Kühler Genuss:Mit Amore und Leidenschaft

Von den 30 Eisdielen im Landkreis wird mehr als die Hälfte von Italienern geführt. Als Gelatieri pflegen sie die Traditionen ihrer Heimat, wissen aber auch, was Deutsche erwarten

Von Francesco Collini

Das Ungeheuer ist schon aus der Ferne zu sehen. Dieses blasse Gebilde aus nudelförmiger Vanillecreme, das aus einem durchsichtigen Plastikbecher quillt. Hier und dort glitzernde, rote Flecken einer vermeintlichen Himbeer- oder Erdbeersoße, die in den meisten Fällen bloß billiger Sirup ist. Spaghettieis mag für Deutsche nach italienischem Dolce Vita schmecken, der in Mannheim erfundene Abklatsch von echtem gelato ist für Italiener, die zum ersten Mal nach Deutschland kommen, aber ein Kulturschock oder bestenfalls Italo-Kitsch. So auch für den Autor.

Die italienischen Eismacher hierzulande sind dagegen nicht so eitel. Es gibt kaum eine italienische Eisdiele, die diese hundertprozentig deutsche Erfindung nicht anbietet. In den 30 Eiscafés im Landkreis München ist das nicht anders. Hier haben mehr als die Hälfte der Unternehmer im Gelato-Geschäft einen italienischen Pass, wie aus einer Erhebung der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern (IHK) hervorgeht - und sie werden mehr.

Einige Eisdielen gibt es schon seit Jahrzehnten, andere haben erst vor Kurzem aufgemacht. Und bei vielen, womöglich bei den meisten, gibt es Spaghettieis. Wie steht es sonst dort mit italienischer Authentizität? Sind die Deutschen womöglich einfacher zu überzeugen, was Qualität und Originalität betrifft? Worauf legen die Kunden Wert? Was muss man hier anders machen als in Italien? Die SZ hat einige Eisdielenbesitzer besucht und über ihre Philosophie, ihre Kunden und die Zukunft der "Gelaterie" gesprochen.

Eiscafé Firenze, Haar

Kühler Genuss: Alessandro (links) und Rolando Nardi setzen auf die Sorten Mango und Pistazie.

Alessandro (links) und Rolando Nardi setzen auf die Sorten Mango und Pistazie.

(Foto: Claus Schunk)

Wer am Haarer Bahnhof aussteigt, kann es nicht übersehen: Das Eiscafé Firenze steht seit 1985 gegenüber dem Bahnhofsausgang und es hat alles von einem italienischen Eiscafé, wie es sich Deutsche vorstellen: Über der prächtigen Theke, in der bis zu 36 Eissorten ausgestellt werden können, sind riesige Eisbecher mit Obst und bunter Deko abgebildet. Und Spaghettieis natürlich. "Die Größe einer Eisdiele kommt nicht von einem einzigen Gelatiere, sondern von der Erfahrung von mehreren Eismachern", sagt Rolando Nardi dazu.

Der Mann hat 2004 gemeinsam mit seinem Bruder Alessandro die Eisdiele von seinen Eltern übernommen hat. Wenn man mit ihm über Eis spricht, fühlt sich das Gespräch ein bisschen wie ein Unterricht an. Man merkt, dass er in einer Eismacherfamilie aufgewachsen ist. Sein Opa hat schon vor dem Krieg in Berlin Eis verkauft. Nach einigem Hin und Her zwischen Deutschland und Lucca in der Toskana fanden die Nardis in Haar ihre Wahlheimat.

Durch die Tradition seiner Familie kennt sich Rolando mit den kulturellen Unterschieden zwischen Italien und Deutschland bestens aus: "Obwohl sich das Bewusstsein ändert, galt und gilt Eis in Deutschland als volle Mahlzeit und nicht als Straßennachspeise wie in Italien", erklärt er. Daher die riesigen Eisbecher und die Spaghetti. Doch hinter den bunten Bechern steht tatsächlich eine gründliche Recherche nach dem richtigen Geschmack und auch eine gewisse Experimentierfreude. Zurzeit bietet er einen "Gusto" mit Schokolade aus Modica, eine geschützte Schokoladensorte aus Sizilien. Nardis Philosophie ist ganz klar: "Wir müssen einfach das Beste anbieten, was Italien hat. Gewinn ist dann die logische Konsequenz."

Unbedingt probieren: Eis mit Pistazien aus Bronte

Eisdiele Fontana, Aschheim

Kühler Genuss: Bei Christian Moraitini und Agata Guntin gibt es nur natürliche Zutaten – samt einer ganzen Menge Liebe für das Eis.

