Kulturprogramm Pullach:Menschsein halt

handke: "ímmer noch sturm"

In "Immer noch Sturm" setzt Peter Handke slowenischen Widerstandskämpfern gegen das NS-Regime in Kärnten ein literarisches Denkmal. Das Theater an der Ruhr zeigt die Inszenierung.

(Foto: Christian Brachwitz)

Zwischen Wahrheit und Fiktion, Sein und Sollen, Furcht und Mitleid: Die neue Pullacher Spielzeit wartet wieder mit zahlreichen Veranstaltungen auf, die eines sicher nicht tun - das Publikum unterfordern

Von Udo Watter, Pullach

Eine Diskussion über Wert und Wirkung von Kultur bleibt stets ergebnisoffen. Traditionalisten verweisen auf Aristoteles' Tragödiendefinition und die Katharsis des Zuschauers als Folge des Durchlebens von Furcht und Mitleid. In der Aufklärung hat sich die Literatur auf Horaz berufen, und dessen Spruch, der Dichter wolle nützen und unterhalten ("prodesse et delectare"). Schiller formuliert "Ernst ist das Leben, heiter die Kunst". Die Postmoderne meint: "Anything goes." Adorno und Horkheimer kritisierten dagegen, dass die Kulturindustrie Aufklärung in Massenbetrug verwandelt hätte.

Nun, wie heiter, wie ernst, wie aufklärerisch ist Kultur, die Welt schöngeistiger oder auch verstörender Erbauung? Wie sieht er denn etwa aus, der Kulturauftrag der Bürgerhäuser? Und wie sehr prägt die Handschrift der Verantwortlichen ein Programm? Hannah Stegmayer, Leiterin des Pullacher Bürgerhauses, ist keine Frau, die im Übermaß der leichten Muse zugeneigt ist. Die Kunsthistorikerin und Kulturwissenschaftlerin sagt: "Wichtig ist, dass das Publikum Kultur nicht konsumiert, sondern in Wissen eintaucht, das Allgemeinmenschliche erfährt." Der Rezipient mache die Erfahrungen auf der Bühne mit, "verdichtet und in abstrahierter Form wird vorgeführt, wie das Leben funktioniert".

Eine besondere heitere Note verströmt das neue Kulturprogramm nicht: Die vier Theatervorstellungen, die am rechten Isarhochufer zu sehen sein werden, sind nicht gerade Feel-Good-Stücke, sondern gemahnen mit essenzieller Wucht an die Brüchigkeit und Poesie des Daseins. Ob "Macbeth" in der Inszenierung der Berliner Shakespeare Company, Arthur Millers "Tod eines Handlungsreisenden" oder Ibsens "Hedda Gabler" - es geht um Lebenslügen, zerplatzte Träume, Hybris, Verblendung, Aufstand, Freiheit, Tod. "Ja, es sind schwere Themen, aber es gibt immer auch die andere Seite, die das Ganze erträglicher macht", sagt Stegmayer. Besonders freut sie sich auf "Immer noch Sturm" von Peter Handke. Das Stück thematisiert ein wenig bekanntes Kapitel der NS-Zeit: 1941 schlossen sich in Kärnten Mitglieder der slowenischen Volksgruppe zu bewaffneten Kadern zusammen. Handke, unehelicher Sohn einer Kärntner Slowenin und eines Wehrmachtssoldaten, hat diesen Freiheitskämpfern ein literarisches Denkmal gesetzt. Es ist zugleich seine Familiengeschichte, er verwebt Wahrheit mit Fiktion. "Nur die Kunst kann den Rechtlosen eine Stimme geben", erklärt der Regisseur des Stücks, Robert Ciulli.

Stegmayer hat ein Faible für österreichische Künstler und deren charakteristische Abgründigkeit, die sich nicht nur bei Handke oder Thomas Bernhard niederschlägt, sondern auch auf der Kabarettbühne. Alfred Dorfer, der sein Programm "und..." präsentiert, hat seine Pointen schon öfter in Pullach gesetzt, sein Wiener Landsmann Günter Paal alias Gunkl dagegen wird zum ersten Mal dort seine raffiniert-polemischen Erkenntnissprünge in Schmäh-gerechter Sprachfärbung artikulieren. Der Mann, der sich als "Experte für eh alles" bezeichnet, gilt als messerscharfer Logiker und eigenwilliger Sprachfetischist, der sein Publikum gewiss nicht unterfordert. "Ich schau schon, dass ich lustig bin", sagt er mit maliziösem Unernst. In "Zwischen Ist und Soll - Menschsein halt" geht es vor allem um die "Schwierigkeit der Menschen, einander zu verstehen", Kommunikationspsychologie und die Kritik am ewigen Sollen: "Denn wenn mehr immer besser ist, dann ist viel nie genug." Mit Mathias Richling und Mathias Tretter kommen noch zwei Kabarettisten nach Pullach, die gewiss keine Wohlfühl-Brettlkunst inszenieren. Richling zeichnet ein düsteres Bild vom Politikpersonal, das Schlimmes für die Zukunft befürchten lässt. Tretters Blick auf den Zustand der Gegenwart ist nicht freundlicher: Er spricht angesichts von Trump und Co. vom "Zeitalter der Amateure" und fasst das Ganze als "Dilettanz auf dem Vulkan" zusammen.

Dilettanten sind die Protagonisten im Klassik-Bereich definitiv nicht: Violinist Linus Roth und Pianist Florian Uhlig, die Ende September unter anderem Beethovens "Kreutzersonate" spielen, sind vielfach ausgezeichnete Künstler. Das Bläserquintett Variation 5 wird ein ungewöhnliches Programm mit Werken von Hindemith, Malcolm Arnold oder Carl Nielsen präsentieren. Statt des Meccore String Quartetts, wie im Programmheft angekündigt, wird ein anderes Ensemble am 27. November in Pullach auftreten: Das Penderecki Klavier Trio, wobei Geiger Jarosław Nadrzycki und der Cellist Karol Marianowski ehemalige Mitglieder des renommierten polnischen Streichquartetts sind. "Wir haben eine große Besetzungsvielfalt und außergewöhnliche Programme", urteilt Stegmayer.

Ähnlich sieht es im Jazz-Programm aus. Klassisches und Experimentelles ist da gleichermaßen im Angebot: Die Gruppe Jütz kombiniert alpine Volksmusik mit zeitgenössischen Elementen, begibt sich auf improvisierte "Bergtonreisen". Ein Pianist wie Florian Weber wurde schon mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik und dem Echo Jazz ausgezeichnet.

Hohe Qualität und hohe Resonanz - diese Kombination ist natürlich die Wunschvorstellung von Stegmayer. Bei jeder Vorstellung geht das zwar nicht in Erfüllung und generell würde sie sich beim Abo-Verkauf mehr Zuspruch wünschen, aber von dem, was Kultur in all ihren Facetten spannend macht, wird in Pullach in der Tat viel geboten.

Der Abo-Verkauf im Bürgerhaus hat diese Woche begonnen und findet noch bis 27. Juli statt (sowie von 11. bis 18. September), im Internet ist er jederzeit möglich (www.buergerhaus-pullach.de. Es gibt vier Reihen: Theater, Klassik, Kabarett, Jazz & More (jeweils vier Vorstellungen) sowie ein Jugend-Abo (drei frei wählbare Veranstaltungen).

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