Kreis und Quer:Schwere Geschütze

Ob Hofreiter oder Junge Union: Es ist erschreckend, wie auch Politiker aus dem Landkreis München die Schwelle für einen Kriegseintritt immer tiefer legen.

Von Lars Brunckhorst

Die jungen Kriegsfreiwilligen, die 1914 voller Enthusiasmus an die Front marschierten, hatten angeblich Hölderlin im Tornister. Und auch über die deutschen Landser des Zweiten Weltkriegs hieß es, sie meinten, die Welt des großen romantischen Lyrikers gegen die bolschewistischen Barbarbaren verteidigen zu müssen. Was jene in ihrem geistigen Gepäck tragen, die aktuell zu den Waffen rufen, harrt noch der historischen Analyse. Brecht, Böll oder Willy Brandt sind es jedenfalls nicht. Es ist erschütternd zu beobachten, wie schnell sich ein Land militarisiert, das nach den Schrecken, die Nazi-Deutschland über die Welt gebracht hat, Krieg und Gewalt abgeschworen zu haben schien.

Natürlich sind die Umstände und Hintergründe andere als 1914 und 1939. Und diejenigen, die jetzt nach "schweren Waffen" für die Ukraine rufen, tun dies in der berechtigten Überzeugung, dieses Mal auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. So die Junge Union München-Land, die diese Woche unter Verweis auf die täglichen Bilder und Meldungen von Gräueltaten der russischen Armee in einem offenen Brief alle Abgeordneten des Bundestags aufgerufen hat, den Ukrainern im "Kampf für Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung" mit allen Mitteln beizustehen.

Und doch erschreckt, wie sehr hierzulande der "heldenhafte Widerstand" der Ukrainer glorifiziert und die Schwelle zum Kriegseintritt beharrlich Stück für Stück tiefer gelegt wird. Als der Taufkirchner Burschenverein kurz nach Kriegsbeginn Stiefel, Rucksäcke und Unterwäsche für ukrainische Soldaten sammelte, konnte man das noch als halbwegs sympathische Folklore abtun. Seit aber nicht nur Politiker vom Schlage des Putzbrunner CSUlers Florian Hahn, der schon immer eine besondere Nähe zu Waffenlobby und Rüstungsindustrie hatte, nach Panzern und Geschützen der Bundeswehr für den Krieg im Osten rufen, sondern auch Grüne wie der Unterhachinger Toni Hofreiter, fragt man sich, wo die besonnenen, mahnenden Stimmen geblieben sind. Aus der Partei der ehemals Friedensbewegten sind sie jedenfalls nicht zu vernehmen. Stattdessen wird eine Art europäisch-westlicher "Hurra-Patriotismus" immer lauter. Und so beschleicht einen das ungute Gefühl, dass die Diskussion um Sanktionen, Embargos und Waffenlieferungen mit jedem weiteren Kriegstag mehr auf eine schiefe Ebene gerät, von der es am Ende unaufhaltsam in den Abgrund geht.

Natürlich darf dem Morden in der Ukraine nicht tatenlos zugesehen werden. Aber wie wäre es, statt Waffen zu liefern, die den Krieg verlängern und zu weiteren und immer grausameren Gegenschlägen führen, wenn man dem Aggressor den Geldhahn abdrehte? Also Russland nicht länger für Öl und Gas bezahlte. Möglich wäre das, dafür müsste aber jeder Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen: etwa das Auto stehen lassen, auf die Flugreise verzichten oder nur kalt duschen. Doch tatsächlich kann sich die Politik hierzulande nicht einmal zu einem befristeten Tempolimit durchringen, um den Energieverbrauch zu reduzieren. Nach Waffen zu rufen ist eben einfacher, als das eigene Verhalten zu verändern. Es ist aber vor allem auch gefährlicher.

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