Die Kirche Sankt Andreas steht nur einen Steinwurf entfernt von der Theaterstätte im Ayinger Sixthof. Wenn sie reden könnte, wüsste sie Schreckliches zu berichten von den Grausamkeiten, welche die Bevölkerung zu ihren Füßen während des Dreißigjährigen Krieges ertragen musste, und auch vom eigenen Schicksal, als ein schwedischer Soldat 1632 ihren Dachstuhl in Brand setzte, die Gewölbe einstürzten und die Inneneinrichtung dem Feuer zum Opfer fiel.
Nur einmal kommt Sankt Andreas zu Wort, gleich zu Beginn der Uraufführung des Theaterstückes „Morgen kommt der Schwed“ bei der Ayinger Gmoa Kultur, das mit 14 Glockenschlägen beginnt, die für die 14 Jahre stehen, die der Krieg zum Zeitpunkt der Handlung bereits tobt. Einzig die kurze Meldung von der Brandschatzung in der Kirchenchronik hatte Autor und Regisseur Marcus Everding als Vorlage, die ihn dazu reizte, historische Dokumente über die dunkle Zeit vor knapp 400 Jahren zu studieren und Tagebücher von Söldnern und Äbten zu lesen.
Rund um gesicherte Fakten hat er eine Geschichte gesponnen, die sich tatsächlich so abgespielt haben könnte. Etwa die Liebschaft zwischen Bärbel (Johanna Straßmair) und Peter (Marinus Eder), die ebenfalls nicht gut ausgeht, weil ein schwedischer Soldat (Alex Brunner) die Jungfrau schändet und dem Peter seine Ehre wichtiger ist als seine Braut. „Ein Kind! Vor der Zeit. Der Vater. Das Dorf. Die Schand. Die Sünd“, klagt er.
So entstanden ist ein Bühnenstück, bei dem die Besucher erwartungsgemäß nichts zu lachen haben. Dass es ein gutes Stück sein werde, dafür sei Everding ein Garant; aber wie schwer es werde, das wisse man nicht, hatte ein Besucher vor der Aufführung gesagt. Es wurde ein gutes und schweres Stück, getragen von 25 Laiendarstellern, die am Ende zurecht lang anhaltenden Beifall bekamen.
Die Gestalten des Krieges erscheinen nach und nach auf der Bühne, allesamt weiß oder schwarz gekleidet wie Schachfiguren – so eine Frau mit Strickzeug, deren Mann von den Schweden ermordet wurde, ein Versehrter, dem ins Bein geschossen wurde, ein Bauer, ein Soldat, der Bäcker – allesamt Menschen, die mit dem Religionskrieg zwischen den katholischen und evangelischen Lagern nichts zu tun haben, aber einen hohen Blutzoll bezahlen müssen.
Lange Dialoge zwischen der „Guten Hoffnung“ (Regina Deflorin D’Souza) und dem „Bösen Willen“ (Daniel Rasch) auf der einem Schachfeld gleichenden Bühne zeigen die Diskrepanzen und so manche Verwerflichkeit inmitten des Dramas. „Krieg ist viel lustiger als Schach“, sagt der böse Wille. „14 Jahre Krieg, Hunderttausende Tote, Soldaten wie Zivilisten, große Teile des Reiches geplündert und verwüstet, Seuchen und marodierende Söldner, unzählige Gewaltakte an Männern und Frauen der Zivilbevölkerung – sind Sie, meine Herren, nicht schon als Christen aufgefordert diesem Wahnsinn ein Ende zu machen?“, fragt die gute Hoffnung.
Die beiden Herren, das sind Graf Schöndorf (Martin Buschmeir), der für die katholische Seite spricht, und der Protestant Graf Gostorp (Christian Selbherr), die beide ein jämmerliches Zeugnis abgeben und jeweils der anderen Seite die Schuld am Krieg geben – mit einer Rhetorik, die sich bis heute gehalten hat. „Wissen Sie, wie viele Vergewaltigungen es allein bisher im Namen der Religion gegeben hat? Vermutlich nicht. Glauben Sie im Ernst, Ihre Machtspielchen sind für irgendein Opfer dieses Krieges der Konfessionen und Nationen von Belang?“, unterbricht die Hoffnung. Dieses sei bedauerlich, aber dergleichen Kollateralschäden seien in jedem bewaffneten Konflikt leider an der Tagesordnung, sagt Graf Schöndorf. Da müsse er ausnahmsweise seinem katholischen Kollegen zustimmen, erwidert Graf Gostorp.
Warum ein Stück über den Krieg in kriegerischen Zeiten?
Noch zynischer ist der Dialog zwischen den beiden Feldgeistlichen, dem Katholiken (Klaus Huber) und dem Protestanten (Erich Leiter), die beide das Gebot der christlichen Nächstenliebe dem Erfolg opfern, und dem blutigen Krieg das Wort reden, ehe sie abtreten, der eine die Bibel vorhaltend, der andere das Marienbild.
Warum ein Stück über den Krieg in kriegerischen Zeiten? „Besonders in einer Zeit wie jetzt, in der wir angefasst sind von der Befürchtung, aus Geschichte nicht gelernt zu haben. In der sich scheinbar alles wiederholt und die Neuzeit keine Hoch-Zeit zu werden scheint. Trotz all der Innovation, der Vergangenheitslehre und des Appells der Wachsamkeit, von wo Übel versteckt keimen kann“, erklärt Sophie Pacini vom Vorstandsteam der Ayinger Gmoa Kultur den Besuchern.
Weitere Vorstellungen am 19./20. Oktober, am 25./26./27. Oktober, am 31. Oktober sowie am 1./2. November. Beginn jeweils um 20 bzw. 19 Uhr (sonntags). Karten zu 23 Euro unter Telefon 0700/25250025 oder info@ayinger-gmoa-kultur.de.