Kreis und quer:Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der Landkreis hat sich beim Klimaschutz hehre Ziele gesetzt und ist auch in Sachen fairer Handel vorne dabei. Und doch hinken gute Taten den Absichten bisweilen noch hinterher

Kolumne Von Lars Brunckhorst

Wie schön müsste es sein, einmal Münchner Landrat zu sein. Während es anderswo ganze Dörfer und Städte wegspült, würde man auf die Weiten der Münchner Schotterebene schauen, in denen auch die stärksten Gewittergüsse schadlos versickern, und ansonsten auf den Hochwasser- und Naturschutz im Isartal vertrauen. Und man würde sich beim Blick über das satte Land mit seinen prallen Gemeinden und fetten Unternehmen daran erfreuen, dass der ganze Boom so schön Hand in Hand mit der Umwelt geht: Minus 85 Prozent C0₂-Ausstoß beim Strom bis 2030 und minus 51 Prozent bei der Wärme - das sind die Ziele, die sich der Kreis in seiner Energievision gesetzt hat. Auch bei der Verkehrswende geht es voran: Allein 190 E-Ladepunkte soll es bis Jahresende geben. Hach, was für ein gutes Gefühl, etwas für eine bessere Welt zu tun! Darauf erst mal ein Tässchen Kaffee.

Natürlich aus fair gehandelten Bohnen. Etwas anderes kommt im Büro von Christoph Göbel nicht in die Tasse. Denn der Kreis ist nicht nur Energievisions-, Mobilitätswende- und Klimaschutz-Musterknabe, sondern natürlich auch Fairtrade-Land. Gerade erst wurde ihm erlaubt, das Label "Fairtrade-Town" für weitere zwei Jahre tragen zu dürfen. Mit der "Rezertifizierung" wird sein Engagement für fairen Handel gewürdigt. Und die im Landratsbüro gereichten Heißgetränke, deren Hauptzutat von gerecht bezahlten Andenbewohnern gepflückt wird, haben daran einen entscheidenden Anteil.

Denn zu den weiteren "wesentlichen Auszeichnungskriterien" gehören ansonsten nur die "sehr aktive" Steuerungsgruppe, Informations- und Bildungsaktivitäten von Schulen, Vereinen und Kirchen sowie regelmäßige Berichte darüber in den Medien, wie es diese Woche in einer Pressemitteilung aus dem Landratsamt hieß. Produkte aus fairem Handel gibt es dagegen gerade einmal in 45 Geschäften und 23 gastronomischen Betrieben. Um sich "Fairtrade-Town" nennen zu dürfen, reicht das aber. Was viel darüber aussagt, wie viel davon zu halten ist, dass es in Deutschland mehr als 700 solche Fairtrade-Gegenden gibt - und mehr als 2000 weltweit. Dass darunter neben Städten in Großbritannien und Schweden auch solche in Brasilien und Libanon sind, wie das Landratsamt wissen lässt, stärkt das Vertrauen nur bedingt.

Mit dem Vertrauen in Labels ist es ja ohnehin so eine Sache. Das fing schon in den Achtzigern an mit dem Blauen Engel und ging weiter über diverse Bio- und Öko-Zertifikate. Sie sagen meist mehr über gute Absichten aus als über echte Taten. So ist es auch mit all den Prädikaten, mit denen sich der Landkreis schmückt. Minus 54 Prozent CO₂ pro Kopf - das ist eine Absicht. Tatsächlich ist der Ausstoß von 2006 bis 2016 um 25 Prozent gestiegen. 190 E-Zapfsäulen? Tatsächlich fährt von den 305 782 hier zugelassenen Kfz weniger als ein Prozent elektrisch. Anspruch und Wirklichkeit klaffen noch auf vielen Gebieten weit auseinander. Darüber müssen wir mal mit dem Landrat reden. Am besten in seinem Büro bei einem Kaffee oder einem fairen Fruchtsaft.

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