Meine Woche:Überflüssige Missverständnisse

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Camila Ordonez kann nachempfinden, wie sich Neulinge in Deutschland fühlen. (Foto: Claus Schunk)

Camila Ordonez hat sich früher oft über die Deutschen gewundert. Jetzt ist sie Kulturdolmetscherin.

Von Claudia Wessel, Grünwald

Als Camila Ordonez vor zehn Jahren nach Deutschland kam, hatte sie selbst einen kleinen Kulturschock. "Ich dachte, die Deutschen sind kalt." Inzwischen weiß sie, dass sie einfach etwas länger brauchen als die Kolumbianer, um aufzutauen. Wenn sie dann aber soweit sind, kann man sie ernst nehmen. "Was mich wirklich überrascht hat", sagt Camila Ordonez : "Wenn die Deutschen etwas sagen, dann meinen sie es wirklich." Vor allem, wenn sie über Gefühle sprechen, so Ordonez, sagen sie, was sie tatsächlich empfinden. "Wenn sie sagen 'Ich liebe dich', dann meinen sie es auch so." In Kolumbien dagegen sage man herzliche Dinge oft etwas früher, ob dann aber wirklich Ernsthaftigkeit dahinter stecke, erfahre man erst im Laufe der Zeit.

Das jedenfalls waren ihre Eindrücke, und dank dieser Erfahrung weiß die Wahl-Grünwalderin, wie sich Fremde in einem neuen Land fühlen können. Wie sie wegen kleiner Unterschiede in Fettnäpfchen treten können, etwa aufgrund der deutschen Pünktlichkeit. "In Kolumbien meldet man sich erst, wenn man wirklich zu spät ist. Hier dagegen sagt man am besten schon Minuten vorher Bescheid, wenn man sieht, dass man zu spät kommen wird." Auch die Sache mit dem Händeschütteln fand Camila etwas unterkühlt. "Bei uns küssen wir uns zur Begrüßung auf die Wange, auch unter Kollegen." Generell sei die körperliche Distanz in Deutschland größer als in ihrer Heimat, auch schon lange vor Corona. Inzwischen, sagt sie, könne sie sich aus beiden Kulturen das Beste herauspicken.

Diese Empfehlung kann sie demnächst auch spanischsprachigen Landsleuten geben, die frisch in Deutschland ankommen. Denn am Mittwoch erhält Camila Ordonez gemeinsam mit zehn weiteren Mitschülern nach der Caritas-Ausbildung zum Kulturdolmetscher feierlich ihr Zertifikat. Eine kleine Feier im Café der Nachbarschaftshilfe im Grünwalder Haus der Begegnung gibt es im Anschluss. Seit 2017 bildet die Caritas im Landkreis München Kulturdolmetscher aus, inzwischen tragen rund 100 Personen diesen Titel, 40 Sprachen sind vertreten. In Camilas Kurs waren außer ihr Menschen aus Usbekistan, Russland, China, Holland, Lettland und Bosnien. Die meisten Anfragen gibt es derzeit natürlich für Ukrainisch aufgrund der Kriegsflüchtlinge. Doch rund zehn Prozent der Klienten, die sich melden, sind aus spanischsprachigen Ländern, so dass Camila Ordonez genug zu tun haben wird.

Es handelt sich um ein Ehrenamt. Ordonez ist Psychologin und im betrieblichen Gesundheitswesen einer großen Firma tätig. Der Einsatz als Kulturdolmetscherin wird nur wenige Stunden pro Woche dauern. Vermittelt werden die Hilfesuchenden von Einrichtungen, viele Anfragen kommen aus Schulen, Kitas und Schuldnerberatungen. Die Dolmetscher helfen bei kleinen Kulturunterschieden und auch beim Ausfüllen von Formularen oder bei Behördenbesuchen. Dort dolmetschen sie auch gerne für die deutschen Sachbearbeiter. Denn auch Sprachprobleme produzieren viele Missverständnisse.

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