Kreis und quer:Vom Geist der Rebellion

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Der Bayer schaut erst nach links, dann nach rechts, bevor er über die rote Ampel geht. (Foto: Catherina Hess)

Der Bayer neigt an sich schon zum Aufstand, der Autofahrer im Landkreis aber eher zur Sünde.

Von Udo Watter

Würde man nationale Stereotypen nach dem Grad ihrer Sexyness messen, wären die Deutschen zu einem Leben im Zölibat prädestiniert. Selbst positive Attribute wie Pünktlichkeit, Pflichtgefühl und Effizienz sind allenfalls Sekundärtugenden, die keine erotische Fantasie befeuern. Und die Neigung, sich stets an die Regeln zu halten respektive die notorisch teutonische Obrigkeitshörigkeit machen es auch nicht besser. An einer roten Fußgängerampel trotz leerer Straße zu warten: eher unsexy.

Aus bayerischer Sicht könnte man nun behaupten, Autoritätsgläubigkeit sei vor allem ein Ergebnis preußisch-protestantischer Erziehung und in Restdeutschland zuhause, aber damit würde man es sich ein bisserl leicht machen. Hierarchisches Denken und das Festhalten an bestehenden Ordnungen hat auch im Freistaat eine lange Tradition - man denke an die Hegemonie der CSU oder die Zeit der "Ordnungszelle Bayern".

Freilich ist dem Volk der Bajuwaren schon eine gewisse Widerborstigkeit zu eigen. Die Renitenz gegen die Großkopferten gehört zur stammeseigenen DNA, diverse Bierrevolutionen und die Biergartenrevolution (ausgelöst durch einen Streit um die Sperrstunde der Pullacher "Waldwirtschaft") zeugen davon: Oder auch der Auftritt des Kutschers Franz Xaver Krenkl, der mit seinem Gefährt Ludwig I. überholte, und als der sich darüber aufregte, antwortete: "Majestät, wer ko, der ko."

Ziviler Ungehorsam, das Aufbegehren gegen "die da oben" hat zur Zeit eh Konjunktur, die "Fridays for Future"-Demos, an denen sich auch Schüler aus dem Landkreis beteiligen, sind ein gutes Beispiel. Generell hat der Landkreis München keine schlechte Tradition, was Aufsässigkeit angeht. Die Ayinger etwa waren mal berüchtigt ob ihrer "außerordentlichen Widerspenstigkeit". Beim "Maibaumstreit" von 1813 hatten sie sich über das Verbot eines Richters hinweggesetzt und einen Maibaum errichtet, was in brutale Züchtigungen durch die Behörden mündete. In den späten Sechzigerjahren kämpfte die Schutzgemeinschaft Hofoldinger Forst erfolgreich gegen einen geplanten Großflughafen im Münchner Süden.

Und die Revolution von 1918/19 zeitigte zwar im Umland weniger Effekt als in der Stadt, aber in Unterhaching gab es etwa einen Soldaten- und Bauernrat - bei Zusammenstößen mit Freikorps kamen im Frühjahr 1919 vier Revolutionäre um. Dass kürzlich Anwohner der Andresenstraße im Konflikt mit der Gemeinde Unterhaching obsiegten - das Verwaltungsgericht korrigierte die einkassierten Beitragszahlungen der Anwohner für Straßensanierung nach unten -, atmet natürlich keinen vergleichbaren rebellischen Impetus. Es zeugt aber durchaus von charakteristischer Dickköpfigkeit.

Ein wenig Ungehorsam leisteten sich diese Woche auch einige Menschen, welche die B 11 zwischen Schäftlarn und Pullach nutzen wollten. Die Ortsdurchfahrt in Baierbrunn ist seit einigen Tagen wegen Bauarbeiten gesperrt und nur für Anwohner offen. Gleichwohl ignorierten zahlreiche Autofahrer Umleitungsschilder und Sperrung. Entfaltete sich darin schon echter Widerstandsgeist? Befreiende Selbstermächtigung? Rebellisches Potenzial? Hm. Wahrscheinlich neigt der Deutsche einfach eher zum Verkehrssünder, wenn er im Auto sitzt, als wenn er vor einer roten Fußgängerampel steht.

© SZ vom 15.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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