Süddeutsche Zeitung

Kultur-Ausblick:Töne aus der Tiefe, Cops aus Helfendorf

Lesezeit: 4 min

Der Landkreis, wie er klingt und lacht: Das Jahr 2018 bietet eine Vielfalt an aufregenden kulturellen Ereignissen. Konzerte, Kabarett, Komödien oder die Gelegenheit, in unterirdischen Gängen der Zeit auf die Spur zu kommen

Von Udo Watter

Die Ägypter haben ein schönes Sprichwort: Der Mensch fürchtet die Zeit - die Zeit aber fürchtet die Pyramiden. Auf den Landkreis übertragen, könnte man sagen: Der Mensch fürchtet die Zeit. Die Zeit aber fürchtet den Ayinger Erdstall.

Der Gedanke an diese rund 1000 Jahre alten unterirdischen Gänge, wo einer Theorie zufolge die Seelen Verstorbener auf die Auferstehung warten, können einen schon melancholisch stimmen. Weht einen aus der Tiefe des Tunnelsystem, das 2016 bei Aushubarbeiten für das neue Pfarrheim von St. Andreas entdeckt wurde, nicht der ewige Schauder der Vergänglichkeit an? Bedenke Mensch, dass du sterblich bist. Oder ist es etwas ganz anderes, wenn man genauer hinhört: vielleicht sogar die zauberischen Klänge von drei Jungfrauen, wie in einer anderen Sage über die mysteriösen Gänge behauptet wird? Was der eigentliche Sinn dieses rund 60 Meter langen historischen Juwels ist, darüber rätselt die Fachwelt. Ein genaueres Bild kann sich bald auch der archäologisch und spirituell interessierte Laie machen: Von Frühjahr 2018 an soll der Erdstall dank bergmännischer Sicherung auch für die Öffentlichkeit zugänglich werden - es wird dann spezielle Führungen geben.

Ohne Herkunft keine Zukunft. Zur Identität gehört das Bewusstsein von der eigenen Geschichte. Einer, der immer wieder tief in die Ayinger Ortsgeschichte hinabtaucht, ist Marcus Everding. Der Regisseur und langjährige Leiter der Carl-Orff-Festspiele Andechs wird 2018 mit dem Oberbayerischen Kulturpreis ausgezeichnet. In der Begründung von Bezirkstagspräsident Josef Mederer heißt es über ihn und die ebenfalls ausgezeichnete Anna Elfriede Ringsgwandl: "Zusammen mit Laiendarstellern gestalten sie Volkstheater auf hohem Niveau und wirken damit über die Grenzen Bayerns hinaus." Die Auszeichnung, die im Juli 2018 im Kloster Seeon überreicht wird, ist sicher auch eine Würdigung für die Arbeit der "Ayinger Gmoa Kultur".

Seit 2004 bringt das Ensemble des Kulturvereins unter der Regie von Everding Stücke auf die Bühne, die auch überregional beachtet werden. Begonnen hat es vor 15 Jahren mit der Gründung des Vereins 2003, die erste Aufführung "Vom Martertod des heiligen Emmeram" (sein furchtbares Martyrium im 7. Jahrhundert spielte sich angeblich bei Kleinhelfendorf ab) gab es 2004. Seither hat Everding, Sohn der großen Münchner Theaterpersönlichkeit August Everding, zwei weitere Teile der Emmeram-Trilogie geschrieben und inszeniert, aber auch andere lokalhistorische Stoffe - oft in Kooperation mit Gmoa-Gründer Michl Wöllinger - als Inspiration für seine Stücke verwendet. Im Herbst 2018 wird es die Uraufführung der mittlerweile neunten Produktion geben. Diesmal heißt das Stück "Die Helfendorf Cops - Das Salz der Erde". Der Plot klingt viel versprechend: In der neuen Polizeidienststelle Helfendorf werden ein bayerischer Kommissar und sein norddeutscher Kollege mit einem brutalen Mord und der Erpressung des ganzen Dorfes konfrontiert. Im Zuge der Ermittlungen wird dann sogar den Vorgesetzten aus Ottobrunn (!) klar: Helfendorf braucht diese so rustikalen wie resoluten Cops.

