Süddeutsche Zeitung

Kultur in der Krise:Sie machen kein Drama

Die Theater und Konzertsäle füllen sich mancherorts wieder. Vor allem an Häusern mit Abo-System läuft es. Gleichwohl bleibt die Situation für viele Künstler schwierig.

Von Udo Watter, Landkreis München

Die "Nacht der Filmmusik" etwa. Großes Kino, nicht nur akustisch, sondern auch zuschauertechnisch. "Extrem voll" sei es gewesen, sagt Volker Böhm, der Oberhachinger Kulturreferent. Mehr als 650 Zuschauer waren in die Deisenhofener Grundschulhalle gekommen, um den Oberhachinger Orchestern und Chören zu lauschen, wie sie Werke von John Williams und Co. interpretierten. Das CD-Release-Konzert "Plié" von "Dreiviertelblut" an diesem Samstag im Bürgersaal beim Forstner ist ausverkauft. "Es normalisiert sich wieder", erklärt Böhm.

Auch Garchings Kulturreferent Thomas Gotterbarm muss seine Augen nicht mehr so häufig dem traurigen Anblick eines spärlich besuchten Bürgersaals aussetzen. Das Musical "Anatevka", eine Produktion des Freien Landestheaters Bayern, am vergangenen Sonntag war ausverkauft. Ursula Maier-Eichhorn, seine Kollegin in Unterhaching, freute sich jüngst über einen großen Klassikabend mit dem Bruckner-Akademie-Orchester. Alle Stühle im Kubiz waren besetzt. "Es war wie früher. Die Leute waren begeistert", sagt sie. Auch bei Kabarettabenden füllen sich die Häuser häufig wieder so richtig, vor allem wenn die großen Namen auf dem Programm stehen: Josef Hader, Luise Kinseher, Django Asül. Aber selbst der Auftritt der in Südbayern nicht ganz so bekannten Comèdienne Daphne de Luxe an diesem Freitag in Taufkirchen war ausverkauft.

"Die Leute suchen Zuflucht vor den Dramen der Welt."

Und doch: Obgleich sich da langsam was zu drehen scheint, ist die im Zuge der Pandemie geborene Krise im Kulturbereich nicht vorbei. Mancherorts und für manche Betroffene ist die Situation nach wie vor ziemlich dramatisch. Immer noch fallen Veranstaltungen aus, weil der Vorverkauf deprimierend schlecht verläuft oder auch, weil Künstler kurzfristig erkranken. Und wenn sie doch durchgezogen werden, müssen selbst prominente Protagonisten damit rechnen, nur ein, zwei Handvoll Zuschauer zu beglücken. "Es gibt Ausschläge nach oben und nach unten. Es ist ein Auf und Ab", sagt Barbara Schulte-Rief, Kulturamtsleiterin in Unterföhring. Die "Wellküren", die bei ihnen mehr als 500 Zuschauer hatten, hätten ihr berichtet, dass sie kurz vorher lediglich vor rund 30 Leuten aufgetreten seien.

Schulte-Rief, die auch Vorsitzende der Inthega-Landesgruppe Bayern (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen) ist, kann sich selbst generell nicht über die Resonanz in der Mediengemeinde beklagen. "Die Leute nehmen den Faden wieder auf." Es sind vor allem die Abo-Vorstellungen, die gut laufen. Kündigungen von Abos, die ja wegen der Pandemie teilweise ruhten, habe es kaum gegeben. Entscheidend sei wohl auch der in dieser Zeit permanent gepflegte Kontakt zu den Abonnenten gewesen, die jetzt wieder mit Freude Konzerte, Kabarett und Theateraufführungen besuchen. Und die Tatsache, dass, wenn nicht gerade Lockdown war, das Programm aufrecht erhalten wurde, inklusive Streaming-Angeboten.

Ähnlich sieht es auch Anja Fanslau vom Kulturforum Planegg: "Die Häuser, die ein Abo-System haben, können sich glücklich schätzen." Bei diesen Veranstaltungen freut sie sich über guten Zuspruch, ähnlich wie in anderen Landkreisgemeinden gibt es in Planegg ein Stammpublikum, das jetzt treu zurückkehrt. Der Einzelkartenverkauf bereite allerdings nach wie vor Probleme. "Für Dezember und Januar schaut es ein wenig besser aus, aber im Moment ist es noch schwierig." Vor allem Auftritte weniger bekannter Künstler oder Vorstellungen mit eher experimentellem Charakter fänden kaum Echo. "Meine Beobachtung ist: Man darf nicht so experimentieren, die Leute lassen sich derzeit nicht so sehr auf was Neues ein", sagt Fanslau.

Dem stimmt Schulte-Rief zu: "Bei freien Veranstaltungen ist es gerade schwierig. Es gib da eine gewisse Scheu des Publikums." Natürlich spiele dabei auch die enorme Dichte der Veranstaltungen eine Rolle (nicht zuletzt wegen der vielen Nachholtermine), das Geld ("Die Leute selektieren mehr") und mutmaßlich auch die Priorisierung gewisser eskapistisch-unterhaltsamer Formate angesichts der suboptimalen Weltlage. "Nicht dass das direkt vergleichbar wäre, aber nach dem Zweiten Weltkrieg gab es einen Siegeszug des Musicals in Deutschland." Garchings Kulturreferent Gotterbarm macht ähnliche Beobachtungen: "Die Leute suchen Zuflucht vor den Dramen der Welt."

