Süddeutsche Zeitung

Kunstausstellung:Sehnsucht nach Öffentlichkeit

61 Künstlerinnen und Künstler präsentieren ihre Werke im Ottobrunner Rathaus noch in der bis 6. Januar verlängerten Jahresausstellung des Kunstvereins. Sie zeigen eine faszinierende Vielfalt.

Von Udo Watter, Ottobrunn

Ein schön geformter Schädel, glatt, rund und makellos wie bei einem altägyptischen Priester. Versunken sitzt er da, den schlanken androgynen Körper anmutig gebogen, mutmaßlich edle Gedanken gebärend. Aber die Füße. Elfriede Schweigers Bronzeskulptur heißt nicht umsonst "Big Foot", die Größe der Füße, besonders die langen Zehen untergraben die Wohlproportioniertheit der Komposition, fügen der Grazie der Figur etwas Groteskes hinzu. Und doch entfaltet sie vielleicht gerade dadurch eine besondere formschöne Zärtlichkeit, die jenseits langweiliger Perfektion ist.

Ein Anblick, der ästhetische Fragen aufwirft, der irritiert und innehalten lässt. "Big Foot" ist nicht das einzige Werk, das derzeit im Ottobrunner Rathaus zu sehen ist und solche Wirkungen zu zeitigen vermag beim Betrachter. Gleich 61 Künstlerinnen und Künstler präsentieren dort auf mehreren Stockwerken ihre Arbeiten, es ist die Jahresausstellung des Kunstvereins Ottobrunn, die schon mehrere Wochen läuft und jetzt noch mal verlängert wurde bis zum 6. Januar. "So viele Künstler, die mitmachen, hatten wir noch nie. Es war schon eine Herausforderung, so viele Bilder aufzuhängen", sagt Dominika Egerer.

Die zweite Vorsitzende des Kunstvereins, die selbst gerade eine Soloausstellung in der vereinseigenen Galerie "Treffpunkt Kunst" gezeigt hat, findet aber, dass das gut gelungen sei. Welches Bild wo hängt, welches Objekt welchen Platz einnimmt, wie die ja nicht als Museum konzipierten Rathausräume bestmöglich zu nutzen sind - das sind ja Fragen, die sich bei einer derartigen Vielfalt an Werken stellen. Es gilt, visuelle Überfrachtungen für den Betrachter zu vermeiden und so weit es geht, einem ästhetischen Konzept folgen. Und ja, die künstlerische Leiterin Anna Arndt, die die Hängung federführend gestaltet hat, hat das gut hinbekommen.

Was so eine Jahresausstellung aber nicht nur schwierig zu hängen, sondern eben auch besonders sehenswert macht, ist die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der präsentierten Objekte. Nicht alle Mitglieder des Kunstvereins sind akademisch ausgebildete Künstler, der kreative Umgang mit Pinsel, Kamera oder Schleifwerkzeug ist bei den einen Profession, bei den anderen leidenschaftliches Hobby, aber die wesentliche Voraussetzung fürs Künstlertum - technisch-handwerkliches Können - darf man ihnen allen unterstellen.

Hingucker gibt es einige: die farbkräftigen Bilder von Yaja Bela Roth oder Christine Weidlichs berührendes Werk "Der besorgte Blick". Auch Christine Renners symbolsprachlich-humorvolle "Little Conquerors"-Bilder gefallen. Bei Reiner Binsch' "Treibholz am Weststand" beeindruckt neben dem Sujet auch das Material: handgeschöpftes Lokta-Papier aus Nepal - auf solchem haben schon buddhistische Mönche vor 2000 Jahren ihre Aufzeichnungen fest gehalten. Gerade zu hypnotische Blickfänger-Qualitäten hat Franziska Polter-Foremans "Stoffwerk Rot", bei längerer Betrachtung der elaboriert kreisenden Stoffarbeit drehen sich die Augen eventuell mit.

Schön auch die analogen Fotowerke von Gräfin Nadja zu Sayn-Wittgenstein, die etwa das zarte, fast ätherisch anmutende Kreisen von Nilwellen festhalten. Von Dominika Egerers Mann Jörg, seines Zeichens erster Vorsitzender des Kunstvereins, ist seine Fotoarbeit "Ei, Ei Ei" zu sehen, die sich durch formschöne Minimalismus auszeichnet: Dotter ruht hier in einer von elegant übereinander geschichteten Tellern getragenen Untertasse.

Zur Vielfalt der Stile und Genres tragen noch Pastellarbeiten von Helmut Buchwitz bei, Mixed Media von Cord Winter, großformatig-raue Misch-Technik Bilder von Sabine Huber, minimalistische Skulpturen von Banu Theis-Baydur oder Holzdruck-Arbeiten von Skadi Engeln, ein Berliner Mitglied des Kunstvereins. Die Sehnsucht, sich öffentlich zu präsentieren ist heuer besonders groß gewesen, nachdem die Jahresausstellung 2020 der Pandemie zum Opfer gefallen ist.

"Unsere Aufgabe als Verein ist es, Kunst zu vermitteln", sagt Dominika Egerer. Die 1974 in Stettin geborene Künstlerin freut sich über die Verlängerung der Ausstellung und über ihre Aufgabe im neuen Vorstand allgemein: "Ich organisiere gern und ich habe gern mit Menschen zu tun. Außerdem haben mein Mann und ich Erfahrung in Vermögensverwaltung und Buchhaltung. Das ist in einem Verein auch wichtig." Natürlich gelte es auch, mehr Aufmerksamkeit für die Künstler zu schaffen. Generell ist das im Moment auch eher schwierig, aber wegen des Ausstellungsortes (Rathaus) kann man die Werkschau immerhin unter 3-G-Bedingungen (und nicht 2-G-plus) besuchen.

Die Ausstellung kann zu den Öffnungszeiten des Rathauses besucht werden (montags bis freitags 8 bis 12 Uhr und donnerstags 14 bis 18 Uhr).

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