Süddeutsche Zeitung

Flüchtlingsunterbringung:Dem Landrat platzt der Kragen

Bei der Debatte um Unterkünfte für Schutzsuchende kommt es im Kreistag zu einer Auseinandersetzung zwischen Christoph Göbel und der AfD-Rätin Christina Specht. Diese fordert, dass "leistungsstarke" Bürger Asylsuchende privat aufnehmen sollten.

Von Stefan Galler, Garching

In der Regel lässt sich Landrat Christoph Göbel (CSU) von Wortbeiträgen oder Anträgen aus den Kreisgremien nicht aus der Ruhe bringen, selbst wenn sie seiner politischen Meinung widersprechen. Er moderiert vieles weg, schließt auch mal den ein oder anderen Kompromiss. Bei der Debatte über das weitere Vorgehen des Landkreises bei Errichtung und Betrieb von Unterkünften zur Flüchtlingsunterbringung in der Kreistagssitzung am Montagnachmittag im Garchinger Bürgerhaus jedoch platzte Göbel der Kragen.

Es ging um die Forderung der AfD-Gruppe, vor dem Hintergrund der Wohnungsknappheit im Landkreis solle das Landratsamt dafür werben, dass "hochsituierte und leistungsstarke" Bürger - explizit etwa Mandatsträger der Grünen - Flüchtlinge in ihre privaten Wohnungen aufnähmen, um dadurch Druck vom Wohnungsmarkt zu nehmen. Außerdem beantragte die AfD, alle Maßnahmen zur Unterbringung der Schutzsuchenden müssten vom Landrat in den Kreisgremien vorgestellt werden. "Einen Blankoscheck können wir uns in Zeiten nach dem Lockdown nicht leisten", sagte die Kreisvorsitzende Christina Specht.

Zunächst hatte Göbel noch den Versuch unternommen, den AfD-Räten möglichst sachlich zu antworten. Doch als Specht immer weiter insistierte, konnte sich der Landrat nicht mehr zurückhalten: "Ich bin lange im Kreistag und habe hier schon vieles gehört. Aber so einen Schmarrn, einen derart niveaulosen Antrag habe ich noch nie erhalten", polterte der Landrat. Die Forderung der AfD, Flüchtlinge privat unterzubringen, sei "hart an der Grenze, was die Geschäftsordnung hergibt".

Auch die Sache mit dem Blankoscheck wollte Göbel so nicht stehen lassen: "Ich soll laut Beschlussvorlage nur Vorschläge erarbeiten, die ich dann vorlege. Das ist genau kein Blankoscheck", so der Landrat. "Da müssen Sie schon den Wortlaut des Beschlusses lesen und verstehen."

Eigentlich war es bei der Debatte wie vor einer Woche im Kreisausschuss vor allem darum gegangen, Maßnahmen zu ergreifen, um einem Engpass bei Unterkünften für Asylsuchende und - im Falle von Familiennachzug - Obdachlosigkeit bei anerkannten Flüchtlingen vorzubeugen. Ein Ansinnen, dem bis auf die AfD alle Fraktionen folgten. Zumal in den nächsten zwölf Monaten wegen auslaufender Mietverträge mehr als 130 der gut 3000 Unterbringungsplätze wegzufallen drohen, eine Entwicklung, die sich in den kommenden Jahren noch verstärken wird. Deshalb gebe es auch von der Regierung von Oberbayern, mit der die vom Landkreis vorgestreckten Kosten für die Unterbringung abgerechnet werden, das klare Signal, Mietverträge zu verlängern, wo immer es gehe.

Die Grünen hatten ebenfalls einen zusätzlichen Antrag gestellt: Sie forderten, dass der Landkreis seine Bereitschaft zeigen sollte, Flüchtlinge aus dem durch Brände zerstörten Lager Moria auf der griechischen Insel Lesbos aufzunehmen. "Eine direkte Zuständigkeit mag nicht gegeben sein, aber in Zusammenhang mit der Schaffung von Unterbringungsplätzen finden wir, dass es gut passt", sagte die Fraktionsvorsitzende Susanna Tausendfreund. Göbel entgegnete, dass er damit rechne, dass nach dem Königsteiner Schlüssel etwa fünf bis zehn der 1553 von Deutschland aufzunehmenden Flüchtlingen aus Moria in den Landkreis kommen werden.

CSU-Fraktionschef Stefan Schelle ergriff dann während der tobenden Auseinandersetzung zwischen dem Landrat und der AfD-Rätin Specht das Wort, "bevor die Debatte eine unsinnige Dimension annimmt". An die Grünen gerichtet sagte er, er wolle "das Schaufenster etwas schließen" und schlug vor, den Passus zu ändern. Letztlich einigte sich der Kreistag gegen die Stimmen der drei AfD-Vertreter auf eine Fassung, die besagt, dass der Landkreis die Bereitschaft Deutschlands ausdrücklich begrüße, Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen und damit der humanitären Katastrophe entgegenzuwirken.

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SZ vom 22.09.2020/hilb
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