Kreis und quer:Hackordnung oder Basisentscheid

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Von der Hackordnung unter Vögeln können Politiker noch etwas lernen, wie in einer Tannenspitze in Oberhaching zu verfolgen ist

Kolumne von Michael Morosow

Turmfalken sind also doch Luschen. Wie triumphal war noch im Vorjahr ihr Sieg gegen ein Krähenpaar im Kampf um den besten Brutplatz gewesen. Herr und Frau Turmfalke hatten sich dazu, wie es so ihre Art ist, eine hinterfotzige Taktik zurechtgelegt, die auch Menschen nicht unbekannt ist, insbesondere jenen mit scharfen Schnäbeln und unbedingtem Regierungswillen, von denen zwei diese Woche reden machten.

Die gefiederten Helden also beobachteten auf regelmäßigen Kontrollflügen entspannt die regen Bautätigkeiten des Krähenpaars unter der Spitze einer Tanne im Nachbarsgarten in Oberhaching und ließen hie und da ein verlogenes "Ti-ti-ti-ti" fallen, was wohl heißen sollte: "Unser Platz ist woanders." Sobald aber das Kinderzimmer der Krähen schlüsselfertig war, war nichts mehr mit "Ti-ti-ti-ti". Die neue Ansage lautete unmissverständlich "Ich-ich-ich-ich" und der Kampf um die Spitzenposition brach los. Bald saßen die linkischen Falken im gemachten Nest, nachdem sie wüste Beschimpfungen und allerlei Störmanöver der eigentlichen Hausbesitzer tapfer ignoriert hatten. Applaus vom Balkon gegenüber der Tanne war ihnen gewiss.

Und dieses Mal? Die Krähen haben gewonnen, und das ohne ernsthafte Kampfhandlung und großes Gezeter. Ob eine Abstimmung an der Vogelbasis die Entscheidung herbeigeführt hat? Möglich, dass die Spatzen allerlei Warnungen vor der Flatterhaftigkeit von Falken von den Dächern gepfiffen haben. Denkbar auch, dass sich ein alter Papagei eingemischt hat und im Vorbeifliegen auf vorangegangene Niederlagen von Federvieh bayerischer Provenienz wie Strauß und Vogel hingewiesen hat und auch darauf, dass eine Krähe einer anderen kein Auge auskratzt. Wie dem auch sei, am Ende hieß es für die Turmfalken: "Schwingt euch."

Man kann mit dieser Entscheidung durchaus leben, wenn man nicht in absoluter Hörweite zur Tannenspitze wohnt. Gelten die Amseln als Goldkehlchen, muss man die Krähen in die Nähe von Rammstein verorten, insbesondere ihre Jungen, die in den ersten Wochen nur dann für wenige Sekunden nicht "Hunger" plärren, wenn Muttern ihnen den Schnabel stopft. Wenn sich eine Krähenkolonie niederlässt, wie am Unterhachinger Friedhof seit Jahren der Fall, dann wirkt auch das beste Nerventonikum nicht mehr. Viele Anwohner würden gerne zur Waffe greifen, dürfen aber nicht, weil Saatkrähen gesetzlich geschützt sind.

Das Nest unter der Tannenspitze ist nicht einzusehen, vier bis sechs Eier werden wohl darin liegen. Das sind Sprengsätze mit Zeitschaltuhr. Noch ist es ruhig. Sogar verdächtig ruhig, kein "Ti-ti-ti-ti", aber auch kein "Krächzkrächz". Eine leise Hoffnung macht sich breit: Vielleicht ist die endgültige Entscheidung doch noch nicht gefallen. Vielleicht haben die Turmfalken eine weitere Abstimmung über die Spitzenposition verlangt, dieses Mal tatsächlich an der Basis. Und dazu zählen auch die Nachbarn.

© SZ vom 24.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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