Die Abo-Reihe "Brotzeit & Spiele", für welche die Ayinger Gmoa-Kultur ebenfalls mitverantwortlich zeichnet, ist für das Jahr 2018 im übrigen schon ausverkauft. Das Konzept (Wirtshausessen und Theater) und Protagonisten wie Gerhard Polt oder Han's Klaffl sind zeitlos attraktiv.

Interesse an Kultur und die Bereitschaft, dafür Geld auszugeben - das gilt freilich nicht nur für die Menschen im südlichsten Zipfel des Landkreises. Die Angebote in den Bürgerhäusern, Galerien oder Kulturzentren sind in der Region rund um München auch 2018 wieder gewohnt qualitätvoll und vielfältig, die Resonanz ist generell hoch. Das ein oder andere Jubiläum wird ebenfalls zelebriert. Die Stadtkapelle Unterschleißheim feiert etwa im April ihr 40-Jähriges mit einem Jubiläumskonzert im Bürgerhaus. Im Januar vor 40 Jahren gegründet wurde der Ars Musica Chor Ottobrunn respektive das Vorläufer-Ensemble unter dem Dach der Musikschule Neubiberg. 1985 erfolgte der Umzug nach Ottobrunn und die Gründung als Verein. Seitdem hat dieser sich zu einem respektierten Vokalensemble entwickelt, der auch heuer im Jubiläumsjahr wieder mit anspruchsvoller Chorliteratur aufwarten wird. Derzeit probt das Ensemble unter Chorleiter Norbert Groh Haydns "Schöpfung". Daneben gibt es unter den lokalen Klangkörpern quasi die üblichen Verdächtigen, die 2018 selbstverständlich wieder ambitionierte Programme anbieten: das Ensemble Haar und der Chor Ensemble di Capello präsentieren etwa im März Werke von Bach im Bürgersaal. Der Oberhachinger Kammerchor ebenfalls im März das "Deutsche Requiem" von Brahms mit dem Kammerorchester und dem Schulchor des Gymnasiums, und im Juli "Eine Nacht der Filmmusik" mit Chören aus Film und Oper.

In Garching wird das Bürgerhaus nach einer längeren Sanierungsphase Ende Januar wieder eröffnet, das Programm ist nach der mehrmonatigen Zwangspause angemessen opulent. Erste größere Veranstaltung ist die Aufführung der Emmerich-Kálmán-Operette "Gräfin Mariza" am 20. Januar. In der Sommerpause 2018 wird das fast 40 Jahre alte Gebäude, das laut Kulturreferent Wolfgang Windisch das älteste seiner Art in Bayern ist, dann in einer zweiten Phase weiter modernisiert.

Nun, vier Jahrzehnte Garchinger Bürgerhaus sind noch keine Zahl, die einen unweigerlich an die Ewigkeit oder die Tiefen der Vergangenheit gemahnen - wie eventuell der Ayinger Erdstall. Eine gewisse Ära verbindet man damit trotzdem und man darf gespannt sein, wie die Zukunft des gleichsam altehrwürdigen Bürgerhauses und die des langjährigen Kulturreferenten Windisch - um den es Abschiedsspekulationen gibt - aussehen wird.

Eines dürfte jedenfalls klar sein: Früher war die Zukunft auch nicht besser, egal, ob man nun an ein lineares oder zyklisches Zeitkonzept glaubt. Dass es einen sinnhaft fortschreitenden historischen Prozess gibt, gelenkt von einem vernünftigen Weltgeist, erscheint uns heute eher fraglich. Dass sich Geschichte in gewisser Weise wiederholt, hingegen nicht, obgleich manches dann doch lieber im Bereich der Fiktion bleiben sollte: Am Samstag, 20. Januar, läuft im Taufkirchener Kulturzentrum das Theaterstück "Er ist wieder da", das auf Timur Vermes' satirischem Bestsellerroman basiert und in dem Adolf Hitler im Berlin des 21. Jahrhunderts wieder aufwacht - und erneut Karriere macht.

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Quelle:
SZ vom 12.01.2018
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