Bei Christian Moraitini und Agata Guntin gibt es nur natürliche Zutaten – samt einer ganzen Menge Liebe für das Eis.

(Foto: Claus Schunk)

Christian Moraitini und seine Frau Agata Guntin - er aus Vicenza, sie aus Buenos Aires - haben vergangenes Jahr die Eisdiele Fontana in Aschheim übernommen. Dafür ist das junge Paar extra aus dem Allgäu in den teuren Landkreis gezogen. Ihre Bilanz nach der zweiten Sommersaison ist gut, obwohl es diesen Sommer viel mehr geregnet hat. "Ich tue mir die 13, 14 Stunden Arbeit während der Saison gerne an", sagt Guntin, die ihren Job als Rechtsanwältin aufgegeben hat, denn: "Wir verkaufen nicht nur Eis, wir verkaufen Glücklichkeit."

In der kleinen Eisdiele stellen die beiden bis zu 80 Eissorten her. "An heißen Sommertagen ist Obst beliebter, im Herbst haben wir dann Zimt oder Lebkuchen." Denn die Menschen werden selektiver. Moraitini ist schon seit 15 Jahren Gelatiere und merkt, wie sich der Geschmack der Menschen verändert: "Kunden verlangen viel mehr Vielfalt, gerade in Richtung veganes Eis, und sie erkennen Qualität an", erzählt er. Für sein Schokoladeneis kämen Stammkunden sogar aus Erding. "Amore e passione" - Liebe und Leidenschaft, sei das beste Rezept für gutes italienisches Eis.

Unbedingt probieren: Schokolade

Eiscafé Venezia, Ottobrunn

Kühler Genuss: Bei Luca Burci gibt es prächtige Eisbecher.

Bei Luca Burci gibt es prächtige Eisbecher.

(Foto: Claus Schunk)

Luca Burci experimentiert gerne. So stellt er graues Eis her, mit Kokos und Speisekohle. "Beton" heißt die Sorte. Und neben Spaghettieis macht er mittlerweile Lasagne- und Tagliatelleeis: "Ein Riesenerfolg", sagt der Mann vom Comersee. Kitsch? Vielleicht, aber das Eis schmeckt. Auch er setzt auf natürliche Zutaten. "Die Heidelbeeren und Himbeeren hole ich vom Bauern hier um die Ecke. Und die Milch kommt immer aus Bayern." Sein Highlight ist aber das Malaga-Eis. Die Rosinen lässt er mehrere Tage im Rum baden. Und er verwendet tatsächlich viele. "Ich mag es nicht, wenn ich in der Kugel nur eine oder zwei Rosinen habe." Das Eismachen ist Burcis große Leidenschaft. "Als Kind habe ich den Film Cocktail mit Tom Cruise gesehen. Da habe ich gemerkt, dass ich auch Zutaten mischen will, bin aber dann zum Eis hingewandert."

Unbedingt probieren: Lucas jeweilige Überraschung

Vaniglia Il Gelato, Taufkirchen

Kühler Genuss: In den heißen Sommermonaten füllen Roberto Pin und seine Frau Giselda die Becher mit Obstsorten. Bei diesen schwankt der Obstgehalt zwischen 40 und 50 Prozent.

In den heißen Sommermonaten füllen Roberto Pin und seine Frau Giselda die Becher mit Obstsorten. Bei diesen schwankt der Obstgehalt zwischen 40 und 50 Prozent.

(Foto: Claus Schunk)

Wer Roberto Pins Eisphilosophie verstehen will, muss sein "Cremino" probieren. Ein "Variegato", eine Variation aus Schokolade und Haselnuss. Hier steckt der ganze Perfektionismus von Pin, seiner Frau Giselda und seinen Mitarbeitern drin. "Das Rösten der Haselnüsse darf nicht so lange dauern, sonst geht der natürliche Geschmack verloren. Gleichzeitig darf die Grundmasse diesen nicht übertönen", erklärt er. Die Haselnüsse kauft der Italiener direkt bei einem Produzenten im Piemont ein.

Auch er hat eine jahrzehntelange Erfahrung hinter sich. Früher hat er mit anderen Partnern eine große Eisdiele in einem Berliner Einkaufszentrum betrieben. Vor vier Jahren hat er eine Eisdiele in Taufkirchen eröffnet. "Für meine Tochter." Die wolle aber in Italien bleiben. In seiner stilvollen Gelateria bietet Pin auch Spaghettieis an, "aber nur auf Nachfrage", wie er lachend anmerkt. Am beliebtesten seien bei seinen Kunden jedoch die Eiskugeln. Sie schätzten die Qualität des einzelnen Produktes. "Wir müssen italienische Exzellenz verkaufen und keine heiße Luft."

Unbedingt probieren: Cremino

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