Kreis und quer:Online ersetzt keine Nähe

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Kurse im Internet oder Videos aus der Kirche sind sicherlich ein kleiner Ersatz, aber es fehlt die menschliche Wärme, die wirkliche Gemeinschaft

Kolumne von Claudia Wessel

Was ist Gemeinschaft? Ein Wort, das vor allem in Kirchengemeinden gerne genutzt wird und das in Zeiten vor Corona für manchen eher nüchternen Menschen ein wenig pathetisch klingen mochte. Man befindet sich eben mit einer Gruppe irgendwo. Auf der Kirchenbank. Im Büro. In der heimischen Küche. Bei einer Geburtstagsfeier. Bei einer Beerdigung. Die Anwesenheit der Anderen hat man bis vor Kurzem für selbstverständlich genommen, so sehr, dass sie einen nicht selten auch genervt hat.

Jetzt, nach vier Wochen Kontaktbeschränkungen, fällt es auch den größten Einzelgängern auf: Die Anwesenheit von Menschen in der Nähe des eigenen Körpers, und zwar näher als 1,5 Meter, fehlt. Deutlich gesagt hat dies der Leiter der Wohnungsnotfallhilfe der Arbeiterwohlfahrt im Landkreis München, Stefan Wallner. "Die Digitalisierung hat ihre Grenzen. Jetzt wird richtig deutlich, wie wertvoll persönliche Begleitung ist", sagte er im Hinblick auf die Tatsache, dass er und seine Mitarbeiter bei den Klienten nicht mehr persönlich vorbeigehen können, dass sie allenfalls ein Gespräch über den Balkon führen können oder per Skype, falls die Klienten über diese Technik verfügen. Wallner sagte auch: "Der Mensch öffnet sich nicht am Bildschirm."

Diese Tatsache spielt nicht nur bei Beratungen eine Rolle, sondern auch bei Online-Gottesdiensten, wie es sie etwa zu Ostern vielfach in Kirchen im Landkreis gab. Auch bei Online-Yogastunden, Online-Meditation, Online-VHS-Kursen und Online-Knigge-Unterricht fehlt das gewisse Etwas. Der Ottobrunner Benimm-Trainer Clemens Graf von Hoyos sagt dazu: "Spannend wird es doch erst dort, wo Menschen sich begegnen." Man mag es nennen, wie man möchte. Vielleicht die Energie der anderen Menschen, die Aura, die Ausstrahlung, die Blicke, der Duft, die Wahrnehmung kleiner Dinge, das Hören der Stimme ohne Technik, vielleicht auch die Wärme, die andere Menschen, etwa in einem Gotteshaus, ausstrahlen. Es sind viele unbewusste Wahrnehmungen, die durch einen Bildschirm nicht vermittelt werden können.

"Wenn die Kinder wegen des Coronavirus nicht zu uns kommen können, dann kommen die Mitarbeiterinnen eben zu den Mädchen und Jungs nach Hause." Wenn die Leiterin des Kinderhauses von Bavaria Film in Grünwald, Elisabeth Sörensen, dies verspricht, ist es gut gemeint, so wie alles, was jetzt im Angesicht der Verbote versucht wird. "Völlig ohne jedes Ansteckungsrisiko" bekommen die Kinder jetzt täglich Videobotschaften. "Es ist uns wichtig, dass der Alltag für alle weiter geht", sagt Danielle Fußstetter, Leiterin Organisation der Einrichtung. Doch der Alltag geht nicht normal weiter. Kein Kind kann auf dem Schoß der Lieblingserzieherin sitzen, keines kann sich mit dem besten Freund in der Gruppe kabbeln. So begeistert sich auch viele zeigen, die jetzt ihre Angebote einfach auf Online verlegen, es ist nicht dasselbe, nicht die echte Gemeinschaft. Und das sollte man auf keinen Fall vergessen.

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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