Kreis und quer:Jubeln wie ein Straßlacher

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Gerd Müller stand für Fußball ohne Show. So war auch sein Leben in einer kleinen Landkreis-Kommune. Viel verbindet ihn mit seinem Namensvetter Thomas

Von Udo Watter

Für Kulturpessimisten, die Inspiration suchen, ist der Profifußball eine wunderbare Spielwiese. Jenseits seiner Bedeutung als globales Business, die sich in surrealen Ablösesummen, Gehältern, TV-Verträgen oder Super-League-Plänen spiegelt, ist es das Verhalten mancher Spieler auf dem Platz, das moralische Weltverachtung befeuert. Jubelrituale, Styling und Körpersprache lassen die Kicker zunehmend zu Kunstfiguren werden. Statt sich beim Passgeber zu bedanken, rennen viele Torschützen sofort zur Eckfahne, um dort einen Ego-Tanz vor der Kamera aufzuführen. Leider sieht man immer häufiger, dass sich auch manch kleine Nachwuchskicker derartige Gesten von ihren Fifa-Helden abgeguckt haben.

Hätten sie lieber mal Gerd Müller geguckt. Der jetzt verstorbene "Bomber der Nation" jubelte meist so unspektakulär, weil er aus seinen Toren nicht mehr machen wollte, als was sie waren: Tore. Ähnlich gut kann das aktuell nur Thomas Müller, dem ja mit seinem Namensvetter und Vorgänger als Bayern-Idol eh viel verbindet. Dazu gehört auch, dass beide länger in der Gemeinde Straßlach-Dingharting gewohnt haben: der Gerd in Straßlach, der Thomas in Großdingharting.

Auf dem Weg von Straßlach zum Gelände des FC Bayern hat in den Sechzigern der Gerd in Grünwald oft den Franz abgeholt - das erzählte Franz Beckenbauer jetzt in einem Interview. Beckenbauer habe oft getrödelt und Müller sich Sorgen gemacht, die anderen könnten ohne sie zum Spiel abfahren. "'Dicker - so nannte ich ihn - merke dir eines. Ohne uns fährt bei Bayern keiner ab", so der Kaiser.

Über sein Haus in Straßlach, das er 1967 zur Hochzeit mit Ehefrau Uschi kaufte, schrieb Müller (der später auch einen Sportshop in Aschheim eröffnete) im Buch "Tore entscheiden": "Bei schönem Wetter haben wir eine herrliche Aussicht. Wenn wir Glück haben, wird sie uns nicht zu stark verbaut. Es wird dauern, bis ich Haus und Grundstück restlos abgestottert habe, aber wir werden es schon schaffen." Da geht doch allen Fußballromantikern das Herz auf.

Ob sich Unterhachings Präsident Manfred Schwabl als Fußballromantiker sähe? Vieles, wofür er steht (und was er am heutigen Fußball nicht mag), spricht dafür. Auch er kondolierte diese Woche: "Gerd Müller war ein Idol für Generationen, ein Weltklasse-Stürmer und ein wunderbarer Mensch." Schwabl schätzt konservative Werte, die SpVgg engagiert sich sozial ("Haching schaut hin"). Sportlich läuft es auch wieder: Die in die Regionalliga Bayern abgestiegene Mannschaft hat zuletzt fünf Siege in Serie hingelegt. Junge Spieler aus der Region und ein paar Routiniers bilden das Gerüst, etwa Torjäger Stephan Hain, den Schwabl mal als "Gerd Müller von Unterhaching" bezeichnete, und der zuletzt zweimal gegen Memmingen einnetzte. Hain hat dabei eher lakonisch gejubelt. Falls er im Freitagsspitzenspiel beim FC Bayern II getroffen haben sollte (bei Redaktionsschluss nicht beendet), könnte das indes anders ausgesehen haben. Bei wichtigen Toren ist auch Gerd Müller höher gehüpft.

© SZ vom 21.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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