Speziell in der freien Szene und unter weniger bekannten Künstlern herrschen existenzielle Nöte

Das ist vor allem für die Künstler der freien Szene, für die unkonventionellen Kreativen, die finanziell sowieso oft zu kämpfen haben, eine weitere Verschlechterung der Perspektive. "Dort ist es dramatisch, da gibt es viel existenzielle Nöte", erklärt Schulte-Rief. Ihr Kollege Matthias Riedel-Rüppel, mit dem sie sich regelmäßig austauscht, spricht davon, dass die "Kultur in einer tiefen Krise" sei. Der Leiter des Kleinen Theaters Haar betrachtet die Lage unter einem generell-perspektivischen Blick und hofft, auch über gesellschaftlich-politische Aktionen der darbenden Kultur Aufmerksamkeit zu verschaffen. So unterstützt er auch eine Initiative der bayerischen Grünen, die in dem Dringlichkeitsantrag "Kunst- und Kulturschaffende sicher durch den Winter bringen" Ende Oktober mündete.

"Das Lebenselixier Kunst und Kultur steht mit dem Rücken zur Wand - nach zwei Jahren Pandemie mit kaum Einnahmemöglichkeiten sind die eh kargen Rücklagen fast aufgebraucht", erklären dazu in einer Stellungnahme die Grünen-Landtagsabgeordneten im Landkreis München, Markus Büchler und Claudia Köhler. "Ohne schnelle Hilfe steht der gesamte Kultursektor schon wieder vor einem Abgrund - wir müssen die Menschen, die Infrastruktur wie Vereine und Institutionen, unsere kulturelle Vielfalt und kreative Innovationskraft und nicht zuletzt diesen relevanten Wirtschaftsfaktor schützen."

Zitiert wird in ihrer Pressemitteilung auch der Kabarettist Christian Springer, der ja zu den bekannten Vertretern seines Genres gehört und dennoch aus eigener Erfahrung eine unschöne Lage schildert: "Es ist für uns nicht vorbei. Anstelle neuer Termine spielen wir im Frühjahr 2023 noch Vorstellungen, die vor drei Jahren vereinbart worden sind. Und mal kommen Leute, mal nicht. Kollegen und Kolleginnen, Veranstalter und Veranstalterinnen drehen am Rad. Manchen geht's besser, manchen schlechter. Leider braucht die Kunstszene wieder dringende Unterstützung."

Insgesamt scheint es freilich durchaus signifikante Unterschiede in der Entwicklung zu geben: In wohlhabenden Regionen wie dem Raum München sieht die Lage sicher besser aus als etwa im Westen Deutschlands. Dass auch hier mancherorts nun etwas höhere Preise verlangt werden und es zu weiteren Kostensteigerungen wegen der Energiekrise und Teuerungsrate kommen könnte, fällt beim eher gut situierten Kulturpublikum in Pullach, Planegg, Ottobrunn oder Unterföhring wohl weniger ins Gewicht. Am Kleinen Theater Haar ist die Resonanz sehr unterschiedlich, etliche Veranstaltungen mussten jüngst abgesagt werden. "Es dümpelt auf verhaltenem Niveau", sagt Riedel-Rüppel.

Allerdings ist das Programm in Haar auch besonders dicht getaktet, das Angebot im Augenblick eventuell einfach zu groß, um adäquat wahrgenommen zu werden. Riedel-Rüppel ist sich dessen durchaus bewusst, sieht dazu aber - auch wegen einzuhaltender Verträge und dem Willen, den Künstlern Perspektiven zu bieten - kaum Alternativen. Und betont, dass man gerade jetzt gemeinsam Zeichen setzen müsse und nicht jeder nur "selektiv auf sein Haus" schauen solle. Deshalb halte er den Antrag der Grünen für ein "wichtiges Signal", obgleich er nicht besonders hoffnungsfroh ist, was eine konkrete, allgemein politisch gewollte Realisierung angeht.

Schulte-Rief hingegen glaubt, dass eine konzertierte Image-Kampagne für die Kultur im Moment wenig bringe. "Generell bin ich auch nicht so pessimistisch, obgleich fraglich ist, ob wir wieder diesen total florierenden Zustand wie vor der Pandemie erreichen werden." Kommunal geförderte Einrichtungen stünden "okay" da, der Bereich der Laienkultur, die freie Szene oder auch Theatervereine hätten dagegen teilweise schwer zu kämpfen. Eine offenbar ganz gute Lösung dafür haben sie in Garching gefunden, wo Stadt respektive Kulturamt dem Theaterverein "Zeitkind" mittlerweile etliche organisatorische Aufgaben abnehmen statt lediglich mit einem gewissen Betrag zu fördern.

Für Ursula Maier-Eichhorn und das Unterhachinger Kulturteam gibt es darüber hinaus noch ein weitere Baustelle wegen der finanziellen Schieflage, in der die Gemeinde heuer unerwartet gerutscht ist: Durch den heftigen Einbruch bei den Gewerbesteuereinnahmen und die damit zusammenhängende Haushaltssperre in Unterhaching ist die Situation unklar. "Das hat auch uns kalt erwischt", sagt sie. Sie hoffe, dass die Kultur inklusive Musikschule und VHS von größeren Einsparmaßnahmen verschont bleiben. "Momentan kann man nichts wirklich planen." Ausgerechnet jetzt, wo sich die Situation normalisiere und das Publikum ins Kubiz, das sich nicht zuletzt als Veranstaltungsort für Ballett und Tanztheater einen Namen im Raum München gemacht hat, zurückkehre.

Nun, die Resonanz des Publikums scheint also mancherorts wieder stärker zuzunehmen, als vor Kurzem noch vermutet. Barbara Schulte-Rief freut sich darüber, sagt aber auch einschränkend: "Wie ein Haus voll wird, wissen wir im Grunde alle. Aber das allein darf nicht unsere Aufgabe sein. Wir wollen ja auch das Sperrige und Experimentelle."

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