfe, Hochglanz-Farben, eine ins Auge springende Bildaussage - in Jörg Egerer weckt diese Art der perfekten Bildgestaltung nicht unbedingt die große Sehnsucht. Nicht, dass er das aus der Werbe- und Produktfotografie nicht kennen würde, aber als Fotokünstler pflegt er eher einen Minimalismus, der gleichsam von der Maxime "Weniger ist mehr" befeuert ist. Aber auch ein anderer Spruch, den man mit dem großen Architekten Mies van der Rohe in Verbindung setzt - "Gott steckt im Detail" - passt auf seine Arbeiten: Seinen präzisen formalen Kompositionen gehen oft anstrengende Stunden voraus, in denen der Künstler akribisch überlegt und probiert, bis das Maximum an minimalistischer Ästhetik gefunden ist.
"Ich habe gern die Kontrolle über das, was ich tue", sagt Egerer. Das bedeutet aber eben nicht, dass Inszenierung, perfekte Technik und Beleuchtung in ihrer Dominanz Werk und Betrachter lenken. "Die Fotografie soll nicht im Vordergrund stehen", sagt der 50-Jährige. Der Betrachter soll vielmehr zu verschiedenen Assoziationen angeregt werden, im Idealfall sollen philosophische Fragen ausgelöst werden, wenn ein überraschendes Spannungsfeld zwischen Begrifflichkeit und Bildhaftigkeit entsteht, wie etwa in seiner Serie "Die Ahnung der Dinge".
Jörg Egerer ist seit 9. August Vorsitzender des Kunstvereins Ottobrunn. In der Galerie "Treffpunkt Kunst" des Vereins, hatte er im Frühjahr 2021 seine erste Einzelausstellung "Mein Elternhaus" präsentiert. Sie bestand aus Bildern, die für seine Verhältnisse freilich deutlich intuitiver waren, es gab keine große ästhetische Vorbereitungsphase; das Haus, das sein Vater, der in ein Pflegeheim musste (und dort im Dezember 2020 an Covid-19 starb), verlassen hatte, ohne den Großteil des Mobiliars mitzunehmen, fing Egerer mit der Kamera in einem Transitzustand ein: zwischen der Zeit nach dem Auszug und der endgültigen Räumung. "Hier war vor allem der Inhalt wichtig", meint Egerer, der in Markt Schwaben lebt und arbeitet.
Dem Kunstverein beigetreten ist er im Frühjahr 2020 und nun, knapp anderthalb Jahre später, ist er Vorsitzender. Seine Frau Dominika Egerer, die Malerin ist - ihr Atelier ist im selben Haus in Markt Schwaben wie sein Fotostudio - bekleidet das Amt der Zweiten Vorsitzenden. Hinzu kommen im neuen Vorstand als Künstlerische Leiterin Anna Arndt und Kassenwartin Elke Schäfer-Lürssen. "Wir sind ein super Team", urteilt Egerer. Man hat sich seit der Wahl bereits mehrmals getroffen und ist motiviert, neuen Schwung in den 1995 gegründeten Kunstverein mit seinen rund 130 Mitgliedern zu bringen. Die Voraussetzungen sind gut: Als Quartett ist man personell besser aufgestellt als es der alte Vorstand war, bei dem zuletzt die beiden Vorsitzenden Eva Hoffmann und Katja Ochoa Molano die Hauptlast trugen.
Zudem dürfte jetzt wohl auch kein Lockdown mehr die Realisierung von Ausstellungen verhindern, wie es in den vergangenen anderthalb Jahren teils der Fall war. In der kommenden, noch vom alten Vorstand organisierte Ausstellung (6. bis 30. September), werden Werke von Schäfer-Lürssen, die in Ottobrunn lebt, zu sehen sein, bei der auf 18. September terminierten Vernissage werden Jörg Egerer und Anna Arndt sprechen. Generell sollen von kommenden Jahr an im ausgewogenen Verhältnis sowohl Mitglieder des KVO als auch Künstler von außerhalb - die sich entweder bewerben oder die es selbst zu entdecken gilt - die Chance haben, im "Treffpunkt Kunst" ihre Werke zu zeigen. "Darunter darf auch mal ein bekannter Name sein, der uns Aufmerksamkeit verschafft", sagt Egerer.
Dem gebürtigen Mannheimer, der seit vielen Jahren im Raum München lebt (unter anderem wohnte er in Deisenhofen), ist es ein besonderes Anliegen, dem Verein mehr öffentliche Resonanz zu verschaffen. Egerer, der BWL studiert und in der Finanzbranche gearbeitet hat, bevor er sich endgültig beruflich der Fotografie zuwandte, will primär das Erscheinungsbild des Vereins modernisieren und die Digitalisierung plus Präsenz auf sozialen Plattformen forcieren, neue Mitglieder gewinnen, neue Sponsoren finden. Konkret heißt das unter anderem, die kleine Galerie im Ortszentrum unter den Arkaden attraktiver zu gestalten, ihre Wirkung nach außen (inklusive Schaufenster) zu verbessern. Neben den regulären Ausstellungen soll es weiterhin die Jahresausstellung geben, die Kunstarkaden und die deutschlandweite Biennale "Artiges". Egerer, der auch im kommerziellen Bereich fotografiert - Produkte, Porträts und Immobilien und als Dozent und Kursleiter von Fotokursen sein Wissen weiter gibt - hat bei der vergangenen Auflage (2020) so etwas wie eine künstlerische Initiation erlebt. Dass zwei seiner Bilder - darunter der Blickfänger "Ei,Ei, Ei", bei dem Dotter in einer von elegant übereinander geschichteten Tellern getragenen Untertasse ruht - für "Artiges" ausgewählt wurden, befeuerte ihn, künftig verstärkt kreativ tätig zu sein. "Da habe ich gemerkt: Meine künstlerischen Arbeiten kommen an."
Die normal alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung, die 202o der Pandemie zum Opfer fiel und bei der Gerhard Sibler den ersten Preis gewann, soll laut Egerer auch nachgeholt werden. Was ihn speziell noch reizt: "Eine reine Fotoausstellung zu organisieren." Unter den Mitgliedern des Kunstvereins sind bisher wenige Fotografen, dass soll sich auch ändern. Wer Egerer, der sein Handwerk bei dem Werbe- und Industriefotografen Eberhard Schuy in Köln gelernt hat, über Tiefenschärfe, Licht, Brennweite, analoge und digitale Kameras oder Weitwinkelaufnahmen sprechen hört, spürt seine große Leidenschaft.
Eine andere kleinere Passion ist die, mitunter auf der anderen Seite der Kamera zu stehen: der Filmkamera. Egerer arbeitet nebenher als Kleindarsteller und Komparse in diversen Fernsehproduktionen wie "Die Rosenheim Cops" oder "Aktenzeichen XY... ungelöst". Zudem ist er ehrenamtlich bei der Markt Schwabener Tafel als Fahrer und Lebensmittelsortierer tätig.
Dass heutzutage beim Fotografieren mit dem Smartphone quasi alles die Software erledigt, findet der Vielbeschäftigte zwar nicht verwerflich, aber er betont: "Dabei können trotzdem oft flache und langweilige Bilder entstehen. Um ein gutes Foto zu machen, kommt es nach wie vor auf die Bildgestaltung an." Und das fotografische Ergebnis soll ja vor allen überraschen und das Gedankenkino anregen.