Internationale Küche:Blaukraut bleibt Blaukraut, Weißkraut wird Choucroute

Internationale Küche: Köpferollen in der Politik: Weißkraut, Blaukraut und Wirsing gehören traditionell zur letzten Kreistagssitzung des Jahres, die ebenso traditionell in Ismaning stattfindet, das für seinen Kohl bekannt ist.

Köpferollen in der Politik: Weißkraut, Blaukraut und Wirsing gehören traditionell zur letzten Kreistagssitzung des Jahres, die ebenso traditionell in Ismaning stattfindet, das für seinen Kohl bekannt ist.

(Foto: Angelika Bardehle)

Zehn Kreisräte erzählen, wie sie die Kohlköpfe zubereiten, die sie jedes Jahr vor Weihnachten in Ismaning bekommen - die Rezepte stammen aus Bayern, aber auch aus Frankreich, Polen, Russland oder der Mongolei.

Von Stefan Galler und Iris Hilberth, Ismaning

Gut eine Tonne Kraut liegt jedes Jahr im Dezember bei der letzten Kreistagssitzung in Ismaning bereit. 70 Köpfe Weißkraut, genauso viel Blaukraut oder Rotkohl, wie Zugereiste sagen, und nochmal 70 Köpfe Wirsing. Nach diesem oberbayerischen Superfood würden sich die Aliens bei Louis de Funès und seinen außerirdischen Kohlköpfen sicher alle Finger lecken. Doch ist dieses Gemüse nicht wie in dem Film aus den Achtzigerjahren für den Planeten Oxo bestimmt, sondern wird im Landkreis zubereitet. Und zwar von den Kreisräten selbst. Denn die dürfen sich seit Jahren von jeder Sorte einen mitnehmen. Der SZ haben einige von ihnen verraten, was sie damit kochen.

Wer meint, ein Landrat ist ein so vielbeschäftigter Mann, dass er sicherlich keine Zeit findet, sich an den Herd zu stellen, der irrt gewaltig. "Für mich ist Kochen ein toller Ausgleich", sagt Christoph Göbel. Er nimmt begeistert Weiß- und Blaukraut sowie den Wirsing mit nach Gräfelfing, "denn das Ismaninger Kraut ist etwas ganz Besonderes, milder als der klassische Kohlkopf, lockerer gewickelt und eignet sich daher besser für Sauerkraut", sagt Göbel und lässt erkennen, dass er ein Experte in kulinarischen Dingen ist. Der Weißkohl wird in Göbels Familie am liebsten nach einem Rezept seiner aus der Mongolei stammenden Frau als Krautsalat zubereitet. "Er wird mit Salz, Pfeffer und relativ viel Knoblauch angesetzt, dazu Koriander und Öl. Auf keine Fall Essig oder Zitrone", verrät Göbel. Das Blaukraut gibt es dann ganz traditionell zu Truthahn oder Gans. Und dann freut sich der Landrat noch ganz besonders auf den Wirsing mit Rahm, sein persönlicher Favorit unter den Kohlsorten.

Internationale Küche: Kerstin Schreyer, bayerische Verkehrs- und Bauministerin aus Unterhaching, kocht aus den beiden Krautköpfen von der Kreistagssitzung in Ismaning eine Suppe.

Kerstin Schreyer, bayerische Verkehrs- und Bauministerin aus Unterhaching, kocht aus den beiden Krautköpfen von der Kreistagssitzung in Ismaning eine Suppe.

(Foto: privat)

Auch die bayerische Verkehrs- und Bauministerin Kerstin Schreyer freut sich jedes Jahr auf die letzte Kreistagssitzung in Ismaning, wie sie sagt, "auch wegen des Krautkopfs, aus dem ich mir meistens eine kräftige Krautsuppe koche". Das Rezept hat sie sofort parat: "Den kleingeschnittenen Krautkopf koche ich gemeinsam mit Kartoffeln, Wurzelgemüse und einem kleingeschnittenen geselchten Wammerl. Abschließend wird die Suppe mit Salz, Pfeffer, Kümmel, Majoran und Thymian abgeschmeckt und ich kann sagen: Der Ismaninger Krautkopf hat mich noch nie enttäuscht!"

Internationale Küche: Markus Büchler, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Oberschleißheim, kocht aus dem Ismaninger Kraut russischen Borschtsch.

Markus Büchler, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Oberschleißheim, kocht aus dem Ismaninger Kraut russischen Borschtsch.

(Foto: privat)

Der Oberschleißheimer Grünen-Kreisrat und Landtagsabgeordnete Markus Büchler hatte sogleich drei Rezeptideen, als er die Krautköpfe in Ismaning einpackte. Erst einmal gab es einen russischen Borschtsch. Und weil dieser Eintopf mit seiner kräftigen roten Farbe und dem Sahnehäubchen nicht nur allen in der Familie so gut schmeckte, sondern auch noch so appetitlich aussah, grämte sich Büchler anschließend vor dem leeren Teller, kein Foto gemacht zu haben. Also kochte er den Borschtsch gleich noch einmal. Gleichwohl blieb immer noch genügend Kraut übrig für einen bayerischen Krautsalat und Wiener Krautfleckerln, "mit Bio-Fleckerlnudeln eigenhändig aus Wien importiert und ganz viel Kümmel", wie er berichtet.

Büchlers Fraktionskollegin Claudia Köhler aus Unterhaching hat zu Hause gleich zwei Männer, die für sie kochen. Ihr Ehemann und an Festtagen ihr Sohn, der Profikoch. "Bei Kohl kann man nicht viel falsch machen, bei Krautwickerl die Blätter vorher blanchieren, das hat mir schon meine Oma so erklärt. Sie hatte oft für Riesen-Familieneinladungen mehr als 50 Krautwickerl aus Wirsing gebraten, dazu Kartoffel-Gurkensalat, ich habe heute noch den Duft in der Nase", schwärmt Köhler. Ihr Mann probiere immer etwas Neues aus. "Es gibt fast nie zweimal dasselbe Gericht außer den Essen, die es auf unsere Toptop-Liste schaffen", sagt die Grünen-Abgeordnete. Dazu gehöre das Schupfnudel-Wirsing-Gratin mit Kassler. Gerne verrät sie das Rezept: Kohlkopf putzen, vierteln, Strunk entfernen und in Streifen schneiden. Öl im Topf erhitzen und 150 Gramm Zwiebeln anschwitzen, Wirsing dazu, salzen und etwas dünsten, 125 Milliliter Brühe dazu und 15 Minuten bissfest schmoren. 200 Gramm Kassler in Würfel scheiden und mit 400 Gramm Schupfnudeln in eine Auflaufform unter den Wirsing mischen. 125 Gramm saure Sahne unterheben, mit einem Teelöffel Senf, Salz und Pfeffer, Kümmel würzen, 50 Gramm geriebenen Käse drüber und mit Schnittlauchröllchen bestreuen. Bei 200 Grad etwa 25 Minuten goldbraun überbacken.

Internationale Küche: Die Schüssel mit dem Kraut ist jene von Florian Schardt (SPD).

Die Schüssel mit dem Kraut ist jene von Florian Schardt (SPD).

(Foto: privat)

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Florian Schardt ist ja so etwas wie ein Greenhorn in der Kreispolitik, im Kreistag sitzt er erst seit der jüngsten Kommunalwahl im Frühjahr 2020. Deshalb sei er auch nicht wirklich vorbereitet gewesen auf das, was da im Bürgerhaus auf ihn wartete, als er im Dezember vor einem Jahr "strammen Schrittes" an den im Eingangsbereich aufgetürmten Krautköpfen vorbei in den Sitzungssaal eilte. Er fragte den Ismaninger Bürgermeister Alexander Greulich, "wieso man denn den Raum ausgerechnet mit riesigen Plastiksalaten geschmückt" habe. Dass er damit eine durchaus bedrohliche Situation heraufbeschworen hatte, wurde Schardt schnell klar: "Der Blick des groß gewachsenen, bärtigen und sehr präsenten Hausherrn verfinsterte sich in Sekundenbruchteilen", schildert der Sozialdemokrat. Der Parteikollege habe seine "ungewollte Schmähung" folgendermaßen erwidert: "Dir helf i glei! Des is des guade Ismaninger Kraut." Womit für Schardt klar war, dass er das Gewächs in Ehren halten musste. Und das tat er dann auch: "In aufwendiger Handarbeit habe ich das Kraut gerieben, gemeinsam haben wir es frei nach einem Rezept von Alfons Schuhbeck zu Krautsalat verarbeitet und uns von Heiligabend bis Neujahr daran erfreut." Den Krautsalat gibt es heuer wieder, diesmal in Variationen, etwa mit Ananas. "Zur Abwechslung habe ich auch einen roten Krautkopf mitgenommen, den die in kulinarischen Fragen ziemlich wählerische Schwiegermutter zu Blaukraut verarbeiten wird. Das ist eine große Ehre", sagt der SPD-Politiker.

Dass es sich bei Ismaning um eine Krautgemeinde handelt, weiß Michael Ritz schon seit seiner Kindheit: "Ich bin in Kirchheim aufgewachsen und früher mit meiner Mutter regelmäßig in die Nachbargemeinde gefahren, um Kartoffeln und Kohl in einem Hofladen direkt beim Bauern abzuholen", erzählt der FDP-Kreisvorsitzende, der mittlerweile in Grünwald lebt. Und deshalb kennt er die Qualität des heimischen Gemüses auch sehr genau: "Das Kraut ist Weltklasse." Im Hause Ritz kommt traditionell an Weihnachten eine Ente auf den Tisch, dazu Knödel und Ismaninger Blaukraut, "klassisch angerichtet mit Äpfeln", wie der Hausherr erzählt. Wobei seine Frau die Küchenchefin ist, "ich kontrolliere und kümmere mich ein bisschen um den Rest". Auch das Weißkraut wird ordentlich verarbeitet: "Zur Hälfte machen wir daraus Coleslaw, einen speziellen Krautsalat mit Zwiebeln und Karotten", sagt Ritz. "Und die andere Hälfte verarbeiten wir zu steirischen Krautfleckerl, ganz klassisch mit Nudeln, Zwiebeln und Speck." Beim Würzen ist Zurückhaltung angesagt, denn die Enkelkinder mögen weder Kümmel noch Muskat. Und übrigens auch keine Kohlsuppe: "Aber die schmeckt bei uns niemandem. Deshalb machen wir die auch nicht."

Internationale Küche: Otto Bußjäger bereitet eine Ente aus dem eigenen Garten zum Kraut vor.

Otto Bußjäger bereitet eine Ente aus dem eigenen Garten zum Kraut vor.

(Foto: privat)

Auch beim Kreischef der Freien Wähler, Otto Bußjäger, kommt an Heiligabend traditionell eine Ente auf den Tisch - und zwar eine aus seiner kleinen Zucht im eigenen großen Garten in Höhenkirchen-Siegertsbrunn. Und dazu wird das Blaukraut aus Ismaning gereicht: "Da kommen Äpfel, Lorbeer, Wacholder, Nelken, Rotwein und ein bisschen Fett von den Enten rein", sagt Bußjäger, der die Zubereitung weitestgehend seiner Frau überlässt. "Ich muss es immer nur essen, es schmeckt immer sehr gut." Auch für das Weißkraut aus der Kreistagssitzung hat Familie Bußjäger Verwendung: Es wird zu einem großen Krautsalat verarbeitet, der dann immer wieder aufgetischt wird. "Zur Brotzeit oder zu einem Schweinsbraten oder einfach als Imbiss ohne alles für zwischendurch", sagt der frühere Grasbrunner Bürgermeister, der den Salat auch gerne mit Kümmel mag. "Aber meine Frau isst ihn nur ohne."

Oberhachings Bürgermeister Stefan Schelle, der auch die CSU im Kreistag anführt, hat sich das Weißkraut bereits einen Tag nach der Sitzung schmecken lassen. Die Familie kam zum Schweinsbraten-Essen zusammen, dazu gab es Bayerisch Kraut. "Meine Frau hat das Rezept aus einem altbayrischen Kochbuch, das gelingt immer", schwärmt er. "Keine Experimente mit dem Ismaninger Kraut", das ist Schelle wichtig. So wird auch das Blaukraut im Hause Schelle traditionell angerichtet und zu selbst geschossenem Reh serviert. "Die Krautköpfe zur Kreistagssitzung sind eine total nette Geste", findet er. Vor allem sei das Gemüse regional angebaut und noch dazu sehr gesund. Schelle betont: "Der CO₂-Fußabdruck vom Ismaninger Kraut ist viel geringer als die tropfenweise bewässerte Avocado vom anderen Ende der Welt."

So gar nicht bayerisch-traditionell sind die Pläne, die Natascha Kohnen mit ihrem Weißkohlkopf hat: Sie habe schließlich einige Jahre in Frankreich gelebt, deshalb werde sie ein entsprechendes Rezept kochen: "Mon dieu, ich mache natürlich Choucroute braisée à l'alsacienne, ein geschmortes Sauerkraut auf elsässische Art", sagt die SPD-Kreisrätin und Landtagsabgeordnete aus Neubiberg. Das sei "deftig und total lecker". Details verrät sie nicht, aber einschlägige Quellen legen nahe, dass man bei der Zubereitung kreativ sein kann. Es müssen nicht Würste aus Colmar und Montbéliard sein, man kann etwa auch eine feine Rohpolnische oder Pfefferbeißer mitgaren. "Danach braucht man nix mehr, höchstens ein kräftiges Bier", sagt Kohnen. Ihr Tipp, der grundsätzlich fürs Kochen gilt: "Man sollte Geduld haben, für dieses Gericht sollte man mindestens vier bis fünf Stunden einplanen. Und was am Herd immer wichtig ist: gute Laune." Das Gericht reiche jedenfalls für Großfamilien. Für Natascha Kohnen ist das elsässische Kraut mit "schönen Erinnerungen" verbunden: "In Paris gab es etliche Restaurants, die darauf spezialisiert waren." Viel schiefgehen könne bei der Zubereitung eigentlich nicht, sagt die ehemalige SPD-Landeschefin. "Wenn ich mal ein Essen total in den Sand gesetzt habe, das war immer meine Schuld, weil ich entweder eine Zutat vergessen hab oder eben ungeduldig war."

Internationale Küche: Jolanta Wrobel (ÖDP) mit den Zutaten für ein Bigos aus ihrer Heimat Polen.

Jolanta Wrobel (ÖDP) mit den Zutaten für ein Bigos aus ihrer Heimat Polen.

(Foto: privat)

Internationale Küche und Ismaninger Kraut - das ist auch ein Thema für die ÖDP-Kreisrätin Jolanta Wrobel: "Ich koche zu jedem Weihnachtsfest ein Gericht, das in meiner ersten Heimat Polen sehr populär ist und Bigos heißt", erzählt sie. Das besteht aus gebratener Zwiebel, Weißkohl, Sauerkraut, Karotten und Sellerie, getrockneten Pilzen und Pflaumen, Salz, Pfefferkörnern, Lorbeerblättern und Tomatenmark. "Traditionell auch Fleisch, Speck oder Wurst, auf die man aber auch ganz gut verzichten kann", sagt die Unterschleißheimerin. Der Eintopf werde zwei- bis dreimal aufgekocht und je eine bis zwei Stunden gegart. Dazwischen sollte er in der Kälte, am besten bei leichtem Frost, ein paar Stunden ruhen, sagt Wrobel. "Damit Bigos gelingt, darf es nicht zu kurz, aber auch nicht zu lange gegart werden. Wenn es dunkel und weich ist, dabei süßlich-sauer und gleichzeitig leicht salzig schmeckt, ist es fertig. Kartoffeln oder Brot dazu. Lecker!" Dieses Jahr habe sie aus Ismaning einen Wirsing mitgenommen: "Ich bin gespannt, ob und wie sich der Geschmack des Bigos durch die andere Kohlsorte verändert." Wer das polnische Nationalgericht einmal kosten will, der könnte das auf dem Winter-Tollwood in München tun, das diesmal jedoch wieder ausfällt. "Hoffentlich klappt es 2022 wieder. Es schmeckt fast so gut wie meins", sagt Wrobel augenzwinkernd.

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