Kreis und quer:Wenn die Füchse Masken tragen

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Ganz alleine im Wald erinnert einen sicher nichts an die Corona-Krise. Oder etwa doch?

Kolumne von Michael Morosow

Wer wenigstens für Stunden nichts mehr sehen und hören will von der gegenwärtig verseuchten Weltlage, so scheint es, müsste für sich einen Platz in der Raumstation ISS buchen. Oder tief in den Wald hinein gehen, was immer noch ohne Anmeldung und Vorlage eines Attests möglich ist, selbst den größten Hirschen unter uns. Es könnte ein prickelnder Streifzug durch die Geschichte werden, denn Wälder speichern nicht nur Sauerstoff, sondern auch alles, was zwischen Fichten und Tannen so alles stehen und liegen geblieben ist im Laufe von Jahrhunderten.

Ein Waldstück im Süden des Landkreises, nahe dem Hofoldinger Forst, über dessen Gipfeln vielleicht bald Windräder hinausragen werden: Der Corona-Flüchtling lässt eine schöne, rote Espressomaschine links liegen, geht an einer bereits abgeernteten Marihuana-Plantage vorbei, liest alsbald mit Interesse eine böse Mahnung vom Finanzamt, die der Schuldner an den Wald abgetreten hat. Er freut sich über eine über hundert Jahre alte Bierflasche der Aktienbrauerei Löwenbräu, die ein Durstiger wohl geleert hatte, während er beim Wiederaufforsten der Ende des 19. Jahrhunderts von einem Schädling niedergerichteten Waldstücke mithalf. Und schließlich steht er wie gefesselt vor einer Gedenktafel und liest: "Hier schlief von 10. auf den 11. August 1878 der Wildschütz Jennerwein (seinen Rausch aus) Wahrscheinlich war er beim Bräu in Aying." Ist natürlich ein Fake, denn der Wildschütz hatte sein Leben bereits ein Jahr zuvor ausgehaucht. Aber vielleicht sind ihm die beiden unversehrten Maßkrüge der Brauerei Andechs zuzuordnen, die ein "Geräumt" weiter aus dem feuchten Moos blitzen, gleich neben einer Patronenhülse der US-Army und unweit von einem Kinderwagen und einem halb vollen Kanister Motoröl. Dann ein Fund, der Rätsel aufgibt. Wer in Gottes Namen hat eine Taucherbrille im Wald liegen gelassen? Hat da jemand den VHS-Kurs "Waldbaden" völlig missverstanden? Die Fichten und Tannen werden sich einen Ast gelacht haben. Auf eine ganze Palette uralter Ziegel stößt der Waldgänger auch noch. Wahrscheinlich übrig geblieben. Ob das Haus überhaupt noch steht?

Ein Reh in der Ferne erfreut das Auge, Vogelkonzerte verwöhnen die Ohren. Wie herrlich ist dieser Ausflug in dieses naturnahe Geschichtsmuseum, fern von der quälenden Gegenwart. Doch dann das Unfassbare: Am Waldrand liegt durchfeuchtet ein blauer Mund-Nasenschutz, wohl weggeworfen, weil ein Henkel abgerissen ist. Das viel zu kurze Verweilen in einer heilen Welt endet jäh. Wenn die ersten Füchse Masken tragen, bleibt nur noch die ISS.

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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