Kreis und quer:Stimulanzien für den Hippocampus

Spazierengehen fördert das Denkvermögen gerade weil es nicht körperlich anstrengend ist, erst recht bei frühlingshaften Temperaturen

Kolumne von Udo Watter

Es hätte nicht erst des Jahrestages in dieser Woche bedurft: Corona - der erste Fall im Landkreis wurde am 4. Februar 2020 gemeldet - hat das Wetter als Gesprächsthema Nummer eins schon längst überholt. Wer dieser thematischen Überdosis und anderen Monotonien des Alltags zu entkommen sucht (auch wenn sich das Virus inzwischen bemüht, durch Mutationen diverser zu werden), kann dies mit der unspektakulär eskapistischen Kulturtechnik des Spazierengehens tun. Ob allein, zu zweit oder mit dem gesamten Haushalt, die witterungsbedingten Umstände, die das Flanieren im Landschaftspark Hachinger Tal, in den Isarauen bei Fischerhäuser oder am Deiniger Weiher begleitet, rücken da natürlich wieder näher.

Spazieren - die gerade erwachenden Spatzen pfeifen es von den Dächern - kommt von Spaziare: italienisch für wandern. Gewisse Hirnregionen, vor allem der Hippocampus, reagieren sehr fein auf den Rhythmus des Gehens, sodass eine tendenziell gleichmäßig getaktete und anstrengungslose Fortbewegung dem Denken förderlich ist. Schon in der Antike liebten es die Philosophen, in Wandelhallen zu flanieren. Jogger, die sich seit einem Jahr wahrscheinlich noch exponentieller vermehrt haben als das kugelförmige Virus, haben von dieser hübschen Nebenwirkung also eher nichts.

Nun, das Wetter dürfte diese Woche als Sujet der Unterhaltung wieder an Popularität gewonnen haben, die greislige Nieseltristesse wurde von einem Frühlingseinbruch abgelöst, die ersten Schneeglöckchen läuteten schon den Tod des Winters ein. Wie immer durften die hiesigen Menschen froh sein, in Oberbayern zu wohnen. In Norddeutschland herrschte teils heftiger Winter - offenbar einer Formschwäche des Polarwirbels geschuldet, der arktische Kaltluft dorthin entkommen lässt. Südbayern hingegen schien vornehmlich die Sonne aus dem Allerwertesten, man durfte ganz ohne Friseurbesuch den Föhn genießen.

So hübsch der verfrühte Frühling ist, wie alles Gute ist er bald wieder vorbei. Regen und Schnee dräuen. Aber immerhin: Das Vorgefühl eines "super Sommers", den uns SPD-Virologe Karl Lauterbach versprochen hat, wird vielleicht bleiben und zarte Blüten des Optimismus blühen lassen - falls nicht alles ganz anders kommt und das Virus sich noch wetterwendischer geriert.

Wer ob der meteorologischen Prognosen befürchtet, demnächst der Lust auf Spazieren verlustig zu gehen, den sei an eine andere Form der Alltagsablenkung erinnert, die eher Sitzfleisch erfordert: Besuche von Gemeinde- oder Stadtratssitzungen sind vergangene Woche noch mal offiziell vom bayerischen Innenministerium zum triftigen Grund erklärt worden, der auch eine Umgehung der Ausgangssperre rechtfertigt. Bürger, die Bedarfsplanungen und Baurechtsdebatten als Gesprächsthema schätzen und dies noch nach 21 Uhr genießen wollen, sind also nach wie vor auf der sicheren Seite.

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