Eva Mueller gehört zu den Menschen, für die bildende Kunst weit mehr ist als bloß Dekoration. Die ihr etwas zutrauen. Die ihr eine integrative Kraft zusprechen, zum Beispiel, - die einen Austausch ermöglicht und neue Perspektiven eröffnet. Ein Ausdruck gesellschaftlichen Wandels, der sinnlich erfahren werden will. "Gute Kunst hat eine Aura. Die lässt sich nicht digital vermitteln", sagt die Kunstexpertin, "Und das spüren wir jetzt."
In den vergangenen 26 Jahren hat Mueller, die eine Kunstberatung in Grünwald leitet, rund 100 Unternehmen bei der Suche nach Kunstwerken unterstützt, gemäß ihrer jeweiligen Vision inspirierende Umgebungen für die Mitarbeiter zu schaffen. Die Volksbank im Breisgau hat sie beraten und - ihr erster Auftrag - die Europäische Reiseversicherung; bereits zum dritten Mal begleitet sie ein "Kunst am Bau"-Projekt am Flughafen München. Normal beinhaltet ihre Arbeitsweise auch Gespräche mit den Mitarbeitern, die sich manchmal spontan ergeben. Etwa, wenn sie gerade den Flur vermisst, einer vorbeikommt und wissen will, was sie denn da tue. Dann wieder fragt sie die Menschen ganz konkret, worauf sie stolz sind in ihrem Unternehmen.
Doch jetzt, in diesen Corona-Zeiten, geht das natürlich nicht. Es gilt Maskenpflicht, das Oktoberfest ist abgesagt, und bis sich der Kulturbetrieb in München und dem Landkreis wieder einigermaßen erholt hat von dieser staatlich verordneten Zwangspause, werden noch Monate vergehen. Ihren Newsletter aber, den sie seit mehr als zehn Jahren verfasst, den verschickt Mueller weiterhin jeden Sonntag. Weil sie andere teilhaben lassen will an Gedanken und Sichtweisen, die sie als wichtig erachtet. Und weil sie Mut machen möchte: Schließlich birgt diese Krise auch Chancen, das hat in den vergangenen Wochen kaum jemand so eindrücklich formuliert wie Matthias Horx, mit dessen Technik der "Re-Gnose" sich die Kunstexpertin kürzlich in einem Newsletter auseinandergesetzt hat. Der bekannte Zukunftsforscher wirft dabei den Blick aus der Zukunft zurück auf eine Situation in der Zeit nach Corona. Im Herbst 2020 sitzen die Menschen wieder in Straßencafés beisammen, die Sonne scheint, und doch ist nichts, wie es einmal war. Es ist besser. Denn paradoxerweise haben die "sozialen Verzichte" letztlich zu mehr Miteinander geführt. Zu mehr Nähe, mehr Verbindlichkeit, mehr Tiefe. Gäbe es das Virus nicht, säße man vielleicht seinerseits mit Eva Mueller in einem Café, wo sich nach dem ersten Cappuccino die beiden großen Anliegen der Grünwalderin herausschälen würden: die Kunst, natürlich - und ihr Wunsch, die Welt zu verbessern. Der Schutz des Klimas ist ihr wichtig. Dass Deutschland gerade einmal 50 Kinder aus griechischen Flüchtlingslagern aufgenommen hat, aber 25 000 Erntehelfer einreisen lässt, kann sie nicht nachvollziehen. "Da stimmt das Verhältnis nicht." Um ihre Erfolge macht Mueller kein Bohei - dass sie eine Ausstellung für die Jordan National Gallery of Fine Arts in Amman unter Schirmherrschaft des jordanischen Königshauses konzipiert hat, erfährt man eher nebenbei. Sie hat Sozialpädagogik studiert und war Sozialarbeiterin im Frauengefängnis am Neudeck in München. "Es waren die Jahre nach 1968, da wollte man etwas verändern", sagt sie. Doch da war auch immer die Liebe zur Kunst. Schon Muellers Großmutter war Malerin, und obwohl sie ihr nie begegnet ist, weil diese im Krieg starb, spürte sie eine besondere Verbindung. Sie schreibt sich schließlich als Gaststudentin an der Kunstakademie in München ein, parallel zu ihrer Arbeit im Gefängnis.
Nach einer Weile entscheidet sie allerdings, dass ihr ein Leben an der Leinwand zu einsam wäre. "Ich muss die Kunst mit anderen Menschen leben", sagt sie. Sieben Jahre lang kuratiert sie als dessen Mitgründerin Ausstellungen für das Frauenkulturhaus der Stadt München. 1993 macht sie sich mit ihrer Kunstberatung in Grünwald selbständig. Ihre Töchter sind noch klein, ihr damaliger Mann und Mueller teilen sich die Betreuung, arbeiten nachts, wenn die Kinder schlafen.
Für ihr Netzwerk hat Müller nun öffentliche Stellen recherchiert, die Künstler in der Krise unterstützen, in München etwa das städtische Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft (089/23 32 89 22). Denn bei aller Solidarität, die sich da in der virtuellen Welt formiert hat, - die Flucht ins Digitale erweist sich nicht für jede Darstellungsform als adäquat: Mit der Videokunst ließe sich ins Netz ausweichen, auch mit Fotografie gelinge das zum Teil, sagt Mueller. Die bildende Kunst aber, die leide am stärksten unter der jetzigen Situation. Sie brauche den direkten Kontakt, um ihre Aura zu entfalten. Mensch und Bild in einem Raum. Sonst berühre sie nicht. Überhaupt: Eine Welt der Surrogate? Voller Tütensuppen, künstlicher Pflanzen und Unterhaltungsprogramme, in der gestreamte Konzerte jeden Ansatz von Wärme im Klang verschlucken? Schrecklich.
Nun, dem erzwungenen Stillstand ist in den vergangenen Wochen auch ein Potenzial zur Entschleunigung attestiert worden, von manchen auch der Rückbezug auf das Lokale. Für die Kunst würde das nicht funktionieren. "Künstler sind nicht lokal. Die sind global, wenn sie richtig gut sind", sagt Mueller. Unabhängig davon glaubt aber auch sie, dass diese Krise auch Gutes nach sich ziehen kann. So würde etwa gerade sehr deutlich, dass die AfD keine konstruktiven Lösungen zu bieten habe. Und dann sind da noch jene persönlichen Erfahrungen, die Corona den Menschen beschert. Die Erfahrung echter Stille etwa, die ja auch die Rezeption von Kunst erfordere. Sicher gebe es auch Leute, die sich dieser Tage durch das Fernsehprogramm zappten. Doch dass der Besuch von Museen und Ausstellungen gerade nicht mehr als selbstverständlich erlebt wird, könnte der Kunst tatsächlich zu mehr Bedeutung verhelfen. Und dem Betrachter zu einer veränderten, sensibleren Wahrnehmung. "Vielleicht wird manchen dann zum ersten Mal bewusst, wie sinnlich dieses Erlebnis ist."