Süddeutsche Zeitung

Kunstrasen:Plastikkügelchen im Aus

Wenn in den Gemeinderäten über Kunstrasenplätze diskutiert wurde, ging es bisher meistens um Geld. Jetzt zeigt sich, dass die synthetischen Fußballfelder auch eine große Gefahr für die Umwelt darstellen.

Von Stefan Galler

Barbara Bogner zeigt sich von der Nachricht keineswegs überrascht: "Dass sich Plastikkügelchen, die auf Sportplätzen liegen, später in der Umwelt wiederfinden, dazu braucht man doch eigentlich keine wissenschaftliche Erhebung", sagt die Sauerlacher Bürgermeisterin (Unabhängige Bürgervereinigung). Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik produzieren Kunstrasenplätze insgesamt etwa 11 000 Tonnen an Mikroplastik, die ungefiltert in der Umwelt und über das Grundwasser in die Nahrungskette gelangen. Damit seien sie die drittgrößte Quelle an Plastikpartikeln, der Ausstoß sei sieben Mal größer als beispielsweise der von Kosmetikprodukten. Auch das wundert Bogner nicht: "Da müsste man schon viele Tuben Schminke ausdrücken, um auf 11 000 Tonnen zu kommen."

In ihrer Gemeinde ist der Bau eines Kunstrasenplatzes seit Jahren umstritten, allerdings zumindest bisher nicht aus Gründen des Umweltschutzes, sondern wegen der Kosten. "Wir haben im aktuellen Haushalt kein Geld dafür eingestellt", sagt Bogner. Um das Thema werde sich dann der neue Gemeinderat nach der Wahl 2020 kümmern. "Klar ist, dass wir einen zusätzlichen Platz brauchen. Wir sind Zuzugsregion, der TSV hat immer mehr Kinder. Und wenn in den Übergangsjahreszeiten Frühling und Herbst alle Fußballmannschaften auf dem Naturrasen trainieren, dann wächst da gar nichts mehr", sagt Bogner.

Das ist auch der Hauptgrund, warum sich Kunstrasenplätze in den vergangenen Jahrzehnten als wetterfeste Alternative durchgesetzt haben. Früher gab es die bei den Fußballern gefürchteten Hartplätze, auf denen die Verletzungsgefahr ungleich höher war. Gerade bei synthetischen Plätzen der neuesten Generation treten auch die früher häufigen Brandverletzungen kaum mehr auf, weil sich die Konsistenz der Oberfläche immer mehr jener des Naturrasens annähert. Und dann gibt es da auch noch eine Sportart, die ausschließlich auf Kunstrasen gespielt werden kann: Feldhockey hat sich zuletzt zu einer Boomsportart entwickelt, wird beispielsweise beim TSV Grünwald und der Spielvereinigung Höhenkirchen angeboten. Auf den Plätzen nahe dem Poschinger Weiher in Unterföhring trainiert der ASV München.

Den Vorteilen der Plastikplätze stehen nun aber zunehmend Nachteile gegenüber - und diese hängen praktisch immer mit der Umwelt zusammen. Neben der aktuellen Studie über die Belastung der Umwelt durch Mikroplastik stehen insbesondere die aus Altreifen hergestellten Granulatkügelchen unter dem Verdacht, krebserregende Stoffe zu enthalten. Nach einer Fernsehsendung, die vor dieser Gefahr warnte, wurden in den Niederlanden vor gut zweieinhalb Jahren vorübergehend sogar Fußballplätze gesperrt, die ein Granulat aus alten Autoreifen enthielten.

Solche Stoffe enthält der 2009 in Betrieb genommene Kunstrasenplatz in Ottobrunn nicht, wie Bürgermeister Thomas Loderer (CSU) erläutert: "Wir haben uns damals ausdrücklich gegen Granulat aus Altreifen entschieden und mehr Geld investiert. Auch um die Gerüche, die ein solcher Kunststoff entwickelt, zu vermeiden." Inwiefern das am Haidgraben verwendete Material Mikroplastik in die Umwelt freisetzt, will Loderer nun untersuchen lassen. Auch um für den neuen synthetischen Trainingsrasen, über dessen Errichtung der Gemeinderat derzeit diskutiert, eine richtige Auswahl zu treffen. "Man muss die Diskussion und die wissenschaftlichen Erkenntnisse weiter verfolgen, bisher steckt das ja alles in den Kinderschuhen", sagt der Ottobrunner Bürgermeister.

Allerdings gibt es offenbar Alternativen zum umweltschädlichen Plastik: Zum Beispiel ein mit Kork verfüllter Kunstrasen, wie ihn Fußball-Zweitligist Greuther Fürth bereits seit 2013 nutzt. Der soll jedoch anfällig für Schimmelpilze und deshalb deutlich pflegeintensiver sein als die Kunststoffvariante. Oder ein Hybridrasen, bei dem natürlicher Rasen mit Kunstfasern verknüpft wird. Doch auch der dürfte ökologisch nicht völlig unbedenklich sein.

Die Spielvereinigung Unterhaching ließ vor etwa einem Jahr im Sportparkstadion einen solchen Hybridrasen verlegen, die Gemeinderatsfraktion der Grünen erkundigte sich damals, inwieweit die synthetischen Teile dieses Geläufs recyclingfähig seien. "Wir waren der Meinung, dass man nicht tonnenweise Plastik verbuddeln dürfe", sagt die Unterhachinger Grünen-Gemeinderätin und Landtagsabgeordnete Claudia Köhler. Letztlich kam die Intervention zu spät. Ihre Fraktion im Maximilianeum werde sich nun aber des Problems mit der Mikroplastikbelastung annehmen, sagt Köhler: "Es kann ja nicht sein, dass die Privathaushalte Plastik sparen wie die Weltmeister und dann in öffentlichen Anlagen solche Umweltsünden begangen werden."

Vielleicht belebt man zur Lösung des Problems ja bald das Forschungsprojekt "Agrobiopolymere" wieder, das vor ein paar Jahren von den Niederlanden und dem Land Niedersachsen auf den Weg gebracht worden war: Aus Zuckerrüben, Mais oder Hanf wurden damals Materialien entwickelt, die von ihrer Konsistenz vergleichbar sind mit Kunststoffen. Damit wäre es möglich, auf Biobasis einen Kunstrasen ohne Gummigranulat zu erzeugen, der, wenn er abgenutzt ist, umweltfreundlich entsorgt werden könnte.

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SZ vom 10.04.2019/wkr
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