Kreis und quer:Tarnung ist alles

Wenn der Handymast wie ein Kaktus aussieht, ist die hohe Kunst der Mimikry fast abgeschlossen

Kolumne von Iris Hilberth

Vielleicht sind Sie ja im Urlaub der einen oder anderen Gespenstschrecke begegnet. Und womöglich haben Sie es gar nicht mal gemerkt. Diese pflanzenfressenden Insekten, zu denen etwa auch die Gallische Mittelmeerstabschrecke zählt, sind die wahren Meister der Tarnung. Man muss wirklich schon ganz genau hinschauen, um sie nicht etwa als Äste oder Zweige wahrzunehmen. Seit 126 Millionen Jahren haben diese Schrecken das drauf. Mimikry ist die hohe Kunst des Nicht-Gesehen-Werdens, ohne sich dabei tatsächlich verstecken zu müssen. Der Mensch ist dabei zwar auch recht kreativ. Doch so richtig raus hat er den Trick mit der Tarnkappe noch nicht.

Oft geht es auch gar nicht darum, sich selbst unsichtbar zu machen, sondern unschöne Dinge in der Umgebung optisch auszublenden, um das persönliche Empfinden von Ästhetik nicht zu stören. Nicht alles lässt sich dabei über Ortsgestaltungssatzungen regeln, die scheußliche Bauwerke, hohe Mauern und gewagte Farbkombinationen einfach verbieten. Handymasten zum Beispiel will auch keiner. Doch alle brauchen sie.

Wie wäre es also, wenn man die unbeliebten Sendeanlagen einfach unsichtbar machen würde. Wenn man erst auf den zweiten, dritten oder gar vierten Blick den Masten als solchen erkennen und so die Verschandelung der Landschaft gar nicht gleich bemerken würde? In Kirchheim hat der Gemeinderat in dieser Woche darüber diskutiert, ob man einen solchen 40 Meter hohen Sendemast auf dem künftigen Gartenschau-Areal zumindest teilweise in einer Pyramide versenkt und das Konstrukt dann noch mit Gabionen ummauert. Die Idee kam nicht bei allen wirklich gut an, die ästhetische Verbesserung durch einen solchen Umbau blieb den meisten verborgen. Dabei sind diverse Bausätze für das Handymasten-Mimikri längst auf dem Mark. Je nach Landschaft kann man die Dinger als Palme, Kaktus oder Kiefer tarnen. Wie der Polarfuchs im Schnee oder der Brombeer-Blattspanner, der aussieht wie Vogelkot, würde der verkleidete Handymast die Parkbesucher optisch an der Nase herumführen und dabei zufrieden stimmen.

Mimese nennt man das, wenn ein Tier oder eine Pflanze die Gestalt und Farbe des Lebensraums nachahmt. In den Walliser Alpen können Wanderer dieses Suchspiel in der Natur betreiben, wenn sie nach einer kleinen Berghütte Ausschau halten, die außen als rauer Felsen getarnt ist. Überhaupt sind die Schweizer Meister darin, unschöne Bauwerke - etwa alte Bunker - im Heimatstil zu verkleiden und so den Anschein eines komplett idyllischen Landschaftsbilds hinzubekommen. Passend zur Umgebung sehen sie seit vielen Jahrzehnten aus wie Ställe, Ferienhütten, Doppelgaragen oder Chalets. Völlig unauffällig. Warum also noch aufregen über die gestörte Ästhetik des Brunnthaler Alpenblicks, wenn im Hofoldinger Forst vier Windräder errichtet werden. Man könnte die langen Stangen wie Maibäume weiß-blau anstreichen. Das wäre perfekte oberbayerische Mimese.

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