Der Mensch stolpert bekanntlich nahezu blind durch die Welt. Selbst wenn einer mal Durchblick hat, bietet sich ihm nur ein trauriger Ausschnitt der Wirklichkeit. Katzen sehen mit ihren Augen zehn Mal schärfer. Auch Frösche und selbst Garnelen haben dem Homo sapiens viel voraus. Und während sich Rotkäppchen heillos im Wald verirrt und am Ende beim Wolf landet, steuern Vögel im Wald selbst im Dunklen zielsicher ihr Nest an. Dumm ist der Mensch aber nicht. Er malt fleißig Schilder und denkt sich wundersame Zeichen aus.
Förster und Waldarbeiter haben das perfektioniert. Seit Anfang Oktober sind sie wieder mit Spraydosen unterwegs und bemalen Bäume. Etliche Alleebäume zwischen Feldmoching und Unterschleißheim sind mittlerweile mit roten Punkten gekennzeichnet, was viele Baumschützer mit Argwohn verfolgen. Denn es ist wieder die Zeit angebrochen, in der laut Naturschutzgesetz "Pflegemaßnahmen" an Bäumen erlaubt sind. Das heißt: Bäume dürfen von Oktober bis Februar gefällt werden. Viele befürchten, rücksichtslose Waldarbeiter könnten schützenswerte Bäume umlegen. Und das nicht zu unrecht. Immer wieder kommt es vor, dass Lohnfirmen im Auftrag eines Investors in wenigen Stunden Tatsachen schaffen. Alte Bäume sind dann perdu. Der Ärger folgt auf dem Fuß.
Ein Fortschritt ist dabei, wenn überhaupt mal markiert wird. Als nächstes wäre hilfreich zu verstehen, was die Markierungen bedeuten. Das ist nicht so einfach. Denn von Region zu Region und von Behörde zu Behörde sind unterschiedliche Zeichen eingeführt. Julia Borasch vom Forstrevier Aschheim sprüht etwa Querstriche auf kranke Bäume, die gefällt werden sollen. Im Wald kann der Harvester-Fahrer das zum Beispiel viel besser erkennen als einen Punkt. Eine Wellenlinie heißt: schützenswert. Es gibt eine regelrechte Zeichensprache der Förster. Ein geschwungenes "M" steht in manchem Revier für "Methusalembaum", der unbedingt erhalten werden soll. Ein "H" steht für Habitatbaum. Dort ist dann zum Beispiel ein Specht daheim. Beim Punkt an der Staatsstraße kann die Försterin nicht weiterhelfen. Das Umweltamt im Rathaus Oberschleißheim ahnt nur, dass er nichts Gutes bedeuten wird. Zuständig ist freilich das Staatliche Bauamt in Freising. Dort heißt ein Punkt, dass der Baum "pflegebedürftig" ist, was ein Rückschnitt von Ästen sein kann. Eine Fällung ist laut Behörde bei einem "X" angesagt.
Punkte, Linien und Pfeile, die nach oben oder unten weisen: Die Baummalerei mit schreiend grellen Farben kann auch Überhand nehmen. Oft werden Wegweiser auf Bäume gesprayt. Waldbesitzer teilen Käufern auf gefällten Stämmen mit, welche Holzgüte sie vorfinden oder welcher Brennholzstapel an welchen Käufer geht. Der "Waldpoet" macht auf seinem Blog beim Förster-Graffiti sogar regionale Dialekte aus. Künstlerisch versierte Arbeiter zaubern mit wenigen Strichen gar Spechte auf die Rinde. Der Vogel findet sein Zuhause freilich auch so.