Kreis und quer:Wo das Chaos blüht

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Ordnung ist wichtig. Aber die Natur braucht anderes

Von Iris Hilberth

Vor ein paar Jahren hat der Schweizer Aktionskünstler Ursus Wehrli mal so richtig aufgeräumt. Erst die Kunst, indem er bekannte Bilder zerschnitt und geometrisch neu ordnete. Dann packte ihn so richtig die Ordnungswut, und er sortierte die ganze Welt. Die Buchstabensuppe etwa - das reinste Durcheinander, wenn man sie nicht nach Alphabet arrangiert. Oder das U-Bahn-Netz. Hier verlaufen die Linie kreuz und quer, das ist schwer zu ertragen. Wehrli hat Symmetrie reingebracht. Genauso wie er auf dem Parkplatz die blauen Autos zu den blauen und die grünen zu den grünen gestellt hat. Mit seinen Vorher-Nachher-Fotos hat er den Leuten gezeigt: Sogar Pommes mit Ketchup lassen sich aufräumen.

Nun ist nicht bekannt, wie viele Käufer seiner Bücher sich von dem ordentlichen Schweizer animieren ließen, ihr Leben zu sortieren. Derzeit aber scheint vor allem die Japanerin Marie Kondo und ihre Methode des gnadenlosen Aufräumens das Maß der Dinge zu sein. Ihren Expertenrat übers Ausmisten und Optimieren verbreitet die Bestsellerautorin inzwischen auch in einer Netflix-Serie. Seither sollen angeblich immer mehr Menschen auf der ganzen Welt vom Aufräum-Fieber gepackt sein. Aber so viel Ordnung hält ja kein Mensch aus. Und die Natur schon gar nicht. Der Agrarwissenschaftler Josef Settele hat diese Woche in einem SZ-Interview angemahnt: "Die Landschaft ist zu aufgeräumt." Es ist also an der Zeit, mal für mehr Chaos zu sorgen.

Es gilt, auf langweiligen Agrarflächen, in viel zu ordentlichen Grünanlagen, in unkrautfreien Steingärten und auf pflegeleichten Freizeitarealen Unordnung zu machen. Nicht um die Verfechter der schlichten Umgebung und die Liebhaber des exakt gestutzten Rasens zu ärgern, sondern damit bedrohte Arten geschützt werden. Denn es gibt Lebewesen, die tatsächlich das Chaos lieben. Ein unordentlicher Garten bietet zahllosen Tieren Nahrung und Unterschlupf. Auch im Landkreis gibt es Flächen, die einfach zu sortiert sind, um in Zeiten des Artensterbens eine Daseinsberechtigung zu haben.

Man muss sich ja nicht gerade Truppenübungsplätze herbeiwünschen, auf denen, so sagt Professor Settele, der Artenreichtum mit am größten sei. Obwohl der Putzbrunner CSU-Bundestagsabgeordnete Florian Hahn diese für sein neues Konzept des "Deutschland-Praktiums" sicher gut finden würde. Aber nehmen wir doch das Grün des Golfplatzes in Straßlach-Dingharting. Es wäre doch ein Einfaches, hier zwischenrein ein paar Kräuter zu pflanzen. Das erhöht sicher auch das Handicap. Oder der Rasenplatz im Fußballstadion Unterhaching. Null nahrungsreich. Wildblumen wären hier mal angesagt. Blühstreifen statt Seitenlinien. In Unterföhring fällt der Vorplatz des Bürgerhauses ins Auge. Die Betonsteine sind so präzise angeordnet, dass sich kein Grashälmchen hintraut. Ein großer Strauß Pusteblumen könnte weiterhelfen. Gegen hartnäckigen Löwenzahn kommt auch das Ordnungsamt nicht an